| # taz.de -- Neue ARD-Serie „Charité“: Operieren in der Bruchbude | |
| > Am Dienstag startet die ARD-Serie „Charité“. Sie wirft einen | |
| > interessanten Blick auf die Kaiserzeit. Doch es mangelt an | |
| > Experimentierfreude. | |
| Bild: Ida Lenze (Alicia von Rittberg) kann sich die Behandlung eigentlich nicht… | |
| Seit den Zeiten von Dr. Brinkmann aus dem 80er-Jahre-Grauen „Die | |
| Schwarzwaldklinik“ genießen deutsche Krankenhausserien beim anspruchsvollen | |
| TV-Publikum einen schlechten Ruf. Zu seicht, zu kitschig, zu billig | |
| produziert sind die hiesigen Produktionen. All das lässt sich von [1][der | |
| neuen ARD-Krankenhausserie „Charité“] nicht sagen. | |
| Die Geschichte des ambitionierten historischen Sechsteilers beginnt im Jahr | |
| 1888, als an der Berliner Charité die bedeutenden Mediziner Rudolf Virchow, | |
| Robert Koch, Emil Behring, Ernst von Bergmann und Paul Ehrlich gleichzeitig | |
| und oft in Konkurrenz zueinander tätig waren. Unter widrigsten Umständen – | |
| kein elektrisches Licht, unzureichende Hygiene, das Krankenhaus eine | |
| Bruchbude – gewannen sie bahnbrechende Erkenntnisse. So beschrieb Koch | |
| erstmals die Rolle eines Krankheitserregers, Behring entwickelte ein | |
| Heilmittel gegen die Diphterie. | |
| ## Nein, keine Kopie | |
| Reichlich spannender Stoff also, den die zweifache Grimme-Preis-Trägerin | |
| Dorothee Schön („Frau Böhm sagt Nein“, „Der letzte schöne Tag“) geme… | |
| mit der Ärztin und Medizinjournalistin Sabine Thor-Wiedemann für das | |
| Drehbuch verarbeitete. Bereits 2008 begannen sie mit der Recherche. | |
| „Charité“ ist also nicht, wie manche vermuten, als Reaktion auf die | |
| brillante US-Serie „The Knick“ entstanden, in der Clive Owen seit 2014 als | |
| Chirurg in einem New Yorker Krankenhaus um 1900 zu sehen ist. | |
| Ursprünglich hatten die „Charité“-Autorinnen eine zehnteilige Doku-Fiction | |
| im Sinn, die 2010 zur 300-Jahres-Feier der Klinik laufen und von der | |
| Gründung bis heute alle Aspekte beleuchten sollte. Die Produktionsfirma UFA | |
| wollte allerdings lieber eine Miniserie entwickeln und sich dabei auf einen | |
| begrenzten Zeitraum konzentrieren. | |
| ## Klassenunterschiede im Blick | |
| „Wir haben eine Phase der Kaiserzeit ausgewählt, weil diese Epoche in | |
| fiktionalen Produktionen bislang kaum verhandelt wurde“, sagt Dorothee | |
| Schön. „Von Beginn an war unser Anspruch, dass wir diese Zeit auch | |
| politisch erzählen, die ganze Gesellschaft an dem Schauplatz einer einzigen | |
| Klinik verdichten. Relevant waren für uns neben der Rolle der Frau und der | |
| Klassenunterschiede vor allem der Antisemitismus und die sogenannte | |
| Rassenfrage – Ideologien, die damals bereits vorhanden waren und von den | |
| Nazis fortgeführt wurden.“ | |
| Die Heldin der Geschichte ist die frei erfundene Ida Lenze (Alicia von | |
| Rittberg). Die mittellose junge Frau wird in der Charité operiert und muss | |
| dort anschließend die Behandlungskosten abarbeiten. Sie beginnt sich für | |
| Medizin zu interessieren und will Ärztin werden – aber im Deutschen Reich | |
| ist Frauen der Zugang zum Studium verwehrt. Um diese Ida Lenze herum | |
| kreisen die Geschichten der Mediziner, die unter anderem von Justus von | |
| Dohnányi, Matthias Koeberlin und Ernst Stötzner verkörpert werden. | |
| Dabei findet glücklicherweise keine Idealisierung statt, im Gegenteil. | |
| Drogen, Depressionen, übersteigerter Ehrgeiz sind Teil des dargestellten | |
| Alltags. „Kein Zuschauer möchte heutzutage noch Figuren sehen, die ständig | |
| heldenhaft im Dienst der leidenden Menschheit stehen“, sagt Dorothee Schön. | |
| „Charaktere, die Brüche, Abgründe und dunkle Seiten haben, wecken eher das | |
| Interesse oder laden zur Identifikation ein. Aber wir haben nichts | |
| übertrieben, um die Figuren schillernder zu gestalten. Alles basiert auf | |
| Fakten, und die sind verblüffend genug.“ | |
| ## Recht konventionell und steif | |
| Jede Folge hat 1,2 Millionen Euro gekostet, und ein großer Teil davon | |
| dürfte in die gelungene Ausstattung und die Kostüme geflossen sein. Für die | |
| Regie war bei allen Folgen der Kino-Regisseur Sönke Wortmann („Das Wunder | |
| von Bern“, „Frau Müller muss weg!“) zuständig, der damit sein Seriendeb… | |
| feiert. Es bietet einen interessanten Einblick in eine wichtige Phase der | |
| Medizingeschichte, fährt faszinierendes zeitgeschichtliches Personal auf | |
| und wirft ein Schlaglicht auf die politische Atmosphäre. | |
| Schade, dass „Charité“ trotz allem recht konventionell und steif | |
| daherkommt. Bildsprache, Musik, Figurenkonstellationen, Dialoge wirken | |
| bisweilen bieder. Und natürlich steckt die junge Ida in der amourösen | |
| Klemme zwischen zwei Männern – originell ist das nicht. Auch wird zu viel | |
| Material in die nur sechs Folgen gepackt, Figuren und Themen können schon | |
| aus zeitlichen Gründen nicht richtig entfaltet werden. Vielleicht wäre es | |
| besser gewesen, der Serie mehr oder längere Episoden zu geben. | |
| Die wichtige Auftaktfolge kann verwirren, wenn man die Lebensläufe der | |
| Mediziner nicht im Schlaf beherrscht. Ab Mitte der zweiten Folge hat die | |
| Serie ihren Rhythmus gefunden, alles fließt ein bisschen besser, aber | |
| Experimentierfreude stellt sich nicht ein. Vielleicht wird das ja was bei | |
| der geplanten Fortsetzung. An den Büchern dafür arbeiten Dorothee Schön und | |
| Sabine Thor-Wiedemann bereits. Es soll einen Zeitsprung geben: Die | |
| Fortsetzung beschäftigt sich mit der Charité im Nationalsozialismus. | |
| 21 Mar 2017 | |
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| [1] http://www.daserste.de/unterhaltung/serie/charite/index.html | |
| ## AUTOREN | |
| Sven Sakowitz | |
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