# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Das neue grüne Wir | |
> Der künftige Bundespräsident von Österreich hat der antieuropäischen | |
> Stimmung getrotzt. Was können die deutschen Grünen von ihm lernen? | |
Bild: Von van der Bellen lernen, heißt Siegen lernen | |
Als der österreichische Bundespräsidentenkandidat Alexander Van der Bellen | |
am Sonntagabend im Triumph in die Wiener Sofiensäle einzog, spielten sie | |
„We Are the Champions“ von Queen. Und was sagt uns das? Es sagt uns, dass | |
er gewonnen hat. Klar, ein Classic-Grüner hätte mit kulturellem | |
Distinktionsbewusstsein „Pata Pata“ von Miriam Makeba gewählt. Aber der | |
hätte halt nicht mal die Stichwahl erreicht. | |
Jetzt könnte man sagen: Van der Bellen ist doch gar kein Grüner, sonst | |
hätte er die Wahl ja nicht gewonnen. Das wäre für alle ideal, die nicht | |
wollen, dass Grüne jenseits von Baden-Württemberg als Orientierungspartei | |
die zentralen Fragen der Gegenwart bearbeiten. Es hieße im Umkehrschluss: | |
Richtige Grüne sind Verlierer, deren Erfüllung es ist, wie im Land Berlin | |
hinter der Linkspartei zu landen, um als Nummer 3 in einer | |
anachronistisch-sozialdemokratisch tickenden Koalition mitwurschteln zu | |
dürfen. Die entscheidende Frage für die Partei vor der Bundestagswahl | |
lautet also: Wozu Grün im Jahr 2017? | |
Er setze auf die „Vernunft“, sagte Alexander Van der Bellen mir vor der | |
Wahl. | |
Ich sagte: „Ja glauben Sie denn, dass die Vernunft mehrheitsfähig ist?“ | |
Worauf er antwortete: „Ja. Noch.“ | |
Und tatsächlich hat er mit einem fast perfekten Wahlkampf und einem Gespür | |
für die Grenzen von anderen eine Mehrheit der Vernunft zusammengebracht: | |
Pro EU und für die offene Gesellschaft. Und auch wenn das im Wahlkampf | |
keine Rolle gespielt hat, so steht dieser Bundespräsident jetzt auch für | |
die sozialökologische Transformation als zentralen Kern einer gerechteren | |
gemeinsamen Zukunft. | |
## Mit dem Janker übers Dorffest | |
Man kann über Österreichs Grüne sagen, was man will, aber sie haben die | |
historische Chance genutzt. Und nicht vorbeiziehen lassen. Sie haben sich | |
untergeordnet unter ein größeres Ziel, sich einen ewigen Wahlkampf lang die | |
moralischen Oppositionsausrufezeichen verkniffen, auch wenn es richtig hart | |
war, etwa bei der Schließung der Balkanroute. | |
Ja, aber: Wozu dann noch Grün? | |
Van der Bellen hat eine Antwort gegeben, indem er liberale Europäer vor | |
einem antieuropäischen, antiliberalen, antisozialökologischen | |
österreichischen Bundespräsidenten bewahrt hat. Diesen Job müssen nicht die | |
Grünen übernehmen. Es böte sich halt an. | |
In Österreich kann man auch sehen: Wer rechts schlagen will, muss von halb | |
rechts Wähler holen und darf nicht die Mitte nach rechts verschieben, so | |
wie das moralische Linkspopulisten, kurz: Mopulisten, wie der Journalist | |
Jakob Augstein mit dem Kampfbegriff „rechte Grüne“ versuchen. | |
Van der Bellen hat sich einen Janker gekauft und ist darin über die | |
Dorffeste gezogen. Das war ein Zeichen der Wertschätzung der Kultur der | |
anderen. So baute er Vertrauen auf – gegen diesen Habitus, von anderen | |
immer nur das Schlimmste anzunehmen. Der zentrale teilgesellschaftliche | |
Paradigmenwechsel, für den Van der Bellen steht, ist sein Patriotismus. | |
Dies ist unsere Gesellschaft, unsere Verfassung, unsere Demokratie, unser | |
Europa. Und nun müssen wir nach den gemütlichen Jahren im gefühlten | |
Widerstand zum ersten Mal kämpfen – und zwar dafür und mit möglichst vielen | |
zusammen. Nicht gegen möglichst viele. | |
Mit dieser Haltung hat Alexander Van der Bellen eine neue Mehrheit gewonnen | |
und damit auch die überkommenen Zuordnungen rechts und links überwunden. Es | |
sind Grüne, Liberale, Linke und Konservative, die ihn gewählt haben, um als | |
Allianz gegen rechts die offene Gesellschaft und die Möglichkeit einer | |
guten Zukunft zu verteidigen. Die Kraft eines progressiven | |
Spitzenpolitikers bemisst sich nicht an der Radikalität seiner Positionen. | |
Sie bemisst sich daran, ein Wir schaffen zu können, das über die Partei | |
hinausweist. | |
10 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
## TAGS | |
Alexander Van der Bellen | |
Grüne Berlin | |
Grüne Partei Österreich | |
Grüne | |
FPÖ | |
Grüne Partei Österreich | |
Österreich | |
Opposition | |
Präsidentschaftswahlen Österreich | |
Präsidentschaftswahlen Österreich | |
Österreich | |
Präsidentschaftswahlen Österreich | |
Alexander Van der Bellen | |
Norbert Hofer | |
Norbert Hofer | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Grüne in Österreich: Sie trennen sich von ihrer Jugend | |
Dass die Jungen Grünen eigene Wege gehen und andere Partner an den | |
Universitäten unterstützen, nimmt die Mutterpartei nicht unwidersprochen | |
hin. | |
Koalitionskrach in Österreich: Der Kanzler droht mit Neuwahl | |
SPÖ-Chef Christian Kern hat der ÖVP indirekt ein Ultimatum gestellt. Bis | |
Freitag müssten Ergebnisse in der Überarbeitung des Regierungsprogramms | |
vorliegen. | |
Kolumne Die eine Frage: Es fährt ein Wort nach Nirgendwo | |
Muss die Linke MDMA einwerfen und sich dann neu erfinden? Diesem imaginären | |
Bündnis der Guten hilft auch kein Kräuterzucker. | |
Flüchtlinge in Österreich: Obergrenze unterschritten | |
Österreich hat eine Obergrenze für Flüchtlinge von 37.500 eingeführt, doch | |
es kamen weit weniger. Nun beginnt der Streit: Soll die Grenze in die | |
Verfassung? | |
Nachlese zur Wahl in Österreich: Die andere Hälfte des Landes | |
Norbert Hofer hat die Wahl verloren, dennoch haben viele für den | |
FPÖ-Kandidaten gestimmt. Was hat sie dazu veranlasst? Drei Porträts. | |
Kommentar Van der Bellens Wahlerfolg: Trügerische Erleichterung | |
Der Kraftakt, gegen die Rechten zu gewinnen, war groß. Er sichert den | |
Demokraten keine breite Zustimmung. Das Wahlergebnis bleibt beunruhigend. | |
EU-Reaktionen auf Abstimmungen: Österreich hui, Italien pfui | |
Lob und Euphorie gibt es für Alexander Van der Bellens Wahlsieg. Matteo | |
Renzis Niederlage fällt hingegen den meisten EU-Vertretern lästig. | |
Analyse der Österreich-Wahl: Küss die Hand, gnä' Frau | |
Hätten nur Männer abgestimmt, säße bald ein Rechter in der Wiener Hofburg. | |
Van der Bellens Sieg ist aber auch Tausenden Jungwählern zu verdanken. | |
Alexander Van der Bellen: Der Retter des Alpenlandes | |
Sohn niederländischer Migranten, kettenrauchender Professor, | |
Sympathieträger: Alexander Van der Bellen ist keiner, der polarisiert. | |
Präsidentenwahl in Österreich: Alles im grünen Bereich | |
Der grünen-nahe Alexander Van der Bellen wird Bundespräsident. FPÖ-Kandidat | |
Norbert Hofer verliert die Wahl deutlich. |