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# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Es fährt ein Wort nach Nirgendwo
> Muss die Linke MDMA einwerfen und sich dann neu erfinden? Diesem
> imaginären Bündnis der Guten hilft auch kein Kräuterzucker.
Bild: Links herum. Aber was ist links und was, vor allem, ist die Linke?
Eine extrem gutaussehende Frau mit einem interessanten Schleier in den
Augen beugte sich zu mir und flüsterte: „Peter!“ Ich denke, das ist ein
Supereinstieg für eine Weihnachtsfeierstory, und zwar für sämtliche
Geschlechter und Entwürfe. Da will man wissen, wie es weitergeht. Und damit
sind wir beim Problem, denn als Nächstes sagte sie: „Die Linke muss!“
Ich bin der Erste, der für eine Repolitisierung der Gesprächskultur
eintritt. Nicht immer nur das Gejammere über den schlechten Service und die
besseren Kollegen. Aber das kam mir jetzt ungelegen.
Ich sagte: „Welche, äh, Linke?“ Sie seufzte begeistert: „dieee Linke.“…
die.
Den Begriff hatte ich früher oft bei Kreuzberger Partys gehört. Vor allem,
bevor die PDS das Wort kaperte. Dieee Linke waren damals wir.
Erst sagte man stundenlang: Dieee Linke muss. Globale Gerechtigkeit
schaffen, den Kapitalismus überwinden, für Menschen- und Tierrechte,
Gleichberechtigung, sexuelle Liberalisierung und radikalen Schutz vor
Überwachung sorgen. Ab 1 Uhr morgens wurden Castro, Chàvez, Extraktivismus,
linke Homophobie, Frauendiskriminierung, Menschenrechtsverletzungen und
antifaschistische Schutzbespitzelungen verteidigt. Um 4 Uhr seufzten dann
alle, dass dieee Linke in der Krise sei. Das waren dann aber nicht mehr
wir, sondern andere.
„Linke-Krise-eben!“, rief die extrem gutaussehende Frau. Ihre Eltern waren
in den 70ern beim VSGS (Verbeamtete Studienräte gegen den Staat) am
Untergrund vorbeigeschrammt, entsprechend kritisch war sie in ihrem
Einfamilienhaus aufgewachsen. Und geblieben. Wegen dieser linken Krise gebe
es die Notwendigkeit eines großen Kongresses, sagte sie. Auf dem dieee
Linke geschlossen MDMA einwerfen müsse und sich dann neu erfinden.
Ob ich noch etwas MDMA für sie übrig hätte.
Während ich in meinen Taschen kramte, überlegte ich, was das Wort dieee
Linke gemeint hatte. Ein imaginäres Bündnis der Guten, klar. Für die einen
reichte es von der bürgerlichen Intelligenz bis zu den Arbeitern. Für
andere war es gleichbedeutend mit der SPD. Für wieder andere das Gegenteil
von SPD.
Als Schröder und Fischer 1998 eine rot-grüne Bundesregierung bildeten,
mochte man den Eindruck haben, Sozialdemokraten, Sozialökologen und
Vertreter der identitätspolitischen Liberalisierung hätten ein progressives
Mehrheitsbündnis geschlossen. Aber da kam auch schon dieee Linke und sagte,
dass das alles überhaupt nicht links sei. Sie meinten es anders, aber sie
hatten recht. Das Konzept von dieee Linke gab es immer nur als Opposition
gegen eine miese Mehrheit.
Ja, aber wäre nicht Rot-Grün-Rot dieee Linke? Machen wir den Links-Test:
Ist pro Putin links oder kontra Putin? Ist pro EU links oder kontra EU? Ist
es links, europäische Entscheidungen ins Nationale zurückzuverlagern? Ist
erneuerbare Energie links oder Verteidigung von Kohle? Internationaler
Handel, Atom, Green New Deal? Und wenn es richtig links wäre, wie Corbyn
beim Brexit lavierte, dann könnten überzeugte Europäer niemals links sein.
Tja.
Ich flüsterte der extrem gutaussehenden Frau meinen Leitsatz für 2017 ins
Ohr. Er ist von dem Frankfurter Europäer Daniel Cohn-Bendit, der im 20.
Jahrhundert 10 Millionen Mal „dieee Linke“ beschworen hat. Heute sagt er:
„Wenn man die Linke sagt, ist man nicht positioniert, sondern im
Nirgendwo.“ Da helfen auch keine Pillen.
Das allein hätte den Abend nicht versaut. Aber die Durchsuchung meiner
Taschen ergab, dass ich kein MDMA hatte und auch nicht wusste, was das war.
Ich hatte nur Kräuterzucker. Das wollte die Frau auf keinen Fall einwerfen.
1 Jan 2017
## AUTOREN
Peter Unfried
## TAGS
Opposition
Drogen
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Alexander Van der Bellen
Heimat
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