Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Jens Spahn über Flüchtlinge: „Jeder Fall wird intensiv geprüft…
> Jens Spahn ist die Hoffnung der rechten CDU. Ein Interview über
> Abschiebungen, Erdoğan-Fans in Deutschland und Religionsfreiheit.
Bild: Hat seine Sendefrequenz gefunden: Jens Spahn
taz.am wochenende: Herr Spahn, sind Sie ein Populist?
Jens Spahn: Wie definieren Sie Populist?
Jemand, der zuspitzt, verkürzt, auf Kosten von Minderheiten.
Definitiv nein.
Sie haben gesagt, dass „Parallelgesellschaften und Familienclans ganze
Straßenzüge übernommen haben“. Dass es Straßen fast ohne Frauen gebe, „…
wenn, dann mit Kopftuch“. Damit fördern Sie die Angst, fremd im eigenen
Land zu sein.
Noch mal nein. Ich beschreibe eine Situation. Wir haben in Duisburg,
Hamburg und Berlin Straßenzüge, die von Clans beherrscht werden, deutschen
Rockerclans oder libanesischen Großfamilien. Das sind teils rechtsfreie
Räume, da muss die Polizei mit einer Hundertschaft anrücken, um einen
Strafzettel auszustellen. Es gibt zu viele, die nicht mit uns, sondern
neben uns her leben, zum Teil auch gegen uns. Solche Probleme müssen wir
ansprechen. Sonst machen das die Spalter.
Marxloh oder Neukölln werden in TV-Sendungen doch als Problemkieze gezeigt
– oft drastischer, als es vor Ort ist. Ihre CDU redet sogar von
No-go-Areas. Das sind Angstbilder.
Nein, das sind Tatsachen. Würden Sie sagen, dass es in Berlin oder NRW
keine Gegenden gibt, in denen Frauen Angst empfinden?
Das ist aber nicht neu. Die gab es vor 50 Jahren auch.
Wenn ich in Berlin-Kreuzberg beim Spaziergang im Görlitzer Park mehrfach
offen Drogen angeboten bekomme, dann ist das inakzeptabel. Gehen Sie mit
Ihren Kindern durch den Görlitzer Park?
Ich wohne dort, mein Sohn spielt da Fußball. Ihr Parteifreund Henkel, bis
vor Kurzem Innensenator in Berlin, hat dort Law and Order praktiziert mit
hunderten Polizeieinsätzen pro Jahr. Ergebnis: kein Dealer weniger.
Drogenhandel an öffentlichen Plätzen darf keine Stadt akzeptieren. Wir
haben offenkundig ein Problem, Recht durchzusetzen. Es gibt Drogendealer,
die als zigfache Wiederholungstäter ein paar Stunden nach der Festnahme
wieder frei sind, weil der Richter sagt: Fester Wohnsitz, Verfahren ist in
ein paar Monaten, kann erst mal wieder gehen. Wir brauchen aber klare
Ansagen, gerade an Täter, die aus ihren Heimatländern eine weniger
zimperliche Polizei gewohnt sind. Der Eindruck, dass die deutsche Justiz
unfähig ist, Recht durchzusetzen, ist fatal. Und wer 50 Euro Steuerschulden
hat, steht mit einem Bein im Gefängnis.
Der brave Bürger wird wegen Kleinigkeiten belangt, der migrantische
Drogendealer läuft frei herum – das ist Populismus, Herr Spahn.
Nein, bei Strafzetteln oder Steuern funktioniert die Durchsetzung des
Rechts knallhart, an anderen Stellen eben nicht. Nehmen Sie den Fall Anis
Amri, der mit 14 Identitäten unterwegs war und Sozialbetrug beging. Oder
Intensivstraftäter, die immer wieder freikommen, obwohl sie
ausreisepflichtig sind.
Migranten tauchen bei Ihnen nur als Problem auf. Sie gefährden die
Sicherheit, sie bedrohen uns, müssen kontrolliert werden.
Das ist Quatsch. Ich weise immer wieder darauf hin, dass wir Millionen
guter, erfolgreicher Integrationsgeschichten in Deutschland haben. Ich will
die offene Gesellschaft, ich liebe Vielfalt. Vorbehalte gegen Menschen, die
anders sind als man selbst, bauen sich meist nur durch den direkten
persönlichen Kontakt ab. Aber wir reden zu wenig über die Probleme.
Sie reden dauernd darüber.
Stimmt. Und dann heißt es pauschal „Populist“ oder „Rassist“. Da mache…
sich viele zu einfach. Nicht alles, was kulturell anders ist, ist per se
eine Bereicherung. Die kulturell verankerte Machokultur mancher Migranten
oder Mädels, die nicht zum Schwimmunterricht gehen dürfen, passen mit
unseren Werten schlicht nicht zusammen. Mir geht es da um das
Grundsätzliche. Ich habe mit dem orthodoxen Juden, der einer Frau nicht die
Hand gibt, genauso Probleme wie mit einem Imam, der einer Frau nicht die
Hand gibt. Wenn das Frauenbild, das in manchen Moscheen Alltag ist, in
einer katholischen Dorfkirche im Münsterland gepredigt würde, würde die taz
das zu Recht anprangern. Warum nicht der gleiche kritische Blick auf den
Islam wie auf die katholischen Kirche? Mehr will ich nicht.
Macht Ihnen der Applaus von rechts keine Sorgen?
Mich sorgt eher, dass die offene Gelassenheit, zu der unsere Gesellschaft
über die Jahre gegenüber Neuen, Fremden, Anderen, etwa im Umgang mit
Schwulen und Lesben, gefunden hat, unter Druck ist – und zwar von rechts
wie durch einen reaktionären Islam gleichermaßen. Denn was in den Moscheen
stattfindet, ist zu oft nicht auf Integration und Offenheit gegenüber
unserer Gesellschaft angelegt, sondern auf Abschottung gegen die angeblich
Ungläubigen. Deutschland braucht Regelungen, damit viele Moscheegemeinden
nicht mehr aus der Türkei oder Saudi-Arabien finanziert werden. Ziel ist
doch, dass die Moscheegemeinden in der deutschen Gesellschaft ankommen.
Also ein Islamgesetz?
Integrationsgesetz, Imamgesetz, Islamgesetz – der Name ist egal.
Eine Lex Islam kollidiert aber mit Artikel 4 des Grundgesetzes: „Die
ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“ Da steht nicht: „Die
ungestörte Religionsausübung in deutscher Sprache oder so, wie die CDU sich
das vorstellt, wird gewährleistet.“
Religionsfreiheit ist nichts Freischwebendes. Die Frage ist: Will Ditib als
Moscheenverband ein Ableger der türkischen Religionsbehörde bleiben oder
mit uns gemeinsam den Weg zu einer aus Deutschland finanzierten
muslimischen Gemeinde gehen? Diese Frage muss erlaubt sein. Es muss möglich
sein, schädliche Auslandsfinanzierung von Moscheen gesetzlich zu
unterbinden.
Soll das Verbot, Geld aus dem Ausland zu bekommen, nur für islamische oder
für alle religiösen Gemeinschaften gelten?
Das hängt ja davon ab, wie man das angeht. Ich weiß nur: Die Integration
von Millionen Muslimen mit ihrem Glauben ist die größte
gesellschaftspolitische Aufgabe in Westeuropa und in Deutschland. Die muss
auf die Tagesordnung. Ich kann mit keinem der Imame zu Hause im Münsterland
Deutsch reden. Wir brauchen mehr Imame, die in Deutschland ausgebildet
werden. Dafür sollten wir auch deutsche Steuermittel einsetzen. Welche
weiteren Defizite es gibt, hat auch das Abstimmungsverhalten vieler Türken
in Deutschland gezeigt. Türkische Migranten, die zwar Deutsch sprechen,
einen guten Job haben und trotzdem die Flagge für Erdoğans Verfassung und
die Todesstrafe schwenken – das soll gelungene Integration sein?
Integrationsprozesse verlaufen nicht linear, sondern im Zickzack. Das muss
man akzeptieren, auch wenn es manchmal schwerfällt. Glauben Sie, dass
Drohungen – etwa als Strafe den Doppelpass wieder abzuschaffen – wirklich
etwas bringen?
Mehrstaatlichkeit führt auf Dauer jedenfalls nicht zum Ziel. Gesellschaften
funktionieren nur über Zusammenhalt und eine gemeinsame Identität. Beides
löst sich auf, wenn zu viele zwei, drei oder noch mehr Pässe haben. Wir
können von der zweiten oder spätestens der dritten Einwanderergeneration
erwarten, dass sie für sich sagt: Wir sind Deutsche. Das hier ist unsere
Heimat. Man kann die Kultur der Großeltern auch ohne deren Pass pflegen.
Der Doppelpass wird auch bei dem Teil der Syrer, der dauerhaft bleiben
wird, mal ein Thema werden. Wenn sie hier schon leben, wäre es schön, wenn
die zweite und dritte Generation der Syrer dann nur einen deutschen Pass
haben wird.
Wenn sie hier schon leben? Sie haben einen permanent abwertenden Unterton
gegenüber Minderheiten . . .
Das ist wirklich Quatsch.
Deutschland schiebt nach Afghanistan ab. Finden Sie das korrekt?
Jeder einzelne Fall wird vorher intensiv geprüft. Bei vielen Afghanen
entscheiden die Behörden, dass sie bleiben können.
Das Bundesinnenministerium kann nicht definieren, welche Gegenden in
Afghanistan sicher sind. Deutschland schiebt also Migranten in den
möglichen Tod ab.
Wenn wir jedes Land, in dem es Attentate und Gewalt gibt, generell von
Abschiebungen ausklammern, heißt das: Jeder kann bleiben. Damit verstärken
wir den Anreiz, hierherzukommen.
Ist es denn vertretbar, Flüchtlinge in ein Land schicken, in dem Taliban
Terroranschläge verüben?
In Afghanistan leben 35 Millionen Menschen. Wenn es dort so gefährlich ist
– wollen Sie diese 35 Millionen nach Europa, nach Deutschland holen?
Wieder ein Angstbild. Es geht um jene, die abgeschoben werden sollen.
Kürzlich hat sich in Bayern ein afghanischer Flüchtling aus Furcht vor der
Abschiebung getötet. Wie empfinden Sie das als Katholik?
Da brauchen Sie mich nicht als Katholik fragen, es reicht, wenn Sie mich
als Mensch ansprechen. Jede Selbsttötung tut mir weh. Aber welche
Schlussfolgerung soll ich daraus ziehen? Niemand mehr abzuschieben?
Jedenfalls in kein Land mit unklarer Gefahrenlage. Deswegen schieben zum
Beispiel Berlin und Schleswig-Holstein auch nicht nach Afghanistan ab.
Ja, das bringt Applaus, ist aber keine Lösung. Es gibt derzeit viel zu
viele Menschen in Deutschland, die ausreisepflichtig sind. Und am Ende
müssen wir die rechtsstaatlich getroffene Entscheidung auch durchsetzen.
Wenn wir das nicht tun, geht die Akzeptanz für unser Asylrecht schneller
verloren, als uns dreien lieb ist.
30 Apr 2017
## AUTOREN
Stefan Reinecke
Anja Maier
## TAGS
Jens Spahn
Flüchtlingspolitik
Integration
Doppelpass
Abschiebung
Jens Spahn
Jens Spahn
Asylrecht
Journalismus
Kanzlerkandidatur
Martin Schulz
Union
Kanzlerkandidatur
Schwerpunkt Angela Merkel
## ARTIKEL ZUM THEMA
Hipster als Gefahr für deutsche Identität: Yesterday-Jens
Wir haben kaum problems in Germany. Deshalb ist es auch so hard, ein
Wahlkampfthema zu finden. Jens Spahn hat finally 1: Englisch sprechende
Hipster.
Kommentar zu Englisch in Restaurants: Plump den Stammtisch bedient
Der CDU-Politiker Jens Spahn echauffiert sich darüber, dass Berlins Kellner
manchmal kein Deutsch könnten. Willkommen in Europa, Herr Spahn!
Asylrecht in Deutschland: Noch einen drauf
Die Regeln für den Umgang mit Asylsuchenden werden verschärft. Der
Bundestag stimmte einem Gesetzentwurf zu, der sogar Handy-Durchsuchungen
ermöglicht.
Recherche über Moscheen in Deutschland: Gesicht der Misstrauenskultur
Per Buch und ARD-Doku-Serie erkundet Constantin Schreiber den Alltag in
deutschen Moscheen. Dabei unterlaufen ihm peinliche Schnitzer.
Schulzologie: Ohne Gegenzauber
Die Union sucht nach einem Rezept gegen Martin Schulz – bislang erfolglos.
Eine aber tut, was sie am besten kann: auf die Fehler des Gegners warten.
Schulz soll SPD-Kandidat werden: Lob von den Jusos
Den Wechsel der Kanzlerkandidaten in der SPD finden die Jusos gut. Die
Union hält sich zurück – bis auf Jens Spahn, der diesen als „Sturzgeburt�…
bezeichnet.
CDU und CSU zum Anschlag in Berlin: Dirty Horst hat das Wort
Seehofer fordert die „Neujustierung“ der Zuwanderungs- und
Sicherheitspolitik. Prompt tritt der Konflikt zwischen CDU und CSU offen
zutage.
Der „Guardian“ zur Merkel-Nachfolge: Wie auf Droge
Könnte der nächste CDU-Kanzler Jens Spahn heißen? Der britische „Guardian�…
setzt dieses Gerücht in die Welt – und beweist damit seinen Sinn für Humor.
Kommentar Kanzlerin zu Deutschtürken: Der Aberglaube der Angela Merkel
Die Kanzlerin fordert die Loyalität der Türkeistämmigen. Die kann man aber
nicht erzwingen, sondern nur gewinnen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.