| # taz.de -- Wahlforscher über „Martin-Schulz-Effekt“: „Schulz wird Farbe… | |
| > Will die SPD die Bundestagswahl gewinnen und Martin Schulz zum Kanzler | |
| > machen, muss sie Rot-Rot-Grün als reale Option in den Blick nehmen, sagt | |
| > Matthias Jung. | |
| Bild: Trägt Angela Merkel nicht immer solche Blazer? | |
| taz: Herr Jung, hat Sie der rasante Umfragenaufschwung der SPD überrascht? | |
| Matthias Jung: Ja und Nein. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Werte von | |
| Sigmar Gabriel und damit auch der SPD auf einem Tiefpunkt waren. Wenn dann | |
| ein neuer Kandidat wie Martin Schulz Vorschusslorbeeren bekommt, ist das | |
| erst einmal durchaus normal. Die Intensität des Zuwachses in den Umfragen | |
| in so kurzer Zeit ist allerdings etwas überraschend. | |
| Die Union gibt sich demonstrativ gelassen, obwohl sich der Abstand zur SPD | |
| stark verringert hat. Unterschätzt sie möglicherweise den | |
| „Martin-Schulz-Effekt“? | |
| Bekanntlich hat die [1][Volatilität] in der Wählerschaft extrem zugenommen. | |
| Das heißt, es sind heute in sehr kurzer Zeit sehr große Veränderungen in | |
| den Präferenzen zugunsten oder zulasten der einzelnen Parteien möglich. | |
| Insofern wird heute und auch in den nächsten Wochen die Bundestagswahl 2017 | |
| definitiv noch nicht entschieden. Alle Parteien befinden sich erst in den | |
| Startlöchern. Auch die Programmpositionen sowohl von SPD als auch von CDU | |
| und CSU sind ja noch in der Entstehung. Also besteht für die Union noch | |
| kein Anlass zur Panik, aber einfach wird es sicher nicht. | |
| Aber zumindest der Start von Martin Schulz ist doch beeindruckend, oder? | |
| Sicherlich, aber erinnern Sie sich an die Bundestagswahl 1994? Unmittelbar | |
| nach seiner Nominierung zum SPD-Kanzlerkandidaten wurde seinerzeit Rudolf | |
| Scharping auch extrem positiv bewertet. In der K-Frage lag er sogar | |
| deutlich vor dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl. Doch innerhalb | |
| weniger Monate drehte sich die Stimmung. Der scheinbar sichere Verlierer | |
| Kohl gewann schließlich die Bundestagswahl souverän, obwohl er ja auch | |
| schon durch eine längere Regierungszeit „belastet“ war. Das zeigt: Selbst | |
| in der Vergangenheit, als wir noch weniger Volatilität hatten, waren schon | |
| sehr große Veränderungen in kurzer Zeit möglich. Das heißt nicht, dass sie | |
| automatisch stattfinden. Aber heutzutage ist überhaupt nichts determiniert. | |
| Glauben Sie, dass der aktuelle Trend zugunsten der SPD nur ein Strohfeuer | |
| ist? | |
| Das lässt sich seriöserweise nicht beurteilen. Es wird sehr stark davon | |
| abhängen, wie Martin Schulz in den nächsten Wochen agiert. Er ist für viele | |
| Wählerinnen und Wähler ja noch ein unbeschriebenes Blatt. Das zeigt sich an | |
| dem hohen Prozentsatz der Menschen, die sich gegenwärtig noch kein Urteil | |
| über ihn zutrauen. | |
| Es liegt also allein in seiner Hand? | |
| Keineswegs. Es sollte nicht vergessen werden, dass noch viele | |
| Fragestellungen der SPD offen sind und ihre Probleme nicht einfach durch | |
| den Austausch einer Person gelöst sind. Das gilt insbesondere für das | |
| strategische Dilemma, in welche Richtung sich die Partei positionieren | |
| will: Will die SPD wieder linker werden, um gegenüber der Linkspartei | |
| Pluspunkte zu machen? Damit würde sie Gefahr laufen, in der Mitte Wähler an | |
| die Union zu verlieren. Oder will sie doch lieber weiter einen sehr | |
| mittigen Kurs fahren? Das würde ihr wiederum am linken Rand Probleme | |
| bereiten. | |
| Wie schon seine gescheiterten Vorgänger setzt Schulz auf das Thema | |
| „Gerechtigkeit“. Kann das diesmal funktionieren? | |
| Zumindest auf den ersten Blick ist ein Kandidat wie Martin Schulz eher | |
| geeignet, das Thema soziale Gerechtigkeit zu transportieren, als es sein | |
| Kanzlerkandidatenvorgänger Peer Steinbrück gewesen ist. | |
| Schulz bedient bislang vor allem Gefühle, Konkretisierungen vermeidet er. | |
| Ist das eine erfolgversprechende Strategie und wird er sie bis zum Wahltag | |
| durchhalten können? | |
| Es ist eine Strategie, mit der Martin Schulz erst einmal Sympathien | |
| einsammeln kann. In der Monat für Monat härter werdenden | |
| Wahlkampfauseinandersetzung wird er aber nicht erfolgreich sein können, | |
| wenn er nur immer wieder die gleichen gefühligen Parolen wiederholt. | |
| Irgendwann wird er in wichtigen Fragen inhaltlich Farbe bekennen müssen. | |
| Das gilt gerade für den Bereich der Steuerpolitik. Der SPD-Kandidat wird | |
| auch Farbe bekennen müssen im Hinblick auf seine Machtoption: Mit welcher | |
| Koalition will er seinen Anspruch realisieren, Kanzler zu werden? | |
| Wenn es um mögliche Koalitionen nach der Wahl geht, bleibt Schulz aber | |
| lieber schwammig. Kann das funktionieren? | |
| Es wird keine der großen Parteien durch den Wahlkampf durchkommen, ohne zu | |
| sagen, wie sie sich denn eine Regierung vorstellt. Wenn Martin Schulz | |
| Kanzler werden will, wird die SPD Rot-Rot-Grün als realistische Option in | |
| den Blick nehmen müssen. Da eine solche Regierung einen Paradigmenwechsel | |
| in der bundesrepublikanischen Geschichte bedeuten würde, besteht die | |
| Notwendigkeit, das im Wahlkampf ausreichend zu kommunizieren und zu | |
| begründen. Sonst entsteht da eine sehr große Verwundbarkeit der SPD. | |
| Martin Schulz schließt aber auch nicht aus, Kanzler einer Große Koalition | |
| zu werden. Schließlich trete die SPD nach seinen Worten an, „die stärkste | |
| politische Kraft in unserem Land zu werden“. | |
| Aufgrund der doch sehr stark verfestigten Größenordnungen, die wir in den | |
| letzten zwei Legislaturperioden gesehen haben, erscheint mir das eher | |
| unwahrscheinlich. Trotz aller stimmungsmäßig starken Ausschläge, über die | |
| er sich derzeit freuen kann. | |
| Hat Martin Schulz aus Ihrer Sicht eine reale Chance, Angela Merkel zu | |
| schlagen? | |
| In Anbetracht der Schwankungen, die denkbar sind, ist eine rot-rot-grüne | |
| Mehrheit nicht auszuschließen. Wer sich die aktuellen Umfragen genau | |
| anschaut, wird allerdings feststellen, dass die starke | |
| Stimmungsverbesserung für die SPD nur zu einem überschaubaren Teil zulasten | |
| der Union geht. Ebenso feststellbar ist zum einen ein sichtbarer Rückgang | |
| bei den AfD-Wählern, zum anderen aber Verluste bei den Grünen und der | |
| Linkspartei. Das ist ein Fingerzeig darauf, dass der Erfolg von Martin | |
| Schulz in einem nicht unerheblichen Maße nur in einer Neusortierung des | |
| eigenen rot-rot-grünen Lagers besteht. | |
| Grüne und Linkspartei müssen also befürchten, von der SPD kannibalisiert zu | |
| werden? | |
| Sowohl die Grünen als auch die Linkspartei könnten bei der Bundestagswahl | |
| darunter leiden, dass jetzt ein attraktiverer SPD-Spitzenkandidat | |
| existiert. Eine solche Umschichtung von Wählerstimmen wäre allerdings etwas | |
| anderes als eine Siegposition für Rot-Rot-Grün, weil sich dadurch das Lager | |
| an sich nicht signifikant vergrößert. | |
| 8 Feb 2017 | |
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| ## AUTOREN | |
| Pascal Beucker | |
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