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# taz.de -- Rede von SPD-Kanzlerkandidat Schulz: Der will ja wirklich
> Martin Schulz’ erster Auftritt hinterlässt Zuversicht bei den Genossen.
> Mit ihm gewinnen sozialdemokratische Tugenden wieder an Gewicht.
Bild: Hat den Anspruch, Bundeskanzler zu werden: Martin Schulz in Berlin
Berlin taz | „Das war ein erster Anfang, aber ein Bernie Sanders ist er
noch nicht“, sagt Knut Wenzig, als alles vorbei ist. Der Berliner, seit 25
Jahren SPD-Mitglied, steht am Sonntagnachmittag im Atrium des
Willy-Brandt-Hauses. Er trägt ein T-Shirt mit „Bernie“-Aufdruck, ein
Überbleibsel aus der Vorwahlkampagne des amerikanischen Senators, der die
Demokratische Partei im Wahlkampf an ihr altes Kernthema erinnerte: soziale
Gerechtigkeit.
So einen hätte die SPD auch nötig, denkt sich Wenzig, einen, unter dem sich
die Partei auf ihre Wurzeln zurückbesinnt, und vielleicht ist Martin Schulz
dafür ja der Richtige. Deswegen ist der Berliner am Sonntag also in die
SPD-Zentrale gekommen, um sich die Antrittsrede des Kanzlerkandidaten
anzuhören.
Die SPD schöpft wieder Hoffnung: Am Dienstag hatte Sigmar Gabriel publik
gemacht, dass er für seine Nachfolge Martin Schulz auserkoren hat. Von
einem Ruck in der Partei sprechen Sozialdemokraten seit der Entscheidung.
Seit Dienstag sind über 700 Menschen in die SPD eingetreten. Und nach nur
anderthalb Tagen waren alle verfügbaren Plätze für die Veranstaltung an
diesem Sonntag ausgebucht: Der erste Auftritt des kommenden
Kanzlerkandidaten vor der Basis.
„Soeben hat mich der Parteivorstand als Kanzlerkandidaten und künftigen
Parteivorsitzenden vorgeschlagen. Das ist ein bewegender Moment für mich,
und ich bin froh, dass ich diesen Moment mit euch und mit Ihnen hier teilen
darf“, sagt Schulz, als er seine Rede beginnt. Viel weiter kommt er erst
einmal nicht, der Applaus ist zu laut. Die Kulisse ist perfekt. Zwei
Tribünen stehen keilförmig im Atrium der Parteizentrale, auf und zwischen
den Stufen drängen sich die Gäste. Die drei Reihen direkt hinter Schulz
sind mit Jubel-Jusos gefüllt. Einer von ihnen, für die Fernsehkameras gut
sichtbar, hat ein Pappschild dabei. Darauf zu sehen: ein Porträt von Schulz
in Rot, Blau und Beige, exakt so wie das berühmte Wahlplakat mit dem
Konterfei von Barack Obama. „Hope“ stand einst auf dem Originalplakat des
Amerikaners. Hoffnung, so wie an diesem Sonntag bei den Sozialdemokraten.
## Mit „Ärmelaufkrempeln“
Euphorisch ist der Applaus der Genossen während der Rede zwar noch nicht,
aber sie klatschen erleichtert, ermutigt und mit unerwarteter Zuversicht.
Die Atmosphäre ist so ähnlich wie im Fußballstadion eines
Abstiegskandidaten, der seit Wochen keine Tore schießt, nun aber den
Trainer gewechselt hat. Im ersten Spiel unter dem Neuen rennt die
Mannschaft direkt nach vorn, und nach der ersten Torchance blicken sich die
Fans grinsend an: Vielleicht kann der aus unserer Truppe ja doch noch was
rausholen, vielleicht haben wir heute eine Chance, vielleicht bleiben wir
am Ende doch in der Liga. Und nächstes Jahr Uefa-Cup.
Die Frage ist nur: Mit welcher Taktik will der neue Trainer die Punkte
holen?
Beinahe exakt eine Stunde spricht Schulz. Er verspricht: „Wir werden die
Wahlen in diesem Jahr richtig spannend machen!“ Die SPD trete an, „die
stärkste politische Kraft in unserem Land zu werden“. Er habe den
„Anspruch, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland zu werden“. Wie er
das schaffen will? Mit „Ärmelaufkrempeln“ und „gemeinsam anpacken“. Sc…
verzichtet auf jegliche Koalitionsaussage. Grüne und Linkspartei erwähnt er
mit keinem Wort.
Es ist eine Rede, die die Herzen der GenossInnen erwärmt. Von der sozialen
Gerechtigkeit bis zum Kampf gegen rechts bedient er sich aller Ingredienzen
der klassischen Sozialdemokratie. „Wir suchen pragmatische Lösungen im
Dienste der Menschen“, sagt Schulz. Aufgabe der SPD sei es, „für
Gerechtigkeit zu sorgen, Vertrauen aufzubauen und dadurch unser Land
voranzubringen“.
Wie er das konkret erreichen will, lässt Schulz weitgehend offen.
Allerdings kündigt er an, dass die Steuergerechtigkeit und die Bekämpfung
von Steuerflucht zentrale Wahlkampfthemen der SPD sein werden. Außerdem
spricht er sich für höhere Investitionen aus. Mieterhöhungen sollen
begrenzt, der soziale Wohnungsbau gesteigert werden. Auch plädiert er für
eine paritätische Verteilung der Krankenkassenbeiträge auf Arbeitnehmer und
Arbeitgeber. Weiter fordert er, die Bildung müsse gebührenfrei werden „von
der Kita bis zum Studium“.
## Er sei „der Sohn einfacher Leute“
Wie schon bei den ersten Auftritten nach seiner Ausrufung zum
Kanzlerkandidaten bedient sich Schulz auch diesmal eines Slogans aus der
Präsidentschaftswahlkampagne Bill Clintons 1992: Er wolle die „hart
arbeitenden Menschen, die sich an die Regeln halten, in den Mittelpunkt
unserer Politik stellen“.
Einen Bruch mit der bisherigen Regierungspolitik der SPD hat Schulz dabei
nicht im Sinn. Überschwänglich lobt er sämtliche derzeitigen
SPD-MinisterInnen für ihre tolle Arbeit. „Der verlässliche Partner in der
Bundesregierung ist die SPD“, sagt Schulz. Auch Kritik an der Agenda 2010
kommt ihm nicht über die Lippen. Stattdessen verkündet er, nicht nur Willy
Brandt und Helmut Schmidt, sondern auch Gerhard Schröder habe „Deutschland
gutgetan“. Klare Worte findet Schulz zur AfD. „Wozu ein blinder
Nationalismus aber führt, haben wir in der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts erlebt.“ Deshalb sei „die Partei der Höckes, der Gaulands und
Petrys keine Alternative für Deutschland, sondern sie ist eine Schande für
die Bundesrepublik“. Menschen, die Rassismus und Antisemitismus, die
Frauenfeindlichkeit und Homophobie wieder gesellschaftsfähig machen
wollten, sage „die gesamte SPD den Kampf an“.
Punkten will Schulz offenkundig mit seiner Herkunft aus „kleinen
Verhältnissen“. Er sei „der Sohn einfacher Leute, meine Mutter war
Hausfrau, mein Vater Polizist“. Es sei „arrogant, elitär und total
abgehoben“, wenn ihm vorgehalten würde, dass er kein Abitur habe, nie
studiert habe und aus der Provinz komme.“ All diese Dinge sehe ich nicht
als Makel, weil ich diese Zuschreibung mit der Mehrheit der Menschen
teile“, sagt Schulz unter lautem Beifall. „Ich schäme mich nicht, dass ich
aus Würselen komme.“
Seinem Verständnis nach müsse ein Kanzler die Alltagssorgen, Hoffnungen und
Ängste der Menschen nicht nur verstehen, sondern selbst mit tiefer Empathie
spüren können. Da sei er genau der Richtige. „Es geht ein Ruck durch die
SPD, es geht ein Ruck durch das ganze Land“, schließt er seine Rede.
Und, ist Schulz nun der Richtige? Die Frage geht an Knut Wenzig, das
langjährigen Berliner SPD-Mitglied. „Na ja“, sagt der. „Inhaltlich muss …
noch konkreter werden. Aber immerhin schleppt er nicht so eine große
Hypothek mit wie manche andere. Wie gesagt: Es war ein Anfang.“
29 Jan 2017
## AUTOREN
Pascal Beucker
Tobias Schulze
## TAGS
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