| # taz.de -- Alexander Van der Bellen: Der Retter des Alpenlandes | |
| > Sohn niederländischer Migranten, kettenrauchender Professor, | |
| > Sympathieträger: Alexander Van der Bellen ist keiner, der polarisiert. | |
| Bild: Nun wohl also doch bald Präsident: Van der Bellen am Sonntag vor seinem … | |
| In Zeiten der Unsicherheit wünschen sich die Menschen ein Staatsoberhaupt, | |
| das Ruhe, Toleranz und Verbindlichkeit ausstrahlt. Mit Alexander Van der | |
| Bellen haben sie einen Mann gewählt, der gleichzeitig über ausreichend | |
| Würde und Selbstironie verfügt, um in der Hofburg den Versuchen der | |
| imperialen Inszenierung zu widerstehen und die weitreichenden Vollmachten | |
| des Amtes nicht auszureizen. Dennoch hat er in den TV-Konfrontationen der | |
| vergangenen Wochen immer wieder die Fassung verloren, provoziert vom | |
| untergriffigen Stil seines Rivalen Norbert Hofer. Die Versuche, ihn als | |
| Linksextremisten, senilen Greis oder – wie zuletzt – als Spion zu | |
| verunglimpfen, haben letztlich nicht verfangen. | |
| Der 72-jährige pensionierte Wirtschaftsprofessor hat im Wahlkampf den | |
| Begriff Heimat zu besetzen versucht, um die nach dem Ausscheiden der ÖVP in | |
| der ersten Runde frei gewordenen konservativen Stimmen in der Provinz | |
| einzusammeln. Ein Mann, der in verrauchten Studentenkneipen sozialisiert | |
| wurde und sein Berufsleben in Hörsälen und Studierzimmern zugebracht hat, | |
| warb mit unberührter Natur und Bergwelt. Im Tiroler Kaunertal verbrachte | |
| der langjährige Grünenchef die prägenden Jahre der Kindheit. Und für seine | |
| Eltern, emigrierte Niederländer, die zuerst vor Stalins Terror von Russland | |
| nach Estland, dann nach Wien und 1945 vor dem Anrücken der Roten Armee mit | |
| ihren Kindern nach Tirol flüchteten, war das schroffe Tal eine rettende | |
| Heimat. | |
| Ausgerechnet 1968, im Jahr der Studentenrevolten, bekam Van der Bellen eine | |
| Assistentenstelle am Institut für Volkswirtschaft an der Uni Innsbruck. Die | |
| Tiroler Landeshauptstadt lag zwar weitab von den Ereignissen in Paris und | |
| Berlin. Doch der Geist der Revolution wehte auch ein wenig am Inn und trieb | |
| den jungen Volkswirten um. Sein Professor, ein Vertreter der klassischen | |
| Lehre, rühmte sich, er könne sich auch einen linken Mitarbeiter leisten. | |
| Und der 24-jährige Jungakademiker nahm den sicheren Job gerne an. | |
| Auch, wie er sich erinnert, weil ihm versichert wurde, er würde sein | |
| „gesamtes Berufsleben lang mit intelligenten Menschen zu tun haben: den | |
| Studenten“. Van der Bellen hatte damals ein SPÖ-Parteibuch: Im politisch | |
| tiefschwarzen Tirol war er damit im öffentlichen Dienst ein Exot und | |
| Rebell. Das Parteibuch behielt er auch, als er Jahre später eine Professur | |
| in Wien antrat. | |
| ## Von den Sozis zu den Grünen | |
| Sein grünes Erweckungserlebnis hatte er 1984, als Naturschützer sich in | |
| eisigen Winternächten an Bäume in der Hainburger Au bei Wien ketteten, um | |
| die Abholzung des Auwaldes für ein Kraftwerk zu verhindern. Die damals von | |
| Kanzler Fred Sinowatz geleitete SPÖ sei den Protesten „vollkommen ratlos | |
| und vollkommen verständnislos“ gegenüber gestanden. Die letztlich | |
| erfolgreiche Aubesetzung wurde zur Geburtsstunde der Grünen. | |
| Van der Bellen verortet zwar seine Entfremdung von der SPÖ in jene Zeit, | |
| doch weder demonstrierte er in der Au, noch kann er sich rühmen, zu den | |
| Gründervätern der Grünen zu zählen. Vielmehr wurde er erst einige Jahre | |
| später vom Abgeordneten Peter Pilz, der bei ihm studiert hatte, angeworben | |
| und schließlich 1998 für die Position des Parteichefs – Bundessprecher | |
| heißt das bei den Grünen – vorgeschlagen. Keine ganz unumstrittene Wahl, | |
| denn der kettenrauchende Professor mit seiner bedächtigen Art und seinem | |
| bürgerlichen Lebensstil verkörperte einen Typ, der sich von den meisten | |
| umweltbewegten Alternativen krass abhob. | |
| Vielleicht gerade deswegen vermochte er, neue Wählerschichten anzusprechen, | |
| und führte die Grünen in den zweistelligen Prozentbereich. Er verweigerte | |
| das Coaching für professionellere Auftritte und konnte gerade durch seinen | |
| Verzicht auf Sprechblasen und seine nachdenkliche Art Sympathien weit über | |
| das grüne Biotop hinaus gewinnen. Selbst FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache | |
| findet den politischen Gegner persönlich sympathisch und erinnert sich an | |
| unzählige Zigaretten, die er im Raucherkammerl des Parlaments mit ihm | |
| konsumiert hat. | |
| ## Überzeugt von seiner Mission | |
| Der freundliche Opa mit dem lässigen Dreitagebart konnte aber durchaus | |
| ungemütlich werden, wie man sich in der Grünen-Fraktion erinnert. Richtig | |
| wütend reagierte er, als eine Gruppe der Parteijugend auf einem Plakat | |
| suggerierte, man möge einen Hundehaufen in die rot-weiß-rote Fahne wickeln: | |
| „Nimm ein Flaggerl für dein Gackerl. Wer Österreich liebt, muss Scheiße | |
| sein“. | |
| Dass er 2008 nach dem ersten kleinen Rückschlag bei einer Nationalratswahl | |
| unaufgefordert zurücktrat, rechneten ihm auch politische Gegner als | |
| konsequente Geste hoch an. Van der Bellen verzichtete auch darauf, der | |
| neuen Chefin Eva Glawischnig öffentlich Ratschläge zu geben, obwohl sie | |
| lange brauchte, um Tritt zu fassen. | |
| Es bedurfte einiger Überredungskunst, ihn aus der Polit-Pension zu holen | |
| und ins Präsidentschaftsrennen zu schicken. Einmal von seiner neuen Mission | |
| überzeugt, hat er sich aber mit voller Kraft in den Wahlkampf geworfen. | |
| Anders als von seinem Rivalen Norbert Hofer zu erwarten gewesen wäre, wird | |
| er als Bundespräsident nicht polarisieren. | |
| 5 Dec 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Ralf Leonhard | |
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