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# taz.de -- Krise der bayerischen Sozialdemokraten: Es fehlt an Köpfen
> Während die Bundes-SPD von ihrem neuen Chef beflügelt wird, geht es für
> die bayerischen Genossen weiterhin bergab.
Bild: Ewiger Bubi: Bayerns SPD-Chef Florian Pronold
München taz | Sommer 2016. Ein Gespräch über die Opposition in Bayern.
Erwin Huber, einst Chef der CSU, gibt sich nachdenklich. Der Mann, der
nicht für allzu große Zurückhaltung gegenüber dem politischen Gegner
bekannt ist, stimmt plötzlich ein Loblied auf die SPD an. „Ich bedaure“,
sagt Huber, „dass die hochverdiente Sozialdemokratie bei uns auf nur noch
20 Prozent oder sogar weniger abgesunken ist.“ Und dann zählt er auf, was
die Bayern der SPD zu verdanken hätten: den Aufbau der Demokratie nach dem
Ersten Weltkrieg, die Verfassungsgebung nach dem Zweiten Weltkrieg, den
Ausbau des Sozialstaats . . .
Es hat etwas von einem Nachruf.
Dabei ging es der SPD im vergangenen Sommer ja noch gut – vergleichsweise.
Zwischen 16 und 19 Prozent schwankten die Umfragewerte 2016 bei der
Sonntagsfrage. Zum neuen Jahr ereilte die SPD dann die Hiobsbotschaft: Nach
der jüngsten vom Bayerischen Rundfunk in Auftrag gegebenen Umfrage bekäme
die SPD nur 14 Prozent der Stimmen. Es ist ein Allzeittief.
Als wäre das nicht bitter genug, kommt während der Fraktionsklausur in
Kloster Irsee Ende Januar der nächste Schlag in die Magengrube: Der
Regensburger Oberbürgermeister Joachim Wolbergs wird wegen Bestechlichkeit
verhaftet. Die Parteispitze steht besonders in der Kritik, weil sie unter
Verweis auf die Unschuldsvermutung die Dinge in Regensburg einfach hat
laufen lassen. Der ehemalige Landtagsabgeordnete Linus Förster macht es
seiner Partei leichter. Auch er sitzt in Untersuchungshaft, unter anderem
wird ihm der Besitz von Kinderpornografie vorgeworfen. Aber anders als
Wolbergs gibt Förster recht zügig Mandat, Ämter und Parteimitgliedschaft
ab.
Dann das Drama um die Bundestagsliste: Bei der Aufstellung der bayerischen
Kandidaten wird die aus Niederbayern stammende Juso-Bundesvorsitzende
Johanna Ueckermann auf den recht aussichtslosen Platz 26 durchgereicht. Die
Jusos machen dafür die Oberbayern-SPD verantwortlich, Bezirkschef Ewald
Schurer und sein Vize Florian Post hätten gegen Ueckermann intrigiert.
## Pronold unter Druck
Kurzerhand erklären die Jungsozialisten die beiden Bundestagsabgeordneten
zu unerwünschten Personen und erteilen ihnen Hausverbot auf allen ihren
Veranstaltungen. Masochisten dürfte es derzeit im zweitgrößten
Landesverband der SPD besonders gut gefallen.
Am stärksten unter Druck ist Parteichef Florian Pronold. Den Job macht der
44-Jährige nun schon im achten Jahr. Außerdem ist er parlamentarischer
Staatssekretär im Bundesumweltministerium. „Eigentlich hat er alles, was
ein Politiker braucht“, sagt Kabarettist Helmut Schleich über ihn: „Er ist
aus Deggendorf, g’standener Bankkaufmann und studiert – aber er bleibt das
ewige Bubi. Es ist mir rätselhaft, warum. Aber in Bayern wird er nicht im
Ansatz ernst genommen.“
In der Fraktion wie in der Landesgruppe machen nun nicht wenige das Bubi
für die schlechte Performance verantwortlich, allerdings – auch dies hat
Tradition in der Bayern-SPD – hinter vorgehaltener Hand. Nachdem man
Pronold erst vor wenigen Wochen zum Spitzenkandidaten gekürt hat, sprechen
nun immer mehr GenossInnen von seiner möglichen Abwahl auf dem Parteitag im
Mai in Schweinfurt. Der Parteichef ist auf alles gefasst: „Die SPD ist
immer für Überraschungen gut“, sagt Pronold. Und es gebe ja die Möglichkeit
einer Gegenkandidatur. „Bisher hat sich noch niemand gemeldet. Aber das war
das letzte Mal auch so.“ In der Tat, damals trat ein 71-jähriger Nobody
gegen ihn an. Das war überraschend. Noch überraschender – und unangenehmer
für Pronold – war, dass dieser aus dem Stand 31,7 Prozent der Stimmen
holte.
Die größten Chancen für eine Pronold-Ablöse werden Generalsekretärin
Natascha Kohnen und dem Umweltpolitiker Florian von Brunn eingeräumt. Nur,
von Brunn kennt kaum jemand. Und Kohnen hat es zwar vor einem Jahr mit
einer Wutrede im Landtag, die zum YouTube-Hit avancierte, zu einiger
Bekanntheit gebracht, ist aber schon qua Amt zu nah am jetzigen Parteichef,
als dass sie für einen tatsächlichen Neuanfang stehen könnte.
## Kein bayerischer Martin Schulz in Sicht
Dann gäbe es da noch Markus Rinderspacher, seines Zeichens Fraktionschef im
Landtag. Der gebürtige Kaiserslauterer formuliert zwar druckreif, gern auch
überspitzt, gehört aber nicht zu den Politikern, wie sie dem bayerischen
Wähler zu vermitteln wären – auch wenn der Oppositionsführer sich selbst
gern auf Augenhöhe des Ministerpräsidenten sieht. Zuletzt wandte er sich in
einer Weihnachtsansprache per Video an die Bayern – ganz im Stile von
Bundespräsident, Kanzlerin oder eben Ministerpräsident. Solche Aktionen
sind auch manchem Parteifreund peinlich. SPD-Chef will Rinderspacher
eigenem Bekunden nach aber nicht werden. Ebenso wenig wie die beliebten
Oberbürgermeister von Nürnberg, München, Passau oder Fürth.
So zementiert wie heute war der Verliererstatus der SPD nicht immer.
Einmal, 1950, verdrängte sie die CSU stimmenmäßig sogar von Platz eins. Und
von 1954 bis 1957 gab es, zum einzigen Mal nach dem Krieg, einen gewählten
SPD-Ministerpräsidenten: Wilhelm Hoegner. Doch dann ging es bergab. Selbst
Renate Schmidt schaffte es in den Neunzigern nicht, einen
Regierungswechsel herbeizuführen – und das, obwohl die CSU sich nach der
Regentschaft des bekennenden Amigos Max Streibl erst wieder aufrappeln
musste.
Ein bayerischer Martin Schulz jedenfalls ist nicht in Sicht. „In Bayern
fehlt es der SPD an Köpfen“, findet Erwin Huber. „Die Renate Schmidt hat
der CSU noch das Fürchten beigebracht.“ Damals fuhr die SPD regelmäßig
Wahlergebnisse um die 30 Prozent ein.
In der aktuellen Umfrage trennt sie nur noch ein Prozentpunkt von den
Grünen. Volkspartei – das war einmal. Gekämpft wird nicht mehr um den
Posten des Ministerpräsidenten, sondern um den des Oppositionsführers.
29 Jan 2017
## AUTOREN
Dominik Baur
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