| # taz.de -- Analyse der Österreich-Wahl: Küss die Hand, gnä' Frau | |
| > Hätten nur Männer abgestimmt, säße bald ein Rechter in der Wiener | |
| > Hofburg. Van der Bellens Sieg ist aber auch Tausenden Jungwählern zu | |
| > verdanken. | |
| Bild: Die monatelange Kampagne hat verfangen: Van der Bellen am Sonntag nach de… | |
| Wien taz | Es ist schon eine seltsame Ironie der Geschichte, dass | |
| Österreich, das Land, wo der Rechtspopulismus einst unter Jörg Haider | |
| seinen Höhenflug antrat, dieser Ideologie eine schlimme Schlappe bereitet | |
| hat. Der vergleichsweise deutliche Sieg Alexander Van der Bellens ist ein | |
| Etappensieg für Karl Poppers „offene Gesellschaft“ und erspart dem Land | |
| vorerst größere Turbulenzen. | |
| Es ist keine abenteuerliche Spekulation, dass entfesselte FPÖ-Anhänger bei | |
| einem anderen Wahlausgang ihre vorher im Netz verbreiteten Hassausbrüche | |
| auch handgreiflich gegen Migranten oder Andersdenkende gerichtet hätten. | |
| Denn einen Erfolg „ihres“ Mannes hätten sie als Legitimierung von | |
| Ausgrenzung und nationalistischer Rachsucht verstanden. Ähnliche Ereignisse | |
| [1][nach dem Brexit-Votum] in Großbritannien und [2][nach Trumps Wahlsieg] | |
| in den USA dürften so manchem Unentschlossenen die Entscheidung erleichtert | |
| haben | |
| Die vor allem von mindergebildeten Männern bevölkerten Echokammern der FPÖ | |
| in den sozialen Medien haben viel zur Polarisierung dieses langen | |
| Wahlkampfes beigetragen. Hätten nur Frauen gewählt, dann wäre Van der | |
| Bellen mit 66 Prozent über die Ziellinie gelaufen. Wären nur Männer | |
| wahlberechtigt, dann hätte Hofer mit 58 Prozent triumphiert. | |
| Die Demoskopen und Politologen haben dafür eine einleuchtende Erklärung: | |
| Frauen tendieren dazu, für das Bewahrende zu optieren. Sie sind eher für | |
| versöhnliche Botschaften empfänglich. Wütende Männer seien leichter bereit, | |
| alles in die Luft zu sprengen, ohne über die Konsequenzen nachzudenken. | |
| Auch inhaltliche Gründe dürften die Frauen zu ihrer Wahl bewogen haben: Die | |
| männerbündlerisch strukturierte FPÖ hat schon immer ein Problem mit Frauen | |
| gehabt – kein Wunder, dass sich diese dann auch weniger angesprochen | |
| gefühlt haben. | |
| Der bedächtige, 72-jährige Ex-Grüne kam auch bei den jüngeren Generationen, | |
| die sich eine Zukunft ohne Krieg wünschen, besser an. Eine Rolle spielte | |
| daher auch, dass mehr als 45.000 Jungwählerinnen und -wähler, die im Lauf | |
| des Jahres das 16. Lebensjahr vollendet haben, erstmals zur Urne schreiten | |
| durften. | |
| ## Van der Bellen punktete mit Bekenntnis zur EU | |
| Seit der [3][Aufhebung der ersten Stichwahl] vom 22. Mai durch den | |
| Verfassungsgerichtshof hat der ehemalige Grünen-Chef unablässig zwei | |
| Botschaften getrommelt: Die FPÖ will Österreich aus der EU führen und damit | |
| der Wirtschaft schaden. Und: Ich genieße im Ausland höheres Ansehen und | |
| werde bei Staatsbesuchen die Wirtschaftsinteressen des Landes wahren. | |
| Hofer dagegen konnte sich nicht glaubwürdig von seinen früheren | |
| Ankündigungen distanzieren, er wolle ein Referendum nach britischem Vorbild | |
| über den Verbleib in der EU. Für mehr als 60 Prozent der | |
| Van-der-Bellen-Wähler war denn auch das klare Bekenntnis zur EU und die | |
| Weltoffenheit ihres Kandidaten ausschlaggebend. | |
| Die FPÖ-Granden, denen kein Wort der Selbstkritik über ihren | |
| unappetitlichen Wahlkampf über die Lippen kommen wollte, stricken indes | |
| bereits an einer Dolchstoßlegende. Es sei die Wahlempfehlung von | |
| Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) für Van der Bellen gewesen, die den | |
| Umschwung in den entscheidenden ÖVP-Gemeinden gebracht habe, klagte | |
| Parteichef Heinz-Christian Strache. | |
| Vor wenigen Tagen hatte man noch vollmundig die Unterstützung von | |
| „Systempolitikern“ als Ballast verhöhnt. Und ausgerechnet in der FPÖ, der… | |
| wichtigste Geschäftsgrundlage das Spielen mit und Aufputschen von Ängsten | |
| ist, beschwerten sich die Strategen über eine „Angstkampagne“ des | |
| gegnerischen Lagers. | |
| ## Ein gefährlicher Linksextremer? | |
| Viel wichtiger als der wenig populäre Mitterlehner dürften die zahlreichen | |
| ÖVP-Bürgermeister in Landgemeinden gewesen sein, die bei ihren Leuten | |
| Überzeugungsarbeit geleistet haben. Ob der berüchtigte Trachtenjanker, den | |
| sich der nüchterne Intellektuelle Van der Bellen zulegte, dabei geholfen | |
| hat, ist schwer zu ergründen. Die Demoskopen haben dieses Detail nicht | |
| abgefragt. Belegt ist aber, dass er Leute wie Josef Raich, den | |
| ÖVP-Bürgermeister des Tiroler Kaunertals, im persönlichen Gespräch von | |
| seinen guten Absichten überzeugt hat. | |
| In vielen Landgemeinden hat aber auch die jahrelange Propaganda der ÖVP | |
| gegen die Grünen nachhaltig gewirkt. Dort hält man den zukünftigen | |
| Staatschef noch immer für einen gefährlichen Linksextremen. | |
| Jetzt beginnt dieses Vorurteil zu bröckeln. Raich knüpfte nicht nur ein | |
| Netzwerk unter seinen Amtskollegen, sondern trat auch bei der | |
| Abschlusskundgebung in Wien auf. Van der Bellen wiederholte nicht nur | |
| seinen Sieg in Wien, Tirol, Vorarlberg, Oberösterreich und allen | |
| Landeshauptstädten, sondern „drehte“ auch die konservativ regierten | |
| Bundesländer Niederösterreich und Salzburg, die zuvor noch für Hofer | |
| gestimmt hatten, und legte in allen anderen Ländern zu. In Vorarlberg | |
| gewann Van der Bellen 90 von 96 Gemeinden, in Wien alle 23 Bezirke. | |
| Bei vielen bekennenden Katholiken auf dem Land dürfte auch Hofers | |
| Anbiederungsversuch mit seinem Plakatspruch „So wahr mir Gott helfe“ nicht | |
| gut angekommen sein. Zumindest haben sich die christlichen Kirchenoberen | |
| gegen eine Vereinnahmung durch die Hofer-Kampagne ausgesprochen. Für | |
| Hermann Schützenhöfer (ÖVP), Landeshauptmann der Steiermark, kam „diese | |
| Wahl nicht überraschend. Es war absehbar, denn man konnte auch in | |
| steirischen Gemeinden spüren, dass sich seit der letzten Wahl hier etwas | |
| hin zu Van der Bellen bewegt hat.“ | |
| Die gegenüber der ersten Stichwahl im Mai noch angestiegene Wahlbeteiligung | |
| weist darauf hin, dass die auf Tausenden Freiwilligen aufgebaute | |
| Mobilisierung der Van-der-Bellen-Kampagne funktionierte. Besonders | |
| bemerkenswert ist aber, dass 70.000 Wähler, die im Mai noch ihr Kreuzchen | |
| bei Hofer gemacht hatten, diesmal für Van der Bellen votierten. | |
| 5 Dec 2016 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ralf Leonhard | |
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