# taz.de -- Şehitlik-Moschee: Neuer Vorstand: „Ich möchte keine Politisieru… | |
> Süleyman Küçük studierte Geschichte in Berlin und Theologie in | |
> Saudi-Arabien und ist der neue Vorstand von Berlins größter und | |
> bekanntester Moschee. | |
Bild: Innenraum der Sehitlik-Moschee am Berliner Columbiadamm. | |
taz: Herr Küçük, Sie sind seit einigen Wochen Vorstand der größten und | |
bekanntesten Moschee von Berlin, die sich bislang vor allem durch ihre | |
Offenheit für BesucherInnen ausgezeichnet hat. Was wollen Sie anders machen | |
als der bisherige Moscheevorstand? | |
Süleyman Küçük: Mich unterscheidet von meinem Vorgänger Ender Çetin … | |
… der Erziehungswissenschaften und Politik studiert hat … | |
… zunächst mein Studium. Ich bin eher auf die philosophisch-theologische | |
Schiene ausgerichtet und werde da meine Schwerpunkte setzen. | |
Was bedeutet das? | |
Ich werde mich vor allem um Austausch mit den Religionsgemeinschaften hier | |
bemühen. Aber ich achte meinen Vorgänger sehr, er hat hier viele Projekte | |
und Kooperationen aufgebaut, die wir auch weiterführen werden. | |
Sie haben an der Freien Universität Berlin Islamwissenschaft und Neuere | |
Geschichte und dann islamische Theologie in Saudi-Arabien studiert. Was | |
bringt einen in Berlin geborenen Türkeistämmigen dazu, in Saudi-Arabien | |
Theologie zu studieren? | |
Mich hat das Thema schon als Kind fasziniert hat. Ich hatte einen | |
fürsorglichen und einfühlsamen Koranlehrer, bei dem ich lernte, den Koran | |
zu lesen … | |
… auch bei der Ditib? | |
Ja. Mich haben die andere Sprache des Korans, die andere Schrift des | |
Arabischen fasziniert. Ich habe mich schon während meiner Schulzeit mit | |
religiösen Schriften beschäftigt, gemeinsam mit meinem Vater theologische | |
Werke gelesen. Daher kam die Entscheidung für das Studium. | |
Ihr Vater war ein religiöser Mann? | |
Ja. Aber einer, der die heilige Schrift auch durchdachte und versucht hat, | |
sie facettenreich auszulegen, zu interpretieren und zu reflektieren. | |
Wenn man an Saudi-Arabien denkt, fällt einem nicht unbedingt eine | |
facettenreiche Auslegung des Islam ein. | |
Da haben Sie recht. Man musste dort schon viel auswendig lernen und in den | |
Prüfungen einfach wiedergeben. Für mich war es aber auch eine Möglichkeit, | |
einen tieferen Zugang in die Sprache der islamischen Primärliteratur zu | |
bekommen. | |
Kann man also sagen, dass Sie als Theologe künftig mehr religiöse Themen in | |
den Mittelpunkt der Moscheeaktivitäten stellen werden, während Ihr | |
Vorgänger sich stärker um gesellschaftspolitische Themen gekümmert hat? | |
Nein, so würde ich das nicht sagen. Ich möchte beide Bereiche verbinden. | |
Herr Çetin hat in der Moscheegemeinde oft auch Kritik geerntet – wenn er | |
etwa Homosexuelle in die Moschee eingeladen hat oder PolitikerInnen, die | |
für die Armenienresolution des Deutschen Bundestags gestimmt haben. Wie | |
werden Sie mit solchen Themen umgehen? | |
Ich verschließe mich grundsätzlich keiner Thematik. Damit würde ich ja nur | |
eins äußern: Angst. In unserer Moschee verkehren Menschen mit ganz | |
verschiedenen politischen Haltungen. Und ich bin als Vorstandsvorsitzender | |
für alle da. Ich muss die verschiedenen Interessenlagen unserer bunt – und | |
damit gut – gemischten Gemeinde berücksichtigen. Ich habe, was | |
Homosexualität angeht, aber natürlich eine Meinung, auch theologisch. | |
Und die lautet? | |
Das Ausleben von Homosexualität ist theologisch gesehen für mich nicht | |
richtig. Das heißt aber nicht, dass ich mich dem Kontakt oder dem Dialog | |
mit diesen Menschen verschließe. Ich baue keine Mauer auf. Und ich kann ja | |
auch nicht behaupten, dass es unter uns Muslimen keine Homosexuellen gibt. | |
Die Stimmung gegenüber Muslimen wird eher schlechter. Sehen Sie Muslime als | |
ausgegrenzte Minderheit? | |
Nein. Wir sind Teil dieser Gesellschaft, sind hier geboren, hier | |
aufgewachsen. Ich kann mir anderswo keine Zukunft vorstellen. Ich bin ein | |
Bürger dieses Landes, der eine Meinung hat und seinen Teil hier leistet. | |
Ich bin glücklich in Berlin und möchte hier bleiben – trotz der | |
Anfeindungen, die man natürlich manchmal zu spüren bekommt. | |
Was sind das für Anfeindungen? | |
Ich bemerke eine zunehmende Radikalisierung aufseiten der Islamophoben. | |
Würden Sie sagen, Sie sind ein deutscher Muslim? | |
Ich bin ein türkischstämmiger deutscher Muslim. Ich kann und will die | |
Wurzeln meiner Eltern nicht negieren, die trage ich im Herzen. Aber meine | |
Wurzeln sind in Berlin, und hier bin ich Teil der Gesellschaft. | |
Warum engagieren Sie sich dann in der Ditib, einer türkisch-islamischen | |
Organisation, deren Imame aus der Türkei entsandt werden? | |
Die Ditib-Imame kamen in den vergangenen Jahrzehnten aus der Türkei, weil | |
es keine hier ausgebildeten Imame gab. Und wir müssen eigentlich froh sein, | |
dass wir deren theologische Kompetenz hier hatten und junge Muslime damit | |
nicht allein auf das Internet und Youtube als Quelle religiöser | |
Informationen angewiesen waren. Dann hätten wir sicher noch mehr Probleme | |
mit Radikalisierung. | |
Mittlerweile gibt es aber in Deutschland ausgebildete islamische | |
TheologInnen. Und die Ditib steht unter Druck, weil ihre Imame | |
Gemeindemitglieder für den türkischen Staat ausspioniert haben. | |
Es gibt seit Kurzem auch Imame, die hier studiert haben und die der | |
deutschen Sprache mächtig sind. Und unsere Aufgabe für die Zukunft wird | |
sein, dass wir auch Imam-Stellen bei Moscheen der Ditib mit solchen | |
besetzen. Und was die spionierenden Imame betrifft: Das hat der | |
Ditib-Bundesverband zugegeben, und er wird dagegen vorgehen. | |
Am 9. April können auch in Berlin lebende türkische StaatsbürgerInnen über | |
das Verfassungsreferendum in der Türkei abstimmen, das dem türkischen | |
Staatspräsidenten mehr Macht geben soll. Wird in den Ditib-Moscheen | |
Wahlkampf betrieben werden? | |
Ich kann für meine Moschee sagen, dass eine solche Gefahr nicht besteht, | |
weil ich jede Politisierung und politische Instrumentalisierung hier | |
vermeiden werde. Wählen zu können ist ein Bürgerrecht, davon soll jeder | |
Bürger Gebrauch machen. Aber wir werden den Menschen nicht sagen, wofür sie | |
stimmen sollen. Das wird bei uns nicht passieren, und ich denke, auch in | |
keiner anderen Ditib-Moschee in Berlin. Was außerhalb der Moschee auf der | |
Straße passiert, kann ich nicht beeinflussen. Aber in den Moscheen achten | |
wir darauf, dass jegliche Propaganda ausgeschlossen ist. | |
Können Sie im positiven Sinne etwas dafür tun, dass die politischen | |
Spannungen zwischen Deutschland und der Türkei sich nicht auf das | |
Zusammenleben hier auswirken? | |
Das wünsche ich mir sehr. Ich bekomme die Stimmung natürlich mit, es gibt | |
wirklich kaum eine Veranstaltung, wo ich als Gemeindevorsitzender nicht | |
nach meiner Meinung zu Erdoğan gefragt werde. Ich möchte diese | |
Politisierung nicht. Wir leben in der hiesigen Gesellschaft zusammen. Da | |
kann unser Miteinander doch nicht auf so ein Pro oder Contra reduziert | |
werden. | |
Nach dem Attentat eines abgelehnten Asylbewerbers aus Tunesien dachten | |
deutsche Politiker sofort über die Abschaffung der doppelten | |
Staatsbürgerschaft nach. Haben Sie Verständnis dafür, wenn dann junge | |
Menschen türkischer Herkunft sagen: Dann ist eben die Türkei mein Land, | |
Erdoğan mein Präsident? | |
Die Aufgabe unseres Staates, der Bundesregierung, der Parteien ist es, den | |
Menschen mit Migrationshintergrund das Gefühl zu vermitteln, dass sie hier | |
willkommen sind. Und das dürfen nicht nur Lippenbekenntnisse, das muss | |
fühlbar sein. Ich persönlich fühle mich als Teil Berlins und lasse mir | |
nicht vorschreiben, ob ich mich so fühlen darf oder nicht. Aber solange | |
Menschen mit türkischen oder arabischen Namen etwa auf dem Arbeitsmarkt | |
diskriminiert werden, haben viele von ihnen dieses Gefühl nicht. Es muss | |
mehr Lehrer, Richter, Polizisten mit Migrationshintergrund geben. Und da | |
wende ich mich auch an unsere Leute, nicht in der Opferrolle zu bleiben, | |
sondern sich mehr für solche Karrieren und gesellschaftliche Mitgestaltung | |
zu interessieren. So entsteht Heimatgefühl. | |
13 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Alke Wierth | |
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