# taz.de -- Schulzologie: Ohne Gegenzauber | |
> Die Union sucht nach einem Rezept gegen Martin Schulz – bislang | |
> erfolglos. Eine aber tut, was sie am besten kann: auf die Fehler des | |
> Gegners warten. | |
Bild: Gewerkschaftsveranstaltung mit dem Kanzlerkandidaten: Die eigene Klientel… | |
Wer die Macht erobern will, muss die Machthaber angreifen. Der | |
Herausforderer muss attackieren, um zu beweisen, dass es Zeit für einen | |
Wechsel und er der bessere Kandidat ist. | |
Das ist eine eiserne Wahlkampfregel und ein stets heikles, | |
absturzgefährdetes Unterfangen – gerade wenn die Gegnerin Angela Merkel | |
heißt und die SPD auch noch mit auf der Regierungsbank sitzt. Denn es gilt | |
klarzumachen, dass man einerseits wirklich etwas anders und nicht bloß | |
ewiger Juniorpartner sein will – andererseits aber kann jeder zu scharfe | |
Angriff zum Bumerang werden. | |
Gerade wenn sich Männer die Kanzlerin vorknöpfen, wirkt das schnell | |
unerfreulich machohaft. Oder fast noch schlimmer – bloß gespielt, weil das | |
Publikum ja weiß, dass Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück sich | |
eigentlich prima mit Angela Merkel verstehen. Doch jetzt sorgt der | |
Schulz-Hype für einen erstaunlichen Rollentausch. Die Union sucht | |
verzweifelt nach einem Gegenzauber – bislang ohne Erfolg. | |
Dass ein besonnener, intellektuell versierter Mann wie Wolfgang Schäuble | |
den SPD-Wundermann als deutschen Donald Trump anzuschwärzen versucht, | |
zeigt, wie es bei der Union aussieht: Panik und Ratlosigkeit trüben das | |
Urteilsvermögen dramatisch. Immerhin haben die Wahlstrategen der Union | |
begriffen, dass es nichts nutzen wird, Schulz vorzuhalten, dass ihm das | |
Abitur fehlt. Denn das wirkt mehr als dünkelhaft. | |
Die Bundesdeutschen mögen Aufsteiger, die von weit unten kommen, so wie | |
Gerhard Schröder oder Joschka Fischer. Denen sieht man sogar eine gewisse | |
Rüpelhaftigkeit nach. Wahrscheinlich sind diese Politikertypen gerade | |
deshalb so beliebt, weil es mit der sozialen Mobilität in Deutschland seit | |
Jahrzehnten bergab geht. | |
## Schulz kommt in allen Milieus an | |
Die Bundesrepublik ist eine Klassengesellschaft, mehr als früher. Wer im | |
Unterschichtsmilieu groß wird, bleibt Unterschicht. Die Karrieren von | |
Fischer, Schröder und Martin Schulz faszinieren das Publikum, gerade weil | |
sie untypisch sind. | |
Verblüffend an den Umfragen ist nicht nur das Tempo des SPD-Zuwachses, | |
sondern ebenso, dass die neue SPD-Lichtgestalt in allen Milieus ankommt. | |
Grüne und AfD-Sympathisanten, CDU-Klientel, Linke und Nichtwähler können | |
sich ihn als Kanzler vorstellen. | |
Eine Umfrage hat kürzlich gezeigt, dass mehr als zwei Drittel der Deutschen | |
mit ihrer wirtschaftlichen Lage zufrieden sind. Nur sechs Prozent haben das | |
Gefühl, dass es ihnen ökonomisch mies geht. Gleichzeitig blicken die | |
Deutschen sorgenvoll auf das große Ganze. | |
Der Soziologe Heinz Bude ist der Ansicht, dass die Schulz-Festspiele | |
Ausdruck einer unterschwelligen, schon seit Längerem gärenden „Gereiztheit�… | |
in der Mitte der Gesellschaft sind. Dort ist man stolz auf den Job und das | |
Geleistete. Doch darunter meldet sich das Gefühl, erschöpft zu sein von der | |
Arbeit, die immer mehr fordert – mehr Zeit, Aufmerksamkeit, Flexibilität. | |
Diese Mixtur aus Zufriedenheit und Ausgelaugtheit mag ein Grund für jene | |
unvorhergesehene Welle der Popularität sein, die Schulz weniger verursacht | |
hat, als dass sie ihm entgegengeschlagen ist. Er eignet sich für diese | |
Rolle, gerade weil er Bekanntes und Neues kombiniert, weil er ein | |
erfahrener, in Apparaten und Bürokratien gestählter Politiker ist und auf | |
nationaler Bühne doch wie ein Neuling bestaunt werden kann. | |
## Immun gegen Angriffe der Konkurrenz | |
Er ist das Versprechen, dass alles im Grunde bleiben soll, wie es ist, und | |
doch anders werden soll – sozialer, gerechter, weniger zerstörerisch. Das | |
Label Schulz funktioniert so, wie Roland Barthes den Mythos definiert – als | |
Versprechen, das Komplexe in einer Erzählung zu vereinfachen und das | |
Widersprüchliche aufzulösen. | |
Solange diese Stimmung anhält, dürfte der SPD-Mann weitgehend immun gegen | |
die Angriffe der Konkurrenz sein. Die Union greift derzeit sowieso nur zu | |
plakativen Formeln. Schulz sei „unredlich“ und, so CDU-Mann Jens Spahn, | |
„eine Bankrotterklärung der SPD“. | |
Das ist durchschaubar aus reiner Nervosität geboren und vor allem der | |
Versuch, wenigstens die eigene, zwischen Merkel und Seehofer zerrissene | |
Kernklientel auf den Gegner einzuschwören. Was macht eigentlich die | |
Kanzlerin? Angela Merkel tut, was sie am besten kann – schweigen. Niemand | |
versteht es so geduldig, ruhig und selbstsicher auf Fehler ihrer Gegner zu | |
warten. Damit hatte sie immer Erfolg. Bis jetzt. | |
14 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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