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# taz.de -- Fördermittel für Wissenschaft: Forschen, um zu wachsen
> 80 Milliarden Euro will die EU-Kommission künftig in die
> Forschungsförderung stecken. Und sie will mehr Einfluss auf die nationale
> Wissenschaft.
Bild: Nicht nur mehr Einblick, auch mehr Einfluss wünscht sich die EU auf nati…
Welche Wissenschaftler bekommen in Europa wie viel Geld, um Antworten auf
welche Fragen zu suchen? Darum geht es, wenn EU-Kommission, EU-Parlament
und Mitgliedsstaaten das achte Forschungsrahmenprogramm verhandeln.
Vergangene Woche hat die Kommission den Entwurf dafür vorgestellt.
Er trägt den verheißungsvollen Namen "Horizon 2020" und weist die Wege, auf
denen in der Haushaltsperiode 2014 bis 2020 insgesamt rund 80 Milliarden
Euro an Fördermitteln zu Hochschulen, Forschungseinrichtungen und
Unternehmen gelangen sollen. Zum Vergleich: Im Haushalt der Bundesregierung
sind im Jahr 2012 für Bildung und Forschung 12,9 Milliarden Euro
vorgesehen; rund zehn Prozent der in Deutschland von Hochschulen
eingeworbenen Drittmittel stammen aus Brüssel.
Gleichwohl geht es um viel Geld: Der Topf für Forschungsförderung ist, nach
dem für Agrar- und dem Strukturfonds, der drittgrößte im EU-Haushalt. Die
zuständige Kommissarin Máire Geoghegan-Quinn verfolgt drei Ziele: Erstens
will sie exzellente Wissenschaft fördern (mit rund 24,6 Milliarden Euro);
zweitens Branchen, in denen die EU weltweit besonders wettbewerbsfähig ist,
etwa die Nano- oder Biotechnologie (mit 17,9 Milliarden Euro). Drittens hat
die Kommissarin sechs "gesellschaftliche Herausforderungen" ausgemacht, an
denen die Forscher arbeiten sollen: Gesundheit, Ernährung, Energie,
Klimaschutz, Verkehr und Sicherheit. Für diese Säule sind insgesamt 31,7
Milliarden Euro vorgesehen.
"Mit dieser Struktur wollen wir die gesamte Innovationskette abdecken",
sagt Rudolf Strohmeier, von der Generaldirektion Forschung und Innovation.
Seine Diagnose: Es dauere zu lange, bis Forschungsergebnisse auf dem Markt
sind. Innovation, verstanden als die Entwicklung marktfähiger Technologien,
ist darum der rote Faden des Programms. Das Credo lautet: Europa braucht
Wachstum, und Wachstum basiert auf Innovation.
## "Greenovate Europe"
"Das läuft in die richtige Richtung", sagt Katharina Krell vom Brüsseler
Beratungsnetzwerk "Greenovate Europe". Sie hat vor allem kleine und
mittlere Unternehmen (KMU) im Blick, die Umwelttechniken entwickeln. Für
sie sei es bislang aufgrund des ausufernden Antragswesens fast unmöglich
gewesen, an Fördermittel für Forschungsprojekte zu kommen. "Das wird
künftig besser", sagt Krell, "die Verfahren werden stark vereinfacht."
Claudia Neubauer von der Pariser Nichtregierungsorganisation Fondation
Sciences Citoyennes hingegen ist weniger begeistert. Die NGO setzt sich für
eine soziale und ökologische Forschung ein, die die Ressourcen der
Zivilgesellschaft nutzt. In dem Rahmenprogramm Horizon 2020 fehle dieser
Gedanke ganz. Die Kommission richte ihre Förderung einseitig auf die
Interessen der Industrie aus, sagt die Molekularbiologin.
"Innovation" in Brüssel bedeute eine Erfindung, die teuer sei, technisch
kompliziert und durch Patente geschützt. Aber innovativ könnte ja zum
Beispiel auch ein Modell für soziale Solidarität sein, so Neubauer. Und
nicht nur Wissenschaft und Industrie seien in der Lage, Lösungen für
gesellschaftliche Fragen zu erarbeiten. "Noch nie waren die Bürger so
gebildet wie heute", so Neubauer, "warum nutzen wir das nicht?" Das
Programm müsste auch für Vereine offen stehen.
Der grüne EU-Parlamentarier Philippe Lamberts aus Belgien argumentiert
ähnlich. "Innovativ" könne zum Beispiel ein intelligentes System der
Abfallentsorgung sein, in dem Rohstoffe besonders effizient genutzt würden.
"Da geht es nicht mehr nur um neue Technologien", sagt Lamberts, "sondern
um komplexere Ansätze."
Der interdisziplinäre Ansatz, den etwa die "gesellschaftlichen
Herausforderungen" verlangten, sei grundsätzlich richtig, sagt Max Grünig
vom Thinktank "ecologic institute" in Berlin. Doch weil die Kommission
Forschung letztlich als Mittel ansehe, um Industrie und Wachstum zu
fördern, drohten die Sozialwissenschaftler unter die Räder zu geraten. Die
Folge: Während zum Beispiel die Entwicklung von Produkten auf Basis von
Nanotechnologie verstärkt gefördert wird, werde die sozialwissenschaftliche
Begleitforschung zurückgefahren, kritisiert der Stuttgarter
Techniksoziologe Ortwin Renn.
## Offener Brief von Forschern
Schon über 22.000 Forscher haben daher einen [1][offenen Brief]
unterschrieben, der die Forschungskommissarin dazu aufruft, Sprach-,
Politik- oder Geschichtswissenschaftlern ab 2014 mehr Raum zu geben.
Die Möglichkeit, sich an interdisziplinären Projekten zu beteiligen, reiche
für diese Disziplinen nicht aus, sagt Charlotte Fiala vom Brüsseler Büro
der FU Berlin. "Wenn eine Gesellschaftswissenschaftlerin in einem
Konsortium mit lauter Naturwissenschaftlern zusammenarbeitet, geht sie
unter", warnt sie. Erst bei einem einigermaßen ausgeglichenen Verhältnis
zwischen den Disziplinen gebe es einen interessanten Austausch mit neuen
Lösungsansätzen. Zusätzlich sei eine eigene gesellschaftliche
Herausforderung nötig, um Vorschläge zur Verbesserung des Schulwesens zu
erarbeiten oder zur Wertediskussion in Europa beizutragen. Das sind
dringliche Fragen, nur "kann man diese Forschungsergebnisse nicht
kurzfristig in Euro ausdrücken."
Grundsätzlich ändern lasse sich der Entwurf der Kommission wohl nicht mehr,
schätzt Neubauer. Aber ein paar Stellschrauben ließen sich vielleicht noch
drehen in dem zweijährigen Prozess, der jetzt folgt. Bis Horizon 2020
Anfang Januar 2014 in Kraft treten kann, muss es noch vom EU-Parlament und
den EU-Staaten verabschiedet werden.
9 Dec 2011
## LINKS
[1] http://www.eash.eu/openletter2011
## AUTOREN
Heike Holdinghausen
## TAGS
Schwerpunkt Brexit
Ortwin Renn
EU-Haushalt
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