# taz.de -- Montags-Interview: "Ich dachte: Jetzt erst recht" | |
> Als Kind fand Katajun Amirpur Iran deutlich attraktiver als Deutschland. | |
> Heute forscht sie an der Hamburger Akademie der Weltreligionen zu einem | |
> geschlechtergerechten Islam. | |
Bild: Den Weg zur Islamwissenschaft bahnten ihr ein Dichter und der Führersche… | |
taz: Fühlen Sie sich geehrt, zur Hamburger Wahlfrau für die | |
Bundespräsidentenwahl ernannt zu sein, Frau Amirpur? | |
Katajun Amirpur: Auf jeden Fall. Ich empfinde das gegenüber der Akademie | |
der Weltreligionen als ein sehr positives Zeichen. Und ich finde es | |
wichtig, dass man damit auch den Muslimen sagt: Das ist auch eure Wahl. | |
Wissen Sie schon, wen Sie wählen werden? | |
Ja. | |
Darf ich nachfragen, wen? | |
Sagen wir mal so: Wenn die SPD mich aufstellt, dann ist es relativ | |
naheliegend, dass sie damit eine gewisse Erwartungshaltung verbindet. | |
Die Linke macht sich Hoffnung auf Abweichler – auch angesichts der Kritik | |
an Gauck, der einmal von „Überfremdung“ durch den Islam gesprochen hat. | |
Ich halte das für eine ausgesprochen unglückliche Formulierung. Man kann | |
natürlich sagen, dass es diese Ängste gibt und sie ernst genommen werden | |
sollten. Das wäre eine günstigere Formulierung. Ich würde die Hoffnung an | |
ihn knüpfen, dass er sich im Amt anders verhält – gerade weil Gauck | |
Bürgerrechtler ist und weil er sehr viel über Verantwortung redet. | |
Mit der Wahlfrauenschaft haben Sie eine Aufgabe mehr: Professorin an der | |
Hamburger Akademie der Weltreligionen, Publizistin, Mutter zweier Kinder – | |
wie schwierig ist es, all das unter einen Hut zu bringen? | |
Das ist schon relativ kompliziert. Mein Mann übernimmt sehr viel. Aber das | |
ist ein Problem, das man grundsätzlich in diesem Land hat als jemand mit | |
Familie, wenn beide arbeiten – und wahrscheinlich bin ich noch relativ | |
privilegiert, weil ich mir meine Zeit zu weiten Teilen selbst einteilen | |
kann. Ich glaube, es ist ohne familiäre Infrastruktur kaum möglich. | |
Das heißt, Sie haben das Glück, auf Großeltern zurückgreifen zu können? | |
Genau. Meine Eltern und die meines Mannes, und dann habe ich zwei Nichten | |
und meine Schwester hier, was im Übrigen auch der Grund ist, weshalb wir | |
immer noch in Köln leben und nicht in Hamburg. | |
Wo wir bei Familie sind: In einem Interview haben Sie gesagt, dass Ihr | |
Vater skeptisch war, dass Sie ein Studium der Islamwissenschaften | |
hinbekämen. Hat Sie das entmutigt oder angefeuert? | |
Ich dachte: Jetzt erst recht. Es ging meinem Vater damals darum, dass es | |
sehr schwierig ist, drei Sprachen zu lernen, die nichts miteinander zu tun | |
haben. Vor allem, wenn man keine Grundlage dafür hat. Er meinte: In der | |
Schule bist du nicht dafür bekannt geworden, besonders viel zu lernen; du | |
machst nur das, was dir Spaß macht. Das geht bei Islamwissenschaft aber | |
nicht. | |
Woher kam Ihr Interesse an der Islamwissenschaft? | |
Mein Vater ist sogar Islamwissenschaftler. Aber er hat nie versucht, mich | |
in diese Richtung zu drängen. Er hat mich bestärkt, etwas zu tun, was ich | |
sehr gerne tue – nur dann wäre es Erfolg versprechend. Aber naheliegend war | |
das schon, dass es Sprachen und Politik sein würden. Ich war als | |
Jugendliche in der Kommunalpolitik aktiv. | |
Waren Sie bei der SPD? | |
Nein, bei den Grünen. Ich habe mich aufstellen lassen bei den | |
Kommunalwahlen in meinem Dorf, in Winterscheid. Ich habe auch viele Stimmen | |
bekommen – aber leider nicht genug. | |
Und wie kamen Sie von der Politik zur Islamwissenschaft? | |
Das war ein Zufall. Ich habe einen Vortrag der Islamwissenschaftlerin | |
Annemarie Schimmel gehört – eigentlich nur, weil ich Auto fahren wollte. | |
Was konnte Annemarie Schimmel dafür tun? | |
Mein Vater hatte gefragt, ob jemand zu dem Vortrag mitkommen wollte. Ich | |
hatte gerade meinen Führerschein gemacht und sagte: „Wenn ich die 40 | |
Kilometer hin- und zurückfahren darf, dann komme ich mit.“ Annemarie | |
Schimmel hat über die Bildersprache des Haifiz, des berühmtesten persischen | |
Dichters, gesprochen und das war so umwerfend, dass ich danach gesagt habe: | |
Das studiere ich jetzt. | |
War Ihr Elternhaus religiös? | |
Ich bin Muslimin und als solche groß gezogen worden. Aber ich bin in einem | |
Umfeld sozialisiert, das nicht islamisch geprägt war – in einem | |
katholischen Dorf mit 1.000 Einwohnern. Aber in den 80er Jahren hatten wir | |
extrem viel Besuch von meiner iranischen Familie. Dann war man zusammen mit | |
Verwandten, die ihre Gebete machten, mein Onkel erzählte von der | |
Pilgerfahrt, solche Dinge. | |
War Iran als Land in Ihrer Kindheit ein Sehnsuchtsort? | |
Als ich vier Jahre alt war, habe ich ein Jahr lang in Iran gelebt. Danach | |
wollte ich auf keinen Fall zurück nach Deutschland, man hat mich schreiend | |
in das Flugzeug getragen. Damals war Iran der Ort für mich, wo es schön war | |
und Deutschland der Ort, wo es doof war. Das hat später kontinuierlich | |
abgenommen. Dann gab es Phasen, in denen wir noch viel Besuch aus Iran | |
hatten, was mit dem Krieg und der schlechten medizinischen Versorgungslage | |
zu tun hatte. Zu dieser Zeit war unser Haus sehr iranisch geprägt. Das nahm | |
dann ab, und wenn man 16, 17 Jahre alt ist, interessiert man sich ja gerade | |
für das nicht, was von den Eltern kommt. Und dadurch, dass ich eine | |
deutsche Mutter habe, war der Alltag, wenn nicht gerade iranische | |
Verwandtschaft da war, ausgesprochen deutsch. Es lagen vielleicht iranische | |
Teppiche herum und es gab iranisches Essen, aber ansonsten war alles sehr | |
normal deutsch. | |
Warum wollten Sie als Kind so dringend in Iran bleiben? | |
Ich hatte dort eine große Familie mit drei Tanten und deren Kindern und ich | |
mochte Großfamilie sehr. In Deutschland waren wir eine ganz kleine Familie. | |
Außerdem ist Iran für Kinder toll. Sie sind immer überall dabei, man fuhr | |
ins Grüne, machte Picknicks. Außerdem war ich die einzige Tochter des | |
einzigen Sohnes, da hat man eine coole Stellung. Auch nachher war es so: | |
Wenn meine Eltern sagten, wir bekommen heute Abend Besuch, habe ich immer | |
gefragt: „Sind das Deutsche oder Iraner?“ Waren es Deutsche, mussten die | |
Kinder ins Bett, waren es Iraner, brachten sie ihre Kinder mit und die | |
tobten herum, bis sie um elf in einer Ecke einschliefen. | |
Sie sind als Studentin noch einmal nach Iran gegangen. Wie war das für Sie | |
als junge Frau? | |
Als Frau hat man in der islamischen Republik Iran wenig Freiräume. Wobei | |
ich natürlich deutlich mehr hatte als rein im Iran lebende Frauen. Zum | |
einen von meiner Familie aus: Wo meine Tanten zu den Cousinen gesagt | |
hätten, das darfst du nicht, hat sich das bei mir keiner recht getraut. Und | |
ich konnte mich viel freier bewegen, weil ich nicht besonders iranisch | |
aussehe. | |
Sie selbst waren nie von Repressionen betroffen? | |
Ich nicht, aber ich habe über Reformdiskurse geforscht und geschrieben, die | |
mich in diese Kreise hineingebracht haben. Meine Doktorarbeit habe ich über | |
jemanden geschrieben, der große Schwierigkeiten bekommen hat, Abdolkarim | |
Sorush. Das habe ich natürlich mitbekommen. Oder wenn man sich mit | |
Intellektuellen traf: Sei es, dass die Herausgeber von Zeitschriften kein | |
Papier bekamen, dass sie ihre Lizenz verloren, dass sie vor Gericht | |
erscheinen mussten und ins Gefängnis kamen. | |
Was für Sie als Wissenschaftlerin wichtig geworden ist: die Themen Islam | |
und Dialog und Islam und Gender – fanden Sie damals Ansätze dafür? | |
Ich bin an der Uni sehr schnell auf Reformtheologie gestoßen und fand es | |
unglaublich interessant, wie viele Leute sich gegen dieses repressive | |
System wenden. Ein System, das Verbote für Frauen oder die Ablehnung der | |
Demokratie mit dem Islam begründet, setzt natürlich die Gegenreaktion frei, | |
die fragt: Wieso soll der Islam nicht mit Demokratie vereinbar sein? Das | |
hat man in Iran dann viel stärker als in Tunesien, wo es eine sehr | |
fortschrittliche Gesetzgebung für Frauen gibt, die klar säkular ist. So war | |
Iran eines der ersten Länder, in denen es eine feministische Theologie gab | |
– wobei sie sich nicht so nennen, weil es zu westlich und damit zu negativ | |
klingt. | |
Mussten solche Diskurse in Iran nicht in sehr versteckten Zirkeln | |
stattfinden? | |
Das kommt immer auf die Zeit an. Anfang der 90er Jahre gab es zwei | |
Zeitschriften, die wesentlich waren: In der einen schrieben fast nur | |
Männer, religiöse Reformer, Kiyan nannte die sich. Sie wurde von den | |
offiziellen Stellen kritisiert, durfte aber erscheinen. Zum Teil waren die | |
Texte darin auch so kompliziert, mit Argumentationen zur Wandelbarkeit der | |
religiösen Erkenntnis, dass sie von der Politik schlicht nicht verstanden | |
wurden. Dann gab es noch eine Zeitschrift, die nannte sich „Frauen“, Zanan, | |
die etwa eine eigene geschlechtergerechte Lesart des Korans vertrat. Mit | |
dem Wahlsieg von Chatami haben viele Leute aus diesem Umfeld die Chance | |
genutzt, eigene Zeitungen und Zeitschriften zu gründen. Das war der Punkt, | |
wo dieser Diskurs wirklich in die Gesellschaft drang und es entsprechend | |
Ärger von Seiten der Konservativen gab. | |
Wird die geschlechtergerechte Lesart des Koran derzeit in Ländern wie Iran | |
oder im Westen vorangebracht? | |
Das muss parallel geschehen und befruchtet sich auch gegenseitig. Die Idee | |
des islamischen Feminismus ist ja nicht in Europa, sondern in der | |
islamischen Welt geboren. Andererseits ist eine der bedeutendsten | |
Vertreterinnen des islamischen Feminismus eine Afro-Amerikanerin, Amina | |
Wadud. Sie kommt aus der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, ist | |
konvertiert und hat einen starken Impuls in die islamische Welt | |
zurückgegeben, indem sie in Malaysia die Sisters of Islam mitgegründet hat. | |
Manche Frauenrechtlerinnen tun inhaltlich Dinge, die sehr übertragbar sind: | |
Amina Wadud bietet eine geschlechterneutrale Lesart des Korans an. Andere | |
Aktivitäten von Frauenrechtlerinnen sind sehr auf den Kontext bezogen, in | |
dem die Frauen wirken: Wenn die Frauen in Iran darum kämpfen, sich scheiden | |
lassen zu können, sagen die Frauen in Tunesien: „Was interessieren uns die | |
zurückgebliebenen Gesetze Irans? Den Kampf um solche Fragen haben wir schon | |
längst für uns entschieden.“ | |
Und in Deutschland? | |
Da fragen sich die Musliminnen: „Was ist mit meiner Religion vereinbar?“ | |
Man bekommt von konservativer Seite ein patriarchal geprägtes Bild | |
vermittelt, was Frauen sein sollen. Das gilt sowohl für die Verbände als | |
auch für das, was Ehemann und Vater vermitteln. Nicht immer, aber oft. Wenn | |
die Frauen das ablehnen, haben sie das Gefühl, ihre Religion zu verraten. | |
Dafür muss man einen Ansatz entwickeln, wie man authentisch Muslimin sein | |
und ein gleichberechtigtes Geschlechterverhältnis leben kann. | |
4 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
## TAGS | |
Islamwissenschaft | |
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