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# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Gott sei Dank nicht richtig links
> Er steht für die neue Kultur der Verantwortung: Frankreichs
> Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron – zu schön, um wahr zu werden?
Bild: „Jung, frisch, anders“: Emmanuel Macron
In der Sekunde, da Martin Schulz vom Kollegen Sigmar Gabriel als
Vizekanzlerkandidat der SPD nominiert war, kamen schon die Ersten und
fragten streng, ob er denn auch „richtig links“ sei oder werden könne.
Nein, ist er nicht, kann er nicht. Keiner kann richtig links sein, im
existenziellen oder phänomenologischen Sinn. Außerdem gibt es politisch
kein richtig links.
Man kann nur davon leben, zu beklagen, dass andere nicht richtig links
sind, wie die Linkspartei. Also nationallinks. Antikapitalisten wählen
derweil jetzt gern auch Autoritäre. Kurzum, die Spaltung der westlichen
(Post)industriegesellschaften hängt stark mit der sozialen Frage zusammen
und ist doch nicht mehr mit links und rechts zu beschreiben.
Und damit ist man bei Emmanuel Macron, dem französischen
Präsidentschaftskandidaten. Macron, 39, ist erstens überzeugter Europäer,
und zweitens ist er – im alten Denken, müsste man sagen – links und rechts.
Die Frage lautet: Ist auch Frankreich reif für einen kulturell-politischen
Denkwechsel, um damit die offene europäische Gesellschaft gegen
Nationalismus und die autoritäre Bedrohung zusammenzuhalten? So hat bereits
der Grüne Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg SPD und CDU abgelöst,
so wurde der Grüne Alexander Van der Bellen Bundespräsident von Österreich.
## Jung, frisch, anders
Und jetzt Macron? Die Inszenierung ist nicht neu. Jung, frisch, anders.
Gegen „verkrustete“ Parteien, gegen das politische Establishment, obwohl er
selbst von der Eliteschule kommt, Banker und Hollandes Wirtschaftsminister
war. Aber in diesem Moment steht er für die Möglichkeit eines Wandels, der
ein anderer Wandel ist, als ihn Le Pen verspricht. Er steht für die neue
Kultur der Verantwortungsübernahme als demokratische Revolte – die in
Deutschland bisher nur der Grüne Robert Habeck vertritt.
Ein Ökosozialliberaler ist Macron aber nicht. Er ist radikal proeuropäisch,
das ist zentral. Gesellschaftsliberal. Jenseits von linksnationalistischem
Protektionismus, für eine Umgestaltung des Arbeitsmarktes. Verkürzt gesagt,
Priorität hat das Zurückkommen in Anstellung und nicht mehr nur das Bleiben
in Festanstellung.
Er scheint ein intellektueller Populist zu sein. Einer, der gerade in
Zeiten des antiintellektuellen Ressentiments nicht verbirgt, dass er
Philosophie studiert hat. Macron schätzt die Deutschen und Merkels
Flüchtlingspolitik, er spricht perfekt Englisch, er zitiert nicht nur
Habermas aus dem Kopf. Er sei wahnsinnig schnell im Denken, sagt einer, der
ihn kennt. Er ist vermeintlich viel zu jung für das Amt. Und dann hat er
auch noch eine 20 Jahre ältere Frau, seine frühere Französischlehrerin.
Wow.
## Auf eigenem Ticket
Nach dem französischen Wahlrecht kommen die beiden führenden Kandidaten in
eine Stichwahl. Dass Marine Le Pen dort vertreten ist, gilt als
wahrscheinlich. Genauso, dass ihr Gegner dann gewinnt. Favorit war bisher
der Konservative François Fillon (Les Republicains), auch auf dem
Erneuererticket, der nun aber durch einen Nepotismusvorwurf beschädigt
wird.
Bei der sozialistischen Vorstichwahl an diesem Sonntag läuft es auf Benoît
Hamon hinaus, einen linken Linken, der als nicht mehrheitsfähig gilt. Aber
vielen Linken immer noch lieber ist als der rechte Linke Manuel Valls. Dann
gibt es noch – auf eigenem Ticket – einen lafontaineschen Linkspopulisten,
das ist Jean-Luc Mélenchon. Kurzum, sie sind mit dem beschäftigt, was ihnen
wirklich wichtig ist – mit sich selbst.
Heißt, wenn es Macron gelingt, so viele zu faszinieren, dass er hinter Le
Pen in den zweiten Wahlgang kommt, dann wird der Präsident von Frankreich.
Es klingt alles zu schön, um wahr zu werden. Oder nicht?
28 Jan 2017
## AUTOREN
Peter Unfried
## TAGS
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Grüne
Alexander Van der Bellen
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Jean-Luc Mélenchon
Schwerpunkt Frankreich
Cem Özdemir
Grüne Berlin
Opposition
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