# taz.de -- Verdrängung sozialer Einrichtungen: Kein Platz mehr für betreutes… | |
> 8.000 Berliner leben in betreuten Wohnformen. Doch den Trägern werden die | |
> Wohnungen vermehrt gekündigt – auch wegen der Rechtslage. | |
Bild: Der Wohnmarkt läuft heiß, auch soziale Einrichtungen werden verdrängt. | |
Zwei Wohnungen in Neukölln. Der soziale Träger ZiK, Zuhause im Kiez, nutzt | |
sie seit Jahren für seine Klienten: Menschen, die sich mit dem HI-Virus | |
oder mit Hepathitis C infiziert haben. Sozialarbeiter bieten ihnen Hilfe im | |
Alltag. Ein Paar und ein Mann haben hier ihre Bleibe. Doch dann, im Herbst | |
2013, kauft ein Investor das Haus, macht Flure und Fassaden schick und will | |
auch die Wohnungen durch Sanierung aufwerten. ZiK erhält bald die | |
Kündigungen. | |
2014 erwirbt derselbe Investor ein weiteres Haus in Neukölln. Zufällig hält | |
ZiK dort ebenfalls fünf Wohnungen. In beiden Objekten will der neue | |
Eigentümer die Miete drastisch erhöhen. ZiK reicht Klage ein. Denn wenn der | |
Träger die Wohnungen nicht halten kann, wo sollen die betreuten Menschen | |
dann hin? | |
Diese Frage stellt sich den Leuten von ZiK immer wieder. Und nicht nur | |
ihnen: Nach Angaben des Paritätischen Wohlfahrtsverbands leben in Berlin | |
rund 8.000 Menschen in betreuten Wohnformen. Die Unterstützung ist für all | |
jene gedacht, die alleine nicht klarkämen: Leute mit psychischen | |
Beeinträchtigungen, Wohnungslose, Suchtkranke, Behinderte und andere wohnen | |
einzeln oder in Gruppen und werden dabei von SozialarbeiterInnen begleitet. | |
Ziel ist, sie irgendwann wieder in die Selbstständigkeit zu entlassen. Rund | |
6.000 Wohnungen nutzen soziale Träger dem Verband zufolge in Berlin für | |
diese Zweck. | |
Doch ob das betreute Wohnen auch in Zukunft in diesem Umfang stattfinden | |
kann, ist fraglich. „Es ist ein Riesenproblem, dass den Trägern reihenweise | |
die Wohnungen gekündigt werden“, berichtet Regina Schödl, Fachreferentin | |
für Soziales beim Paritätischen. Derzeit höre sie jede Woche von | |
Kündigungen bei mindestens einer Mitgliedsorganisation. Schödl sagt: „Es | |
gibt erste Träger, die ihre Betreuungsmaßnahmen nicht mehr durchführen | |
können, weil ihnen der Wohnraum gekündigt wurde.“ Neue Wohnungen für die | |
häufig auf Sozialhilfe angewiesenen Klienten zu finden, sei auch jenseits | |
des Stadtzentrums inzwischen schwer. | |
Dass viele Vermieter die Bedürftigen aus den Wohnungen bekommen wollen, | |
liegt zum einen an der Entwicklung des Immobilienmarkts. Bei | |
Neuvermietungen können sie eine meist deutlich höhere Miete verlangen. | |
Selbst Erdgeschosswohnungen, für die sich früher kaum Interessenten fanden, | |
sind inzwischen begehrt. Auch ganze Häuser werden zu deutlich teureren | |
Preisen verkauft als noch vor ein paar Jahren, die neuen Eigentümer pochen | |
dann auf hohe Mieten. | |
Die vielen Kündigungen hängen aber auch mit einer problematischen | |
Rechtslage zusammen. Nach einer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs von | |
2008 können Vereine oder soziale Träger keine Wohnraummietverträge | |
abschließen, da sie keine natürlichen Personen sind, die in einer Wohnung | |
zur Miete wohnen. Die Verträge werden deshalb als Gewerbemietverträge | |
gewertet – der normale Kündigungsschutz, den MieterInnen sonst haben, fällt | |
weg. Für die Vermieter wird es dadurch sehr einfach, die wenig rentablen | |
Mieter loszuwerden. | |
Die Träger können juristisch gegen eine Kündigung vorgehen. Ob das | |
jeweilige Gericht einen Vertrag als Wohnraum- oder Gewerbemietvertrag | |
einstuft, hängt von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere von | |
einzelnen Formulierungen im Mietvertrag, ab. Rechtsanwalt Jan Prielipp hat | |
bereits viele solcher Fälle in Berlin vor Gericht vertreten. Er sagt, die | |
Erfolgsaussichten lägen bei etwa 50 Prozent. Ein Grundsatzurteil in der | |
Sache steht noch aus. | |
Im rot-rot-grünen Senat ist man sich offenbar bewusst, dass auch die | |
soziale Infrastruktur zunehmend unter der Verdrängung leidet. Im | |
Koalitionsvertrag heißt es, man wolle den Schutz von sozialen Einrichtungen | |
in die Milieuschutzverordnungen verankern. Auch die Liegenschaftspolitik | |
müsse dazu beitragen, dass „der rasant steigende Bedarf an sozialer | |
Infrastruktur unter anderem für besondere Wohnformen und Unterbringungen | |
befriedigt werden kann“. Dies könne etwa durch die Vergabe von | |
Erbbaurechten an gemeinnützige Träger erfolgen. Genauer will sich die | |
zuständige Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen noch nicht | |
äußern. „Die rechtlichen Möglichkeiten müssen erst geprüft und die | |
konkreten Schritte festgelegt werden“, so eine Sprecherin. | |
Im Fall der zwei Häuser in Neukölln konnte sich Zik doch noch mit dem neuen | |
Eigentümer einigen. Die zwei Wohnungen in dem einem Haus räumt der Träger | |
Ende 2015. In der Zwischenzeit ist der Mann des Paares gestorben, die Frau | |
zieht zu ihrem neuen Partner. Der Alleinlebende kann in eine andere Wohnung | |
von ZiK wechseln. Die fünf Wohnungen des anderen Hauses betreibt ZiK | |
weiter. Der Eigentümer hat zwar die Miete erhöht, aber nur so weit, wie es | |
die Richtwerte des Sozialamts zulassen. Die BewohnerInnen haben noch mal | |
Glück gehabt. | |
10 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Antje Lang-Lendorff | |
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