| # taz.de -- Montagsinterview mit Gudrun Krämer: "Die Deutschen haben ein einse… | |
| > Sie ist Deutschlands renommierteste Islamwissenschaftlerin und besonders | |
| > gefragt, wenn es darum geht, den selbst ernannten Experten à la Sarrazin | |
| > und Broder zu widersprechen | |
| Bild: Gudrun Krämer, die Leiterin des Instituts für Islamwissenschaft an der … | |
| taz: Frau Krämer, was fällt Ihnen spontan zum Thema Islam ein? | |
| Gudrun Krämer: Ganz spontan verbinde ich damit die Idee einer großen Kultur | |
| mit einem religiösen Kern, der einigermaßen einheitlich ist. Gleichzeitig - | |
| und das ist sicherlich ein Reflex auf die aktuelle Diskussion - fallen mir | |
| sogleich Argumente gegen diejenigen ein, die ihn zu einseitig und zu | |
| schlicht sehen. | |
| In einer kürzlich veröffentlichten Studie fallen rund 80 Prozent der | |
| Deutschen zum Stichwort Islam Frauenfeindlichkeit, Fanatismus, Intoleranz | |
| und Gewaltbereitschaft ein. Das ist ein größerer Anteil als in den | |
| Niederlanden oder in Frankreich. | |
| Das ist natürlich erschütternd. Es zeigt, dass die deutsche Öffentlichkeit | |
| über den Islam ein sehr viel einseitigeres, negativeres Bild hat als selbst | |
| die Öffentlichkeit in Nachbarländern wie den Niederlanden, Frankreich oder | |
| Dänemark, die starke rechtspopulistische, wenn nicht rechtsradikale Kräfte | |
| haben. Und es gibt mir als ausgebildeter Historikerin schon sehr zu denken, | |
| dass ausgerechnet die deutsche Öffentlichkeit mit ihrer spezifischen | |
| Geschichte so negativ auf den Islam und damit auf die Muslime blickt. | |
| Wie ist das denn zu erklären? | |
| Es gibt die Überlegung, dass sowohl die Niederländer als auch die Franzosen | |
| ehemalige Kolonialmächte sind und daher im Laufe des 19. und 20. | |
| Jahrhunderts in einer anderen Weise mit Muslimen in Berührung gekommen sind | |
| als die Deutschen. Es könnte also durchaus sein, dass die Kolonialerfahrung | |
| eine größere Vertrautheit mit dem Islam herbeigeführt hat und auch eine | |
| größere Vertrautheit mit Muslimen. Während die meisten Deutschen ja bis vor | |
| wenigen Jahrzehnten Muslime im eigenen Land nicht gekannt oder wahrgenommen | |
| haben. | |
| Hier in Dahlem nimmt man ja Muslime auch nicht gerade wahr … | |
| In Dahlem spürt man von all dem nichts. Ich selbst wohne in Charlottenburg, | |
| und auch da ist diese Thematik nicht wirklich zu erleben. Dort haben wir | |
| eine starke russische Präsenz, wobei ich mich schon frage, warum die | |
| öffentliche Aufmerksamkeit sich so stark auf Problempersonen und -gruppen | |
| arabischen, kurdischen oder türkischen Hintergrunds konzentriert und warum | |
| osteuropäische und südosteuropäische Gruppen weniger auffallen. | |
| Wie reagieren Ihre Studenten und Studentinnen auf die Islamophobie? | |
| Sie nehmen das schon sehr stark wahr. In ihrer Mehrzahl sind sie darüber | |
| natürlich beunruhigt und wollen etwas dagegen tun. | |
| Was denn? | |
| Wir können nicht praktische Sozialarbeit in Friedrichshain oder in einem | |
| anderen Stadtteil machen. Das ist auf jeden Fall nicht meine Aufgabe als | |
| Islamwissenschaftlerin. Wir können aber versuchen, durch eine entsprechende | |
| Ausbildung der Studierenden dafür zu sorgen, dass sie qualifiziert werden, | |
| etwas zu tun, und dass sie auf jeden Fall bewusst mit dem Thema umgehen. | |
| Das heißt, nicht nur danach zu fragen, was bei Islamophoben falsch läuft, | |
| sondern auch, ob es hierfür einen geschichtlichen Hintergrund gibt. | |
| Sie könnten in Berlin in eine Moschee gehen und sich dort mit den Menschen | |
| auf Arabisch unterhalten. | |
| Natürlich kann man das machen. Und unsere Studierenden sind ziemlich aktiv. | |
| Es ist nicht so, dass die nur im Seminarraum säßen. Wir haben Studierende, | |
| die bei unterschiedlichen Stadtteilprogrammen mitmachen, wie zum Beispiel | |
| dem Projekt gegen Antisemitismus unter muslimischen Jugendlichen. Weltfremd | |
| sind die nicht. | |
| Aber Sie selbst sehen sich eher als Aufklärerin im klassischen Sinne. | |
| Glauben Sie denn, Sie und Ihre Studierenden finden Gehör in einer | |
| Gesellschaft, in der jemand wie Thilo Sarrazin einfach lauter sein kann? | |
| Sie stellen die Frage natürlich zu Recht. Die Studierenden wie auch die | |
| meisten Lehrerenden wissen sehr wohl, dass Aufklärung ein hehres Wort ist. | |
| In der Form, in der wir unser Wissen verbreiten, erreichen wir im | |
| wesentlichen ein bildungsnahes, bürgerliches Publikum. Ich sitze selbst im | |
| Beirat der Bundeszentrale für politische Bildung: Da wird viel darüber | |
| nachgedacht, wie man bildungsferne Schichten erreichen kann. Das ist | |
| ausgesprochen schwierig. | |
| Mit Vorträgen, Konferenzen oder Broschüren kommen Sie da nicht weit. | |
| Das geht nicht über die Formen, in denen der deutsche Hochschullehrer sich | |
| klassischerweise vermittelt und auch der deutsche Hochschulstudent. Besser | |
| geht das über Peer Learning, ein Ansatz, bei dem beispielsweise Schüler | |
| anderen Schülern etwas erzählen. Sobald sie allerdings studieren, sind sie | |
| nicht mehr "Peers" bildungsferner Jugendlicher. | |
| Sie forschen und lehren in einem Feld, das sehr mit der Politik verwoben | |
| ist, viel mehr als jede andere Geisteswissenschaft derzeit. Nervt Sie, dass | |
| Sie ständig auf gesellschaftspolitische Probleme angesprochen werden? | |
| Auf der einen Seite bin ich natürlich irritiert, wenn ich mich an einem Tag | |
| über Henryk M. Broder, am nächsten Tag über Thilo Sarrazin und am dritten | |
| über Alice Schwarzer äußern soll, die nun alle keine Islamkenner sind, aber | |
| ganz laut feste und negative Meinungen über den Islam verkünden. | |
| Gleichzeitig beschäftige ich mich wissenschaftlich auch mit | |
| Gegenwartsfragen. Da ist es selbstverständlich, dass ich zu diesen befragt | |
| werde. Ich würde nur gern ab und zu auch über meine eigene Arbeit befragt - | |
| und nicht nur dazu, was andere sagen. | |
| Woran hängt denn Ihr Herz? | |
| Im Moment leider an keinem größeren Projekt, weil ich noch an einer | |
| Überblicksdarstellung arbeite, einer "Geschichte des Vorderen Orients und | |
| Nordafrika seit 1500" in der Neuauflage der Fischer Weltgeschichte. Die ist | |
| gerade auch für Schüler und Studierende gedacht. | |
| Und was wäre Ihr Lieblingsprojekt? | |
| Ich werde mich mittelfristig noch intensiver mit der islamischen | |
| Reformbewegung des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts | |
| beschäftigen, die von einem Ende der islamischen Welt bis zum anderen | |
| gereicht hat und deren Gedanken, Aktionsformen und Organisationen noch | |
| heute vorhanden sind. Wir haben in arabischen Ländern, der Türkei oder auch | |
| Indonesien heute noch Gruppen, die eine islamische Ethik, eine islamische | |
| Zivilgesellschaft oder einen islamischen Kapitalismus propagieren. Sie | |
| fußen alle auf dem Reformgedanken. Es ist unglaublich spannend, wenn man | |
| ihn vertiefter und vergleichend darstellt. | |
| Gab es für Sie so etwas wie eine Initialzündung zur Islamwissenschaft? | |
| Die gab es nicht. Das war vielmehr ein langsamer Weg und der war nicht | |
| geradlinig: Ich habe mich als Kind, so ab 12, 13 leidenschaftlich für | |
| Geschichte interessiert und dann für Ägyptologie. | |
| Wie muss ich mir das vorstellen? Während andere in Ihrem Alter in der Disko | |
| waren, haben Sie gelesen und Hieroglyphen abgemalt? | |
| Ja, ich war die klassische Leseratte. Ich habe mit 14 das ägyptische | |
| Totenbuch gelesen - nicht gerade eine klassische Jugendlektüre. | |
| Worum geht es da? | |
| Das ist die Vorstellung vom Jenseits in der pharaonischen Tradition. Dazu | |
| musste ich eine Sondergenehmigung haben, um in die Erwachsenenabteilung der | |
| Landesbibliothek zu gelangen. | |
| Sie sind also in Begleitung Ihrer Eltern da hingegangen? | |
| Nein. Ich musste da nur vorsprechen und mit ernstem Gesicht sagen, dass ich | |
| das Buch lesen wollte. Dann haben die mich etwas schräg angeschaut und - es | |
| war ja nichts Gefährliches dabei - mich eingelassen. Wahrscheinlich haben | |
| sie eher den Kopf geschüttelt über diesen bizarren Wunsch. | |
| Arabisch haben Sie auch gelernt. Wie alt waren Sie da? | |
| Arabisch habe ich mit 15, 16 angefangen, danach mit Hebräisch. Zu der Zeit | |
| habe ich mich sehr für Sprachen interessiert, Russisch gelernt und | |
| Rätoromanisch. | |
| Einfach so? | |
| Einfach so, weil ich Lust dazu hatte. Wir hatten eine Klassenfahrt nach | |
| Südtirol vor, und ich dachte mir, jetzt schaue ich mir mal das | |
| Rätoromanische an. Es hätte auch Chinesisch sein können. | |
| Sie hätten also auch Sinologie oder die Kultur der Mayas studieren können? | |
| Nein, es hätten nicht die Maya und auch nicht die Chinesen oder die Japaner | |
| sein können, weil das für mich zu weit weg war. Mich sprechen auch die | |
| Maya-, Inka- und Aztekenbilder und -statuen einfach nicht an. Wohingegen | |
| die Architektur und die Bildzeugnisse aus dem islamischen Raum mich schon | |
| faszinieren. | |
| Die Beschäftigung mit dem Islam hat für Sie also auch eine ästhetische | |
| Komponente? | |
| Ja, ganz klar. Ich finde die mamlukische Architektur in Kairo oder die | |
| osmanischen Moscheen in Istanbul einfach großartig. Aber studieren wollte | |
| ich etwas, das anders ist, aber auch nicht vollkommen fremd, zu dem ich | |
| keine Beziehung habe. Chinesisch finde ich faszinierend, und ich finde auch | |
| die chinesische Kunst sehr, sehr schön. Aber ich habe nun mal keine | |
| emotionale Bindung. | |
| Was ist denn aber bitte für uns Mitteleuropäer die emotionale Bindung zur | |
| arabischen Welt? | |
| Es gibt so viel Austausch von der Spätantike über die frühe Neuzeit bis in | |
| die Moderne, ein Nebeneinander von Distanz und Nähe, das zugleich viel | |
| Reibung erzeugt, im positiven wie im negativen Sinne. Und das hat mich | |
| fasziniert. | |
| Was meinen Sie mit Distanz und Nähe? | |
| Nah sind sich im Kern die religiösen Vorstellungen, das Bild vom Menschen, | |
| der Schöpfung, einer persönlichen Verantwortung der Menschen für sich und | |
| ihre Umwelt, auch grundlegende ethische Regeln. Distanz schaffen zumindest | |
| heute Vorstellungen vom richtigen Geschlechterverhältnis, von persönlicher | |
| Freiheit, künstlerischer Freiheit, religiöser Freiheit und anderem mehr. | |
| An Ihrem Institut lehren insgesamt vier Professorinnen und ein Professor. | |
| Das ist ungewöhnlich … | |
| Fächer, die nicht zum Kernbestand des deutschen Bildungskanons zählen, wie | |
| die Islamwissenschaft, die Arabistik oder die Japanologie, haben generell | |
| eine etwas höhere Frauenquote als Geisteswissenschaften wie die Geschichte, | |
| Germanistik, Anglistik oder selbst Kunstgeschichte. Da ist der Kampf um | |
| Stellen so hoch, dass sich letztlich immer noch mehr Männer als Frauen | |
| durchsetzen. Bei uns hat es sich so ergeben, dass erst zwei Professorinnen | |
| da waren und dann drei, sodass sich vielleicht mehr Frauen angezogen | |
| fühlten. | |
| Da wird die Frauenförderung zum Selbstläufer? | |
| Ja, im Moment ist es so. Tatsächlich achten wir jetzt, weil es ja auch den | |
| Nachwuchs betrifft, darauf, dass wir auch Männer einstellen. Genauso wie | |
| ich ein reines Männerfach ablehne, fände ich eine reine Fraueneinrichtung | |
| merkwürdig. | |
| Sie selbst sind seit 1996 Professorin an der Freien Universität. Nun haben | |
| Sie durch die Exzellenzinitiative Mittel für eine Graduiertenschule für | |
| muslimische Studien eingeworben. Damit stehen Sie finanziell ganz gut da. | |
| Und trotzdem haben Sie einen Brandbrief an den Finanz- und an den | |
| Bildungssenator unterzeichnet. Reicht Ihnen das Geld nicht? | |
| Das Problem ist, dass die Grundfinanzierung der Universitäten durch die | |
| Exzellenzinitiative nicht gesichert wird. Wenn nun der Senator vorhat, die | |
| Grundfinanzierung an die Studierendenzahl und vor allem die Abschlüssen zu | |
| binden, die innerhalb der Regelstudienzeit vorliegen, dann ist das für | |
| kleinere Fächer ein Riesenproblem, weil wir in diesem Sinn keinen hohen | |
| Output erwirtschaften können. Es gibt überhaupt keinen Grund, warum wir die | |
| Republik mit Islamwissenschaftlern überschwemmen sollten. | |
| Was ist aus dem Brandbrief geworden? | |
| Soweit ich sehe, gibt es durchaus Problembewusstsein, auch bei einem | |
| Senator und seinen Mitarbeitern. Die sind ja nicht blind. Aber an dem | |
| Modell der "ausstoßorientierten Grundfinanzierung" hat sich nichts | |
| geändert. | |
| Also weiterkämpfen? | |
| Ja, auf alle Fälle. | |
| Haben Sie bei all dem eigentlich noch genügend Zeit für Ihre Forschung? | |
| Nein, und das ärgert mich. Ich weiß, dass ich nur dann ordentlich denken | |
| und schreiben kann, wenn ich nicht wie ein Hamster im Rad trete. Und dieses | |
| Hamstermäßige wird uns aufgezwungen. Natürlich kann man vom Hochschullehrer | |
| erwarten, dass er oder sie ordentlich forscht und lehrt und über die | |
| gesellschaftliche Relevanz des Ganzen nachdenkt. Aber im Moment wird man | |
| ständig zur Rechenschaft, zur Neuinitiative, zur Drittmittelakquise und zur | |
| Lehrverbesserung getrieben, dass es diese Ruhe nicht mehr gibt, die man | |
| eben braucht. | |
| 23 Jan 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Grit Weirauch | |
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