Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Recherche über Moscheen in Deutschland: Gesicht der Misstrauenskul…
> Per Buch und ARD-Doku-Serie erkundet Constantin Schreiber den Alltag in
> deutschen Moscheen. Dabei unterlaufen ihm peinliche Schnitzer.
Bild: Auf Abstand bedacht: Constantin Schreiber beim Besuch einer Moschee
Constantin Schreiber war mal das Gesicht der „Willkommenskultur“. Für die
Sendung „Marhaba“, mit der er Flüchtlingen das Grundgesetz erklärte,
erhielt er den Grimme-Preis. Nun hat er sich dafür entschieden, das Gesicht
der Misstrauenskultur gegen Muslime zu werden.
Etwa 2.750 Moscheen gibt es in Deutschland, die meisten davon sind
sogenannte „Hinterhof-Moscheen“. Rund 20 hat der Journalist Constantin
Schreiber im vergangenen Jahr besucht – eine rein zufällige Stichprobe, wie
er selbst sagt. Die Ergebnisse hat er in einem Buch aufgeschrieben, das er
vollmundig „Inside Islam“ betitelte. Für die ARD hat er zudem einen
mehrteiligen [1][Moscheereport] produziert, dessen erste, 15-minütige Folge
am Montag auf tagesschau24 ausgestrahlt wurde.
Den Alltag in deutschen Moscheen erkunden zu wollen ist ehrenwert. Dass
Schreiber sich die Mühe gemacht hat, die Predigten, die er in 13 Moscheen
gehört und heimlich mitgeschnitten hat, ins Deutsche übersetzen zu lassen
und in seinem Buch zu dokumentieren, zeugt vom Bemühen um Sachlichkeit und
journalistische Transparenz. Diese Fleißarbeit ist die größte Stärke seines
Buchs, denn so erhält man einen unverstellten Eindruck von der Struktur,
dem Aufbau und den Inhalten dieser Freitagspredigten, die sich in Tonfall,
Stil und Botschaft stark unterscheiden.
Leider nähert sich Schreiber dem Thema aber wie ein Ethnologe aus der
Kolonialzeit, der einem vermeintlich wilden und gefährlichen Indianerstamm
nachspürt, was sich schon am [2][Buchcover] im Lawrence-von-Arabien-Stil
zeigt. Und leider unterlaufen ihm ein paar peinliche Schnitzer.
## Raunender Exotismus
„Es ist eine Schwelle, die nur wenige Deutsche überschreiten. Sie sind für
die meisten von uns eine fremde Welt“ – so raunend beginnt der [3][erste
Teil] seines „Moschee-Reports“. Damit tritt Constantin Schreiber gleich ins
erste Fettnäpfchen, indem er nahelegt, dass die Moscheebesucher in seinen
Augen keine Deutschen sein können. So exotisierend geht es munter weiter.
Er klagt, dass er seine Schuhe ausziehen muss, obwohl ihm kalt ist, und
fragt seine Gesprächspartner als Erstes, ob es gerecht sei, dass Männer und
Frauen nicht zusammen beten. Man kann diese naive Herangehensweise
erfrischend finden. Leider ist die Naivität nicht gespielt: Schreiber
spricht zwar Arabisch, das hat er bei einem Aufenthalt in Damaskus gelernt.
Aber er scheint nur wenig Vorwissen zum Islam mitzubringen, dafür aber
einige Vorurteile.
Ärgerlich ist, dass Schreiber den Eindruck erweckt, es sei ein besonderes
Wagnis, in Deutschland eine Moschee zu besuchen, als seien diese eine Art
Geheimwelt. In Wirklichkeit stehen die meisten von ihnen interessierten
Besuchern offen, und in vielen Moscheen stehen Menschen bereit, um
Interessierten bei Bedarf Fragen zu beantworten.
Für die zweite Folge seines „Moscheereports“ suchte Schreiber mit seinem
Team die Moschee und [4][Begegnungsstätte Dar Assalam] in Berlin-Neukölln
auf. Nachdem der Beitrag in dieser Woche online zu sehen war, hat die
Moschee jetzt angekündigt, Schreiber deshalb zu verklagen, und die ARD hat
die Folge rasch wieder aus ihrer Online-Mediathek entfernt. Schreiber und
seine Redaktion sollen sich auch schriftlich entschuldigt haben, sagt die
Moschee.
## Einer Fehlübersetzung aufgesessen
In dem entfernten Beitrag pries der tunesische Gastprediger Abdelfattah
Mourou in der Dar-Assalam-Moschee das Leben in Deutschland, weil hier jeder
glauben und anziehen darf, was er will, und fragte seine deutschen Zuhörer:
„Was wollt ihr noch mehr?“ Darauf ging Schreiber in seinem Beitrag aber
nicht ein. Stattdessen nannte er den Prediger einen „Islamisten“, weil
dieser der tunesischen Ennahda-Partei nahesteht, und dachte laut darüber
nach, ob die Predigten hier wohl anders klingen, „wenn keine TV-Kameras da
sind“. Das läuft auf den Vorwurf hinaus, hier werde Liberalität nur
vorgetäuscht.
Ein anschließendes Studiogespräch mit dem Freiburger Religionspädagogen
Hakim-Abdel Ourghi kreiste minutenlang um eine Fehlübersetzung, die auch
vom vermeintlichen Experten nicht als solche erkannt wurde. Die Moschee
stellt jetzt in einer Pressemitteilung klar, dass sie nichts zu verbergen
habe: alle Predigten würden „simultan ins Deutsche übersetzt, sodass sich
jeder ein eigenes Bild machen“ könne
Im Buch behauptet Ourghi sogar, in arabischen Moscheen würden „häufig
Sachen gesagt wie ‚Gott möge Israel vernichten‘ oder ‚Gott möge uns im
Kampf gegen Christen und Juden unterstützen‘“. Schreiber selbst hat dafür
bei seinen Recherchen kein einziges Beispiel gefunden, hinterfragt diese
Behauptung aber auch nicht.
## Fehlende Sorgfalt mit System
In seinem Buch „Inside Islam“ springen einem Schreibers fehlende Sorgfalt
und Sachkenntnis öfters schmerzhaft ins Auge. Insgesamt 13 Moscheen hat
Schreiber für sein Buch besucht, über die Hälfte davon in Berlin, nur
diesmal ohne Kameras und ohne Voranmeldung. So suchte er die moderne
Umar-ibn-al-Khattab-Moschee in Berlin-Kreuzberg auf, deren Minarette und
Kuppel die Hochbahn-Strecke der U-Bahn-Linie 1 überragen, und wo im Juni
2016 zum Thema der „Armensteuer“ im Islam gepredigt wurde.
Weil Schreiber mit den Inhalten der Predigten selbst meist nur wenig
anfangen konnte, fragte er mutmaßliche Experten um Rat. Doch die sind in
ihrem Urteil auch nicht immer ganz trittsicher.
Wenn etwa der Imam in Kreuzberg in seiner Predigt viel von Datteln und
Kamelen spricht, meint die Frankfurter Ethnologin Susanne Schröter, dass
diese märchenhafte Sprache wohl der Absicht diene, seine Gemeinde davon
abzuhalten, mental in Deutschland anzukommen. Das kann man so sehen,
besonders zwingend ist diese Schlussfolgerung nicht. Und dass Schreiber bei
seinem Besuch in einer Ahmadiyya-Moschee in Berlin-Wilmersdorf eine
problematische Broschüre in die Hände fiel, dafür macht Schröter kurzerhand
die gesamte [5][Ahmadiyya-Bewegung] verantwortlich. Dabei wird die Moschee
in Wilmersdorf von einer [6][Abspaltung] der Ahmadiyya-Gemeinde betrieben,
die kaum etwas mit dem Hauptstrom der Bewegung zu tun hat.
Nicht, dass alles unproblematisch gewesen wäre, was Schreiber so zu Ohren
kam. In Potsdam forderte ein Prediger seine Zuhörer, unter denen sich viele
Flüchtlinge befanden, dazu auf, für ihren Glauben zu werben, anders gesagt:
zu missionieren. In einer konservativ-türkischen Moschee im Migrantenbezirk
Berlin-Wedding warnte ein anderer vor der „Weihnachtsgefahr“, ohne das
näher auszuführen, und vor der TV-Serie „Verbotene Liebe“.
Gerade in den türkischen Moscheen waren zuweilen deutlich nationalistische
Töne zu vernehmen. Schreiber war kurz nach dem Putschversuch in der Türkei
in der Sehitlik-Moschee in Berlin, in der die Stimmung seht aufgewühlt war.
Die martialische Freitagspredigt jenes Tages ist aber breit diskutiert und
vielfach kritisiert worden, und sie ist nicht repräsentativ für die
Predigten in den Ditib-Moscheen, deren Inhalte, für jeden einsehbar,
regelmäßig auf der [7][Webseite des Verbands] auf Deutsch veröffentlicht
werden. Auf diese Einordnung verzichtet Schreiber jedoch, oder ihm sind
diese Tatsachen nicht bekannt.
## Bei türkischen Hisbollah-Fans
Die einzige schiitische Moschee, die er in Berlin aufsucht, ist
ausgerechnet ein stadtbekannter Treffpunkt von türkischen
Hisbollah-Sympathisanten, die sich alljährlich zum „Al-Quds-Tag“ am
berüchtigten Anti-Israel-Protest beteiligen. Dort hört Schreiber die mit
Abstand schlimmste Predigt, in der unverhohlen gegen Demokratie und
Liberalismus und angeblich auch gegen die Minderheit der Jesiden gehetzt
wird. Genau 90 Moscheen in Deutschland werden wegen solcher Predigten vom
Verfassungsschutz überwacht. Charakteristisch ist das also nicht.
Zutreffend ist Schreibers Beobachtung, dass die meisten Freitagspredigten,
die er verfolgt hat, wenig bis kaum Bezug zum Leben in Deutschland
aufwiesen. Viele der Prediger, denen er lauschte, benutzten eine blumige
Sprache, vertraten aber eine unverblümt konservative Moral. Sie ermahnten
ihre Zuhörer, sich an ihre religiösen Pflichten zu halten, sich nicht durch
Materialismus verleiten zu lassen oder falschen Propheten zu folgen. Damit
waren meist Salafisten gemeint, die sich mit ihrem Halbwissen auf Youtube
zu Islam-Gelehrten aufschwingen. In den türkischsprachigen Moscheen konnte
sich das aber auch auf den Prediger Fethullah Gülen beziehen, der von der
türkischen Regierung für den Putschversuch des letzten Jahres in der Türkei
verantwortlich gemacht wird. Schreiber beschreibt diese Predigten als
„langatmig“, „belanglos“ oder gar “religiös abgedreht“, was vermut…
manche junge Muslime so empfinden mögen.
Verständlich ist auch, dass Schreiber bedauert, dass viele Imame kein oder
nur schlechtes Deutsch sprechen, obwohl sie zum Teil schon lange in
Deutschland leben. Unverständlich ist aber, wie Schreiber zu seinem Fazit
kommt, die Warnung vor dem Leben in Deutschland und einem westlichen
Lebensstil habe sich durch fast alle Predigten wie „ein roter Faden“
gezogen, wie er jetzt in vielen seiner Interviews behauptet. Die
Freitagspredigten, die er in seinem Buch dokumentiert, lassen diesen
Schluss nicht zu.
Die Ermahnung, sich an religiöse Gebote zu halten, läuft ja noch nicht auf
den Ruf nach Abgrenzung hinaus. Und kein einziger Prediger rief zu Gewalt
oder zum Gesetzesbruch auf, ganz im Gegenteil. Aber nur wenige Leser werden
sich die Mühe machen, sich die Predigten im Buch so genau durchzulesen,
zumal sie sich nicht von selbst verstehen. Statt dessen werden viele auf
die Aussagen vertrauen, die Schreiber in seinen Interviews macht, die er
derzeit gibt. Und da suggeriert er, dass in deutschen Moscheen durchwegs
Ungeheuerliches und Skandalöses gepredigt werde.
## Applaus von rechter Seite
Sein [8][Interview im Berliner Tagesspiegel], in dem Schreiber ein
besonders dramatisches Bild zeichnete, wurde auf rechten Seiten besonders
eifrig geteilt. Dass er in einer Zeit, in der Moscheen fast wöchentlich das
Ziel von Übergriffen sind, mit seinen dramatischen Übertreibungen alles nur
noch schlimmer macht, scheint Schreiber nicht zu bekümmern. Als er am
Dienstag in Berlin sein Buch vorstellte, sagte er, Applaus von der falschen
Seite dürfe einen „nicht davon abhalten, kritische Fragen zu stellen“. Sein
Gast und Co-Präsentator Jens Spahn (CDU) nutzte die günstige Gelegenheit
ausgiebig, wieder einmal [9][schärfere Regeln für Moscheen und Muslime] zu
fordern.
„Wer predigt dort, wer geht dorthin, was wird dort gepredigt? Welche Rolle
spielen Moscheen bei der Integration von Muslimen in Deutschland?“, fragt
Schreiber eingangs in seiner TV-Reportage. Das sind alles wichtige Fragen,
auf die er leider zu wenig Antworten gibt. Was damit zu tun hat, dass es
dafür nicht ausreicht, nur ein paar Freitagspredigten auf problematische
Stellen abzuklopfen.
31 Mar 2017
## LINKS
[1] https://www.tagesschau.de/inland/moschee-report-101.html
[2] http://www.ullsteinbuchverlage.de/nc/buch/details/inside-islam-978343020218…
[3] https://www.tagesschau.de/inland/moschee-report-101.html
[4] http://www.nbs-ev.de/
[5] http://www.ahmadiyya.de/home/
[6] http://aaiil.org/german/
[7] http://ditib.de/
[8] http://www.tagesspiegel.de/medien/der-moscheereport-mit-constantin-schreibe…
[9] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-03/cdu-jens-spahn-islam-gesetz
## AUTOREN
Daniel Bax
## TAGS
Journalismus
Islam
Moschee
Imame
Extremismus
Kanzlerkandidatur
Jens Spahn
Islam
Ditib
Identitäre Bewegung
Right Trash
Ditib
## ARTIKEL ZUM THEMA
Roman „Die Kandidatin“: Weltanschauliche Anliegen
Constantin Schreiber beschreibt in „Die Kandidatin“ eine feindliche
Übernahme Deutschlands durch Muslime. Der Roman strotzt vor Ressentiments.
Jens Spahn über Flüchtlinge: „Jeder Fall wird intensiv geprüft“
Jens Spahn ist die Hoffnung der rechten CDU. Ein Interview über
Abschiebungen, Erdoğan-Fans in Deutschland und Religionsfreiheit.
Muslimische Zivilgesellschaft: Ausgegrenzte Helden
Fast jeder zweite muslimische Mensch hilft Geflüchteten. Gesellschaftliches
Misstrauen erschwert das Engagement.
Imame klagen gegen Moschee-Verband: Prediger vor der Niederlage
Zwei türkische Imame verloren nach dem Putschversuch ihre Arbeit. Der
deutsche Moschee-Dachverband „Ditib“ muss sie wohl nicht
weiterbeschäftigen.
Aktionen der „Identitären Bewegung“: Der Verfassungsschutz warnt
Der Verfassungsschutz rechnet mit Aktionen der „Identitären“ gegen Muslime
in Deutschland. Die Rechtsextremen seien gut vernetzt und radikalisiert.
Kolumne Right Trash: Dieser Hass macht krank
Wie ist es so, wenn man nur „Junge Freiheit“ und „Breitbart“ liest – …
selbst Klatsch und Tratsch daher bezieht? Ein Selbstversuch.
Şehitlik-Moschee: Neuer Vorstand: „Ich möchte keine Politisierung“
Süleyman Küçük studierte Geschichte in Berlin und Theologie in
Saudi-Arabien und ist der neue Vorstand von Berlins größter und
bekanntester Moschee.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.