# taz.de -- Islamwissenschaft in Deutschland: Relilehrer, Präventionsberater, … | |
> An fünf deutschen Unis können sich Studierende zum islamischen Theologen | |
> oder Rechtsexperten ausbilden lassen. Ihre Jobaussichten sind gut. | |
Bild: Beim Gebet in den Münchner Kammerspielen: Mehrere Millionen Muslime lebe… | |
Über zu wenig Arbeit kann sich Samet Er nicht beklagen, seitdem meist junge | |
radikalisierte Männer im Namen des Islam auch mitten in Europa | |
Terroranschläge verüben. Der 28-jährige Theologe arbeitet beim Violence | |
Prevention Network. Die bundesweit vernetzte Nichtregierungsorganisation | |
will der Radikalisierung von Jugendlichen vorbeugen – und bereits | |
radikalisierte Jugendliche zurückgewinnen. | |
Dazu suchen Mitarbeiter wie Samet Er den Kontakt zu denen, die im radikalen | |
Islam Sicherheiten suchen: „Es sind Jugendliche, darunter viele | |
Flüchtlinge, die keine Orientierung haben und keine Perspektive für sich | |
sehen. Sie treffen dann auf Salafisten.“ Die, sagt Er, waschen ihnen dann | |
den Kopf mit einer aus seiner Sicht falschen – radikalen – Islamauslegung. | |
Samet Er sucht das Gespräch mit den auffällig gewordenen Jugendlichen, | |
versucht herauszufinden, was sie umtreibt. „Mal sind es Gespräche über ganz | |
alltägliche Dinge. Viel häufiger aber welche über den Koran oder den Islam. | |
Hier ist meine Expertise gefragt.“ | |
Ohne das Studium der Islamischen Theologie könnte er diese Arbeit nicht | |
machen, sagt Er, der an zwei der bundesweit fünf Islamischen Zentren – in | |
Tübingen und in Osnabrück – studiert hat. „Wir haben es teils mit | |
hochideologisierten jungen Menschen zu tun. Sie kennen Koranverse auswendig | |
und argumentieren mit diesen.“ | |
Samet Er weist auf Koranstellen hin, an denen man den Appell für Respekt | |
und Toleranz ablesen könne. Was ihm dabei hilft: Er spricht Arabisch – ein | |
Pflichtfach im Studium. „Die Jugendlichen wissen, dass ich Islamische | |
Theologie studiert habe. Deshalb nehmen sie mich ernst.“ | |
## Lehrer werden händeringend gesucht | |
Neben der Arbeit in einer Deradikalisierungsstelle sind Absolventen der | |
fünf Universitäten, an denen man Islamische Theologie, Religion oder | |
Pädagogik studieren kann, auch in anderen Berufen sehr gefragt. In vielen | |
Bundesländern suchen Kultusministerien händeringend Lehrer für den | |
islamischen Religionsunterricht. | |
Die Politik erhofft sich von den in Deutschland ausgebildeten Absolventen, | |
dass sie die vielen überwiegend aus der Türkei „importierten“ Imame | |
ersetzen. Zudem können die derzeit 2.040 Studierenden später auch als | |
Seelsorger in Gefängnissen, Krankenhäusern und Gemeinden – oder mit | |
Flüchtlingen arbeiten. | |
„Sie werden dringend gebraucht, denn es gibt zu wenige Angebote an | |
muslimischen Dienstleistungen für die vielen Muslime in Deutschland“, | |
glaubt der Direktor des Frankfurter Islam-Instituts, Bekim Agai. Es ist zu | |
vermuten, dass in Zukunft noch mehr Muslime ihre Kinder in konfessionellen | |
Kindergärten anmelden wollen. Oder sie brauchen im hohen Alter Pflege, die | |
auf muslimische Gewohnheiten wie beispielsweise Halal-Essen oder spezifisch | |
muslimische Körperpflege eingeht. | |
Für die 23,8 Millionen Mitglieder der katholischen Kirche gibt es für | |
soziale und pflegerische Aufgaben die Einrichtungen der katholischen | |
Wohlfahrtsorganisation Caritas. Absolventen der vielen katholischen | |
Hochschulen, Fakultäten und Institute finden unter anderem hier eine | |
Beschäftigung. | |
## Bekenntnisorientiertes Islamstudium | |
Noch ist die Zahl an Einrichtungen der muslimischen Wohlfahrt für die 4,5 | |
Millionen Muslime, die nach Schätzungen des Zentralrats der Muslime derzeit | |
in Deutschland leben, viel zu gering. Und auch das Studium des | |
bekenntnisorientierten Islam gibt es noch nicht so lange. Das Tübinger | |
Zentrum für Islamische Theologie beispielsweise entließ 2016 gerade mal die | |
ersten Absolventen der Bachelor- und Masterstudiengänge. | |
Experten schätzen die Jobchancen für die Absolventen der Islamischen | |
Zentren unterschiedlich ein. „In Zukunft könnte sich Ernüchterung | |
einstellen und die Zahl der Studierenden verringern“, vermutet Mark Chalîl | |
Bodenstein, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Frankfurter Institut für | |
Studien der Kultur und Religion des Islam. | |
Die nach den Terroranschlägen gestiegene Anfrage nach Islam-Experten | |
beispielsweise beim Tübinger Zentrum für Islamische Theologie lassen | |
wiederum vermuten, dass die Berufsaussichten für Absolventen mit dieser | |
Spezialisierung gut sind. „Wir können nicht allen Anfragen nachkommen“, | |
bestätigt Ruggero Vimercati Sanseverino, Juniorprofessor am Tübinger | |
Lehrstuhl für Hadithwissenschaften und prophetische Tradition. | |
## Ein Marktlücke | |
Esra Bicer etwa glaubt, eine Marktlücke für sich entdeckt zu haben, die sie | |
nach dem Studium füllen will. Die 22-Jährige studiert am Islamischen | |
Zentrum in Tübingen. „Ich habe gehört, dass die Scheidungsrate unter | |
muslimischen Flüchtlingen stark gestiegen ist. Ich möchte mich später mit | |
Ehe- und Familienberatung selbstständig machen und den Familien helfen.“ | |
Das Studium des Islam führe zu mehr Verständnis. | |
„Viele Muslime fühlen sich in herkömmlichen Beratungsstellen nicht | |
verstanden“, meint Bicer. An das Bachelorstudium will sie das in Tübingen | |
bundesweit einzigartige Masterstudium der Islamischen Theologie für | |
Seelsorge und Sozialarbeit anschließen. | |
Zunächst wollte Bicer Lehrerin werden. „Schulen in Baden-Württemberg suchen | |
händeringend Islamische Religionslehrer“, sagt Islamtheologe Vimercati | |
Sanseverino. Bisher bieten 93 Schulen Islamischen Religionsunterricht an. | |
Jährlich kommen 20 hinzu, teilt das baden-württembergischen | |
Kultusministerium mit. Bald sind dafür genügend Absolventen auf dem | |
Arbeitsmarkt. „Das Lehramt ist für viele attraktiv, weil es einen sicheren | |
Arbeitsplatz bietet“, ist Vimeracati Sanseverino überzeugt. | |
## Mögliches Kopftuchverbot verunsichert | |
Doch für Frauen hält dieser Berufsweg ein mögliches Hindernis bereit. Viele | |
der weiblichen muslimischen Studierenden tragen ein Kopftuch. Auch wenn das | |
Bundesverfassungsgericht 2015 das Kopftuchverbot an Schulen aufgehoben hat, | |
können Schulen es im konkreten Einzelfall verbieten, dann nämlich, wenn sie | |
befürchten, dass durch sein Tragen „der Schulfrieden gefährdet“ werde –… | |
entschied es das Gericht. Dem Kultusministerium Baden-Württemberg ist zwar | |
kein Fall bekannt, in dem das Tragen eines Kopftuchs zu Problemen geführt | |
hätte. Dennoch stellt Vimercato Sanseverino bei seinen Studierenden „eine | |
gewisse Verunsicherung“ fest. | |
Bleibt für die Absolventen der Islamischen Fakultäten in Deutschland noch | |
die Berufswahl Imam. Doch so einfach ist es nicht. Erstens qualifiziert das | |
Studium der Korandeutung, der Geschichte des Islam oder des Islamischen | |
Rechts noch nicht zum Imamberuf. Ähnlich wie beim Priesterseminar für | |
angehende katholische Priester müssen auch muslimische Studierende eine | |
praktische Ausbildung durchlaufen. Die Infrastruktur dafür muss aber | |
vielfach erst geschaffen werden. | |
Auch Geld spielt eine Rolle. Viele Moscheegemeinden können studierte Imame | |
nicht angemessen bezahlen. Da ist es leichter, Imame aus dem Ausland, die | |
etwa die Türkei kostenlos zur Verfügung stellt, einzustellen. Der | |
Zentralrat der Muslime schlägt für dieses Dilemma eine Mischung aus | |
Staatsfinanzierung und Spenden vor. | |
Auch Samet Er hat Erfahrungen als Ersatzimam gesammelt. Hauptberuflicher | |
Imam will er allerdings nicht werden. Dabei bringt er als Experte für | |
interreligiösen Dialog eine wichtige Voraussetzung mit: mit den | |
christlichen Nachbarn in Dialog treten zu können. | |
16 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Hülya Gürler | |
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