| # taz.de -- Gedanken zum SPD-Kanzlerkandidaten: Das Schulz’sche Momentum | |
| > Martin Schulz hat seine Partei entflammt. Er könnte Merkel stürzen. | |
| > Dennoch halten die meisten Linken nichts von ihm. Warum bloß? | |
| Bild: Kann dieser Mann die SPD revolutionieren? Hmmh … | |
| Es wäre untertrieben, die Freude der SPD über ihren neuen Kanzlerkandidaten | |
| Martin Schulz als eine mächtige zu beschreiben. Vielmehr ist die | |
| Sozialdemokratie in Deutschland akut entflammt: Es ist, als wäre ihr ein | |
| Messias erschienen. Im Bundeskanzleramt wird man diese Begeisterung | |
| registriert haben, denn eine Angela Merkel weiß, dass ihr Konzept des | |
| Kleinredens der politisch Nächsten, ihrer bloße Einbindung in die Macht, | |
| mit Schulz nicht zu machen ist. | |
| Und das völlig zu Recht, möchte man als einfacher, hart arbeitender „Anne | |
| Will“-Gucker sagen: Schulz konnte ob der angenehmen Inquisitionsart Wills | |
| seine Bereitschaft zur Aufwallung kaum verbergen, er wirkte – und auf | |
| Wirkung kommt es an! – wie ein demokratisch Machthungriger, der es will. | |
| Anders gesagt: Alles, was zählte, konnte Schulz in die eine wichtigste | |
| Stunde Sendezeit seiner Ära als Kandidat gegen Merkel packen – und | |
| vermitteln. | |
| Der Unterschied zum noch amtierenden Parteichef Sigmar Gabriel war in jeder | |
| Sekunde spürbar: Der Niedersachse, der seine Partei in sieben Jahren an der | |
| Spitze immerhin davor bewahrt hat, sich zu zerfleischen, wie es die | |
| Sozialistische Partei Frankreichs gerade tut, wusste ja, dass er den | |
| Merkel-Rivalen nicht gut geben könnte. Gabriel weiß um die objektiven Nöte | |
| seiner Partei. Denn wo hat denn die SPD noch lebensnah mit jenen zu tun, | |
| die sich abgehängt fühlen? Wo geht es den Genoss*innen zu Herzen, dass in | |
| ihren Kerngebieten die öffentliche Infrastruktur zerbröselt, | |
| nichtgymnasiale Schulen verwahrlosen? Eben. | |
| Gabriel mochte nie verhehlen, dass er an seiner Partei und ihren | |
| saturierten, im öffentlichen Dienst gebetteten Mitgliedern verzweifelt(e). | |
| Martin Schulz mag es ähnlich gehen. Er aber adressiert seine Message an die | |
| wahlkämpfenden Milieus der SPD, ganz so, als ob er ihnen nicht übelnimmt, | |
| mit den niedersten Ständen eigentlich nichts mehr zu schaffen haben zu | |
| wollen. Schulz, so scheint es, ist ein Erregungsredner mit diplomatischen | |
| Nebenqualifikationen: Er hinterlässt den Eindruck von Authentizität, von | |
| demokratischer Gegnerschaft, die ihr Anliegen – soziale Gerechtigkeit und | |
| Bewahrung jener Werte, die das Trump-Regime in den USA gerade zerstört – | |
| zum Ernstfall erklärt. | |
| ## Es fehle am Konkreten | |
| Das ist ziemlich viel Programm – aber vielen Linken, wie etwa dem | |
| Spitzenkandidaten der Linkspartei, Dietmar Bartsch, ist das nicht genug. Es | |
| fehle am Konkreten, an Zeitplänen, meckerte der im Deutschlandradio. Und | |
| auch ein Kommentar in der taz von Montag [1][stieß sich an einer gewissen | |
| Spießigkeit Schulz'], daran, dass eine „Revolution“ mit ihm nicht zu | |
| erwarten ist. Davon abgesehen, dass der Vorwurf des Biedersinns eines | |
| unhipp scheinenden Kandidaten nach Lektüre von Didier Eribons „Rückkehr | |
| nach Reims“ auf die Vorwerfenden zurückfällt, weil spießig zu sein eben | |
| jener Vorwurf an prekär lebende Menschen ist, der die in die Fänge von | |
| Rechtspopulisten treibt, ist es mit der Vokabel von der Revolution so eine | |
| Sache. | |
| Denn: Revolution – ist es nicht gerade eine solche, die Trump und seine | |
| Regierung vollziehen? Und ist der Wunsch nach Umsturz nicht per se ein | |
| antipolitischer, weil er alles zu wollen scheint, aber deshalb nichts | |
| bekommt? | |
| Anschließend an Dietmar Bartsch lässt sich sagen, dass es gerade ein Vorzug | |
| von Schulz ist, konkreter nichts zu sagen: Was morgen ist, wird morgen | |
| verhandelt. Wenn die Linkspartei ein Rezept für alle politischen Köcheleien | |
| will, verwechselt sie die politische Arena mit einer Versicherungspolice: | |
| Da bleibt kein Raum für ein Momentum mehr. Den aber hat gerade die SPD. Auf | |
| Spiegel Online [2][schreibt Stefan Kuzmany richtig]: Mit Schulz fühlt die | |
| SPD erstmals wieder, dass Merkel geschlagen werden kann. Das ist für die | |
| Linke überhaupt ein Unterschied ums Ganze. | |
| 31 Jan 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] /!5375398 | |
| [2] http://www.spiegel.de/kultur/tv/martin-schulz-bei-anne-will-alles-astrein-m… | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Feddersen | |
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