| # taz.de -- Islamwissenschaftlerin Noha Abdel-Hady über Feminismus: "Religion … | |
| > Die Hamburgerin Noha Abdel-Hady betritt islamwissenschaftliches Neuland: | |
| > Sie untersucht die Rolle weiblicher Gelehrter im Islam. Ein Gespräch über | |
| > westlichen und islamischen Feminismus, Mithilfe beim Krippenspiel und die | |
| > Rolle der Mütter. | |
| Bild: "Am Anfang hatte ich Probleme mit dem Wort Feminismus": Noha Abdel-Hady. | |
| taz: Frau Abdel-Hady, gibt es ein Schlüsselerlebnis, mit dem Ihr Interesse | |
| für Theologie begonnen hat? | |
| Noha Abdel-Hady: Mit der Religion habe ich mich mein Leben lang | |
| beschäftigt. Meine Mutter hat mir von klein auf Prophetengeschichten | |
| erzählt, Geschichten, wie man sich als guter Gläubiger und einfach als | |
| Mensch zu verhalten hat. Das Interesse an Theologie kam mit meinem Studium | |
| der Islamwissenschaften 2004 an der Universität Hamburg. Seitdem gebe ich | |
| auch Religionsunterricht für junge Mädchen und Frauen. | |
| Worum geht es da? | |
| Wir beschäftigen uns mit Ethik und Moral im Islam, wie können wir ein | |
| besserer Mensch sein. Es ist nicht tief theologisch, weil ich da die | |
| Ausbildung noch nicht hatte. Da fing auch mein Interesse an: Nach dem | |
| Unterricht kamen viele Mädchen zu mir und haben theologische Fragen | |
| gestellt, auf die ich nicht antworten konnte - und auch nicht wollte, weil | |
| das eine große Verantwortung ist. | |
| Was für Fragen waren das? | |
| Wie ist es, wenn ich lackierte Fingernägel habe und bei der Gebetswaschung | |
| kommt Wasser darauf. Und da habe ich mich gefragt: Wie kann ich da | |
| kompetent sein? Die Islamwissenschaft ist ja eher historisch, Geschichte | |
| und Kultur des Vorderen Orients, da habe ich mir immer gewünscht, dass es | |
| etwas Theologisches gibt. Mit dem Graduiertenkolleg Islamische Theologie an | |
| der Uni Hamburg ist jetzt natürlich ein Traum in Erfüllung gegangen. | |
| Innerhalb des Islams ist es sehr umstritten, ob eine historische | |
| Betrachtung des Koran zulässig ist. Wie sehen Sie das? | |
| Für Muslime ist der Koran natürlich Gotteswort, das ewig ist. Aber jede | |
| Passage wurde in einem bestimmten Kontext offenbart und das muss man als | |
| Theologe wissen, zum Beispiel bei der Erstellung von Rechtsgutachten. Da | |
| kann man nicht sagen: "Im Koran steht das, also ist das so und so." Sondern | |
| man muss die heutige Zeit in Betracht ziehen und gucken, wie sie mit der | |
| gelebten Praxis der Menschen übereinstimmt. | |
| Wie sieht das praktisch aus? | |
| In meiner Promotion vergleiche ich Rechtsgutachten von Männern und von | |
| Frauen, die beim gleichen Thema sehr unterschiedliche Antworten geben. Beim | |
| Schlagen zum Beispiel. Viele sagen: Es steht im Koran, also darf ich meine | |
| Frau schlagen. Aber dann sagten die Theologinnen: Im Islam gibt es auch | |
| eine zweite Quelle, die Sunna, die die Lebenspraxis des Propheten | |
| beschreibt. Bei einigen Passagen des Koran weiß man nicht, wie es genau | |
| gemeint ist, das legt die Sunna noch einmal präzise aus. Da kann man nicht | |
| nachweisen, dass je eine Frau geschlagen wurde, weil sie eine schlechte | |
| Ehefrau gewesen wäre. Der Prophet hat gesagt: "Man darf keine Frau | |
| schlagen. Der Beste unter euch ist der, der am besten zu seiner Frau ist." | |
| Das würde der viel zitierten Passage im Koran widersprechen. Diese | |
| Theologinnen argumentieren nicht mit den Menschenrechten, sie schlagen mit | |
| theologischen Waffen zurück. | |
| Wie bekannt ist es unter Muslimen, dass es eine Tradition weiblicher | |
| Rechtsgutachten gibt? | |
| Als der Islam aufkam, gab es viele weibliche Gelehrte. Und wenn man sich | |
| die islamische Geschichte ansieht, ist sie von ihnen geprägt. Aber das | |
| wurde von dem patriarchalischen System, das in jeder Gesellschaft zu finden | |
| ist, unterminiert. Aber jetzt erstarkt diese Bewegung wieder, sozusagen | |
| "back to the roots". Früher gab es große Rechtsschulen, die von Frauen | |
| gegründet wurden, es gab Gelehrte, die von Frauen ausgebildet wurden - | |
| warum darf das jetzt nicht sein? Das erste Wort im Koran ist "Lies", das | |
| heißt: Studiere. Und es heißt nicht: Lest, Männer. | |
| Wie sind Sie selbst zur feministischen Theologie gekommen? | |
| In der Kindheit habe ich immer gesehen, dass die Frauen in meiner Familie | |
| sehr geschätzt werden. Das fing schon bei meiner Großmutter an, der | |
| Familienältesten, die immer einen hohen Rang, viel Respekt, viel Ehre | |
| hatte. Ebenso meine Mutter. Wenn ich jemandem zu danken habe, dann ihr. Sie | |
| hat mir immer das Bild vermittelt: Du bist etwas Besonderes, du bist eine | |
| Frau. Aber je älter ich wurde, je mehr ich gesehen habe an | |
| gesellschaftlichen Strukturen, habe ich gemerkt, dass das nicht immer so | |
| ist. Ich habe gesehen, dass der Geist der Religion falsch ausgelegt wird. | |
| Ich hatte dieses Gefühl: Ich muss etwas dagegen tun. | |
| Wo konkret hatten Sie das Gefühl, dass Frauen nicht wertgeschätzt werden? | |
| In kleinen Sachen: Die Frau muss die Tüten tragen und der Mann geht voran. | |
| Ich kenne das weder von meiner Familie noch von meinen Bekannten. Das ist | |
| banal, aber es zeigt, wie Rollen zugesprochen werden, die sich verfestigen | |
| und dann werden sie mit dem Islam legitimiert. Da habe ich gemerkt: Ich | |
| möchte nicht, dass meine schöne Religion so verunstaltet wird. Religion ist | |
| aus meiner Sicht auch Freiheit, wie kann es da sein, dass die Hälfte der | |
| Gesellschaft unterdrückt wird? | |
| Sind Sie da auch auf Widerstände gestoßen? | |
| Am Anfang hatte ich natürlich Probleme mit dem Wort Feminismus. | |
| Warum? | |
| Von nicht-muslimischer Seite hieß es: "Wie, ihr habt auch einen Feminismus? | |
| Ihr seid doch unterdrückt." Und von muslimischer Seite: "Ist das nicht | |
| etwas Westliches?" Oder: "Wir hatten diese Freiheit doch schon vorher im | |
| Islam - warum müssen wir jetzt Feminismus dazu sagen?" Auch wenn die | |
| Inhalte von westlichem Feminismus und islamischem Feminismus | |
| unterschiedlich sind, sind die Ziele gleich: die Wertschätzung der Frau. | |
| Es gibt ein deutsches Internetportal, das vor allem von Konvertitinnen | |
| betrieben wird und sich auch mit feministischen Themen befasst. Ist es | |
| typisch, dass es vor allem solche Musliminnen sind, die damit in der | |
| Öffentlichkeit stehen? | |
| Amina Wadud ist konvertiert, aber große feministische Gelehrte wie Asma | |
| Barlas und die feministische Schule in Ägypten sind Nicht-Konvertiten. Es | |
| ist ein Bewusstsein, das aufkommt, egal ob Konvertitin oder nicht. | |
| Amina Wadud, die in den USA Professorin ist, hat als erste muslimische Frau | |
| ein gemeinsames Freitagsgebet von Männern und Frauen geleitet. Es gab | |
| Bombendrohungen und viel Medienecho … Sie lachen? | |
| Ja. | |
| Warum? | |
| Weil so oft erwähnt wird. | |
| Ist es denn ein Anliegen, das Sie teilen? | |
| Es ist Amina Waduds Umsetzung von feministischer islamischer Theologie. Da | |
| gehen die Meinungen auseinander, aber es zeigt, wie unterschiedlich die | |
| Auslegung der feministischen Theologie ist. Manche fordern mehr Bildung, | |
| manche mehr politisches Engagement, es gibt da viele Formen. | |
| Und wie fanden Sie es? | |
| Ich fand es mutig. | |
| Würden Sie selbst gern an der Uni bleiben? | |
| Auf jeden Fall. Ich gehe den ersten Schritt dahin im kommenden Semester, | |
| dann werde ich ein Proseminar über feministischen Islam halten. Ich hoffe, | |
| dass es bald als Normalität angesehen wird, dass auch Muslime referieren, | |
| auch mit Kopftuch. | |
| Für viele in Deutschland wirkt ein stärkerer Einfluss von | |
| Religionsgemeinschaften bedrohlich. Können Sie das nachvollziehen? | |
| Die islamische Theologie will ja nicht Menschen zu Muslimen machen. Es geht | |
| darum, ein Reformverständnis der Religion zu vermitteln und Muslimen die | |
| Chance zu geben, akzeptiert zu werden. Diese Akzeptanz hängt ja oft mit dem | |
| Religionsbild zusammen. | |
| Nebenbei engagieren Sie sich bei Verikom, einem Verband für interkulturelle | |
| Kommunikation und Bildung. | |
| Das war etwas, was mir meine Mutter immer gesagt hat: Du musst ein aktives | |
| gesellschaftliches Mitglied sein, hilf mit. Im Kindergarten, beim | |
| Krippenspiel, ich war immer ein Teil. Und später habe ich gemerkt: Ich | |
| mache alles nur für mich, das Abi, das Studium, das Weggehen mit meinen | |
| Freunden. Aber was tue ich für die Gesellschaft? Dann bin ich auf Verikom | |
| gestoßen. Man muss zeigen, dass Migranten auch eine Chance bekommen. | |
| Natürlich hat man es schwer, mit Kopftuch eine Arbeit zu finden, das ist | |
| die Wahrheit, aber wenn man Qualifikationen hat, kann man ein Teil der | |
| Gesellschaft sein, wenn man möchte. | |
| Das klingt alles sehr positiv. | |
| Ist es - man muss es nur positiv machen. Es ist nicht alles positiv, es | |
| gibt auch Zeiten, wo man auf der Straße angespuckt wird, oder angerempelt, | |
| "geht in euer Land zurück". Aber das versucht man nicht zu erwähnen, denn | |
| wenn man das immer erwähnt, kommt man nicht aus diesem Kreislauf heraus. | |
| Auch an der Uni kriegt man viele Anfeindungen zu hören, ihr seid | |
| unterdrückt, ihr seid Terroristen, aber man muss sich darüberstellen. Was | |
| man selbst vermittelt, als Muslim, ist ein großes Mittel. Dass wir zeigen: | |
| Wir sind Bürger hier, wir tun auch etwas für die Gesellschaft, wir sehen | |
| nur ein bisschen anders aus. | |
| 18 Sep 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Friederike Gräff | |
| ## TAGS | |
| Islamwissenschaft | |
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