# taz.de -- Drehbuchautorin über deutsche Serien: „Wer bezahlt, hat den Hut … | |
> Statt den Autoren zu vertrauen, gehen die Sender auf Nummer sicher, sagt | |
> Drehbuchautorin Schneider. Das radikal Andere hat so kaum eine Chance. | |
Bild: Fehlt im deutschen TV: ein Protagonist, der immer böser wird – wie Wal… | |
taz.am wochenende: Frau Schneider, was ist das Geheimnis eines guten | |
Fernsehdrehbuchs? | |
Susanne Schneider: Eine profunde Geschichte, die es wert ist, erzählt zu | |
werden. Komplexe Charaktere zu erschaffen und keine ausgetretenen Pfade | |
entlangzuschlurfen. Wobei einem das manchmal schwer gemacht wird. | |
Wie das? | |
Es wird gerne von einer angeblichen Überforderung der Zuschauer gesprochen. | |
Sie sollen „abgeholt“ werden. Und so kommt es zu einer Normierung der | |
Narration. Sperrige Charaktere passen da nicht hinein. Walter White aus | |
„Breaking Bad“ etwa könnte man bei uns nicht schreiben: Ein Protagonist, | |
der mit der Zeit immer böser wird – schwer vorstellbar in einer deutschen | |
Serie. | |
Als „Tatort“-Autorin haben Sie viel fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen | |
gearbeitet. Stimmt die Unterstellung, dass innovative Serien dort keine | |
Chance haben, weil die Entscheidungsstrukturen zu starr sind? | |
Bei den Öffentlich-Rechtlichen eine Serie durchzubringen ist ein wahrer | |
Gremienstaffellauf. Wahnsinnig viele Leute reden mit. Bei der ARD zum | |
Beispiel werden aus allen Sendeanstalten Vorschläge eingereicht, die | |
miteinander konkurrieren und die im großen Kreis diskutiert werden. Bis ein | |
Projekt dann den Zuschlag bekommt, hat meistens ein Abschleifungseffekt | |
stattgefunden. Man sucht eben nach dem gemeinsamen Nenner. Das heißt, dass | |
das radikal Andere kaum eine Chance hat. Aber auch die politische Gegenwart | |
ist ein No-Go. Historisches geht, Beispiel „Weissensee“ oder „Deutschland | |
83“, aber Intrigen und Verwicklungen im Parlament, Korruption, Machtspiele | |
wie bei „Borgen“ oder gar „House of Cards“, so etwas geht einfach nicht. | |
Es sei denn im „Tatort“? | |
In etablierten, erfolgreichen Formaten hat man eher die Chance, politische | |
Gegenwart zu erzählen. In einer Folge „Bella Block“, die ich geschrieben | |
habe, habe ich mich an die Ereignisse rund um die Gorch Fock angelehnt. Da | |
konnte ich in der Tat radikal zugespitzt erzählen. Das geht, weil die Reihe | |
erfolgreich ist und die Leute sie sehen wollen. Das schafft einem als Autor | |
den nötigen Freiraum. Dazu kommt eine Redaktion, die mutig ist und sich | |
weit vorwagt. | |
Sie haben mit „Breaking Bad“ und „Borgen“ ausgerechnet zwei | |
Positivbeispiele aus den USA und Skandinavien genannt. Dort haben | |
DrehbuchautorInnen mehr Freiheiten. Sie arbeiten im Team, haben mehr Zeit, | |
genießen mehr Vertrauen. Warum ist das hierzulande anders? | |
Wir haben hier ein redaktionelles System. Die Sender sagen: Wer bezahlt, | |
hat den Hut auf, wir geben die Richtung vor. Anstatt dass man denen, die | |
etwas von ihrem Fach verstehen, also den Autoren und Regisseuren, vertraut | |
und ihnen einen kreativen Freiraum schafft, will man auf Nummer sicher | |
gehen. Das geht bis zur Musikauswahl und zur Besetzung. In den USA sind | |
Autoren oft auch Koproduzenten; dadurch können sie mitbestimmen, und das | |
bewährt sich. Natürlich tragen sie dadurch auch ein Risiko mit. | |
Warum ist der Anteil weiblicher Drehbuchautorinnen so gering? Beim „Tatort“ | |
wurden nur 20 Prozent der Bücher von Frauen geschrieben. | |
Das liegt auch am Genre. Wir haben beim Verband der Drehbuchautoren auch | |
schon die Geschlechterverteilung ausgewertet. Bei den klassischen | |
Freitagabend-Herz-Schmerz-Formaten ist der Frauenanteil wesentlich höher. | |
Es heißt dann oft, Frauen interessierten sich eben nicht so sehr für | |
Krimis. Ich kann mir das nicht vorstellen. Man muss bedenken, dass der | |
„Tatort“ eines der Formate ist, für die man im deutschen Fernsehen am | |
besten bezahlt wird. Mit den vielen Wiederholungen lohnt sich das richtig | |
für die Autoren. Insofern fällt es mir schwer, zu glauben, dass sich Frauen | |
dafür nicht interessieren. Aber die Quote ist wirklich alarmierend gering. | |
Woran liegt es dann? | |
Was man auf jeden Fall feststellen kann: Männer treten anders auf. Sie | |
agieren in der Regel mit einer viel größeren Selbstverständlichkeit, | |
verteidigen ihre Arbeit, ihre Ideen vehement. Männer kommunizieren eher: | |
Beweise du mir mal, dass das, was ich geschrieben habe, nicht gut ist. Sie | |
verkaufen sich schlichtweg besser. Frauen sind da skrupulöser, ohne dass | |
ich das jetzt werte. | |
Frauen sind also empfänglicher für Kritik? | |
Wir nehmen Kritik eher auf: Aha, das funktioniert nicht? Dann muss ich noch | |
mal drüber nachdenken. Der Trick ist aber die behauptete Kompetenz. Männer | |
kommen in den Raum, haben ihr Basecap verkehrt herum auf dem Kopf und | |
sagen: Sag mir dein Problem, ich gebe dir die Lösung! Das beruhigt den | |
Redakteur oder Produzenten. Er denkt: Das ist einer, der schaukelt mir das | |
schon. | |
Gäbe es denn bei mehr weiblichen Autorinnen auch mehr innovative | |
Drehbücher? | |
Nicht automatisch. Aber es käme möglicherweise zu einer Verlagerung von | |
Schwerpunkten in den Stoffen. Mehr aus weiblicher Perspektive erzählte | |
Geschichten, mehr weibliche Protagonistinnen – eben die Sicht der anderen | |
Hälfte der Menschheit. | |
Sie sagten, dass sich innovative Geschichten oft am besten in eine bekannte | |
Krimireihe einschleusen lassen, „Tatort“ oder „Bella Block“. Im deutsch… | |
Fernsehen ist sowieso fast alles Krimi. Woher kommt unsere Krimiliebe? | |
Das kann keiner so richtig beantworten, man müsste dafür schon in die | |
kollektive Psyche des Landes eintauchen. Und doch kann man sagen: Beim | |
Krimi ist gleich von vornherein eine Spannung vorgegeben, eine klare | |
Marschroute. Es hat einen Mord gegeben, und der muss aufgeklärt werden – | |
damit hat man schon mal die Wirbelsäule, um die herum man seine Geschichte | |
bauen kann. Wenn man ins freie Feld rausschwimmt, etwa ein Drama oder – | |
noch größere Kunst – eine Komödie schreibt, dann fehlt diese Sicherheit. | |
Hängen Ihnen die Krimis auch manchmal zum Hals raus? | |
Wenn ich nichts anderes schreiben würde, wäre das sicher so. Aber in | |
nächster Zeit steht kein Krimi an, und das genieße ich. Einen guten Krimi | |
zu erzählen ist wie Schach spielen. Aber manchmal will man eben nicht | |
Schach spielen. Manchmal will man malen. | |
21 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Peter Weissenburger | |
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