# taz.de -- Arbeitskräftemangel in Deutschland: Weiblich, Mutter, gerne älter | |
> Firmen suchen händeringend nach Azubis und Fachkräften. So ergeben sich | |
> neue Chancen für Mütter, Geflüchtete und Studienabbrecher. | |
Bild: Wo sind sie denn, die Fachkräfte? Frauen und Flüchtlinge haben dank Man… | |
Berlin taz | Am Ende machte sich Hella Büttner selbst auf zum Jobcenter, um | |
sich für ihre Mitarbeiterinnen ins Zeug zu legen. Die Pflegedienstleiterin | |
der Diakonie-Sozialstation in Berlin-Rahnsdorf brauchte dringend | |
examinierte Fachkräfte oder Leute, die das werden wollten. So wie die | |
beiden Frauen um die 40, die bei ihr schon als Hilfspflegerin arbeiteten | |
und sich gerne zur „Examinierten“ ausbilden lassen mochten. Das Problem war | |
nur: Die schulische Ausbildung bius zum Examen kostet Geld und Zeit, beides | |
war knapp bei den Müttern. Büttner und das Jobcenter fanden eine Lösung. | |
„Die beiden arbeiten jetzt 20 Stunden die Woche bei uns, daneben gehen sie | |
zur Schule“, erzählt Büttner. Das Jobcenter stockt das Gehalt auf und zahlt | |
die Gebühr für die Altenpflegeschule. Vier Jahre dauert die nebenberufliche | |
Ausbildung zur „Examinierten“. Die Frauen wissen durch die praktische | |
Arbeit, was auf sie zukommt. „Die Älteren bleiben eher“, sagt Büttner. | |
Junge examinierte AltenpflegerInnen wechseln hingegen oft schon nach | |
wenigen Jahren den stressigen Beruf. | |
Gerne weiblich und Mutter, gerne älter – Hauptsache die Motivation stimmt: | |
Viele kleine und mittlere Unternehmen suchen wie Büttner nach neuen Wegen, | |
um Auszubildende und Fachkräfte zu finden. Angesichts des Bewerbermangels | |
„geraten neue Zielgruppen in den Blick“, sagt Dirk Werner, Leiter des | |
Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung des arbeitgebernahen Instituts für | |
Wirtschaftsforschung (IW) in Köln. Die Berater geben Mittelständlern Tipps, | |
wie sie unter Schulabgängern, Älteren, Frauen, Arbeitslosen und | |
Studienabbrechern geeignetes Personal rekrutieren. | |
Gerade für kleinere Betriebe sind Bewerberinnen und Bewerber rar geworden. | |
Das liegt am Geburtenrückgang und an der Tatsache, das junge Leute heute | |
lieber Abitur oder Fachabitur machen und studieren, statt sich die Mühen | |
einer betrieblichen Ausbildung anzutun. Allein in Bayern rechne man für das | |
Jahr 2030 mit einer Lücke von 400.000 Fachkräften, sagt Hubert Schöffmann, | |
bildungspolitischer Sprecher der bayerischen Industrie- und Handelskammern. | |
Zu allermeist werden in Zukunft beruflich Qualifizierte fehlen, weniger die | |
Akademiker. | |
## Weiterbilden während der Arbeit | |
Auf der Suche nach neuem Fachpersonal für Firmen wirbt die Bayerische | |
Industrie- und Handelskammer für „Teilzeitausbildungen“ – einen | |
Bildungsgang, der sich an Alleinerziehende wendet, schildert Schöffmann. | |
Dabei arbeiten und lernen die Teilzeitauszubildenden 20 bis 25 Stunden die | |
Woche in einem ganz normalen Ausbildungsberuf. Die Teilzeitvergütung wird | |
durch öffentliche Mittel aufgestockt. | |
Die Industrie- und Handelskammer in Bayern bietet auch | |
„Teilqualifizierungen“ an: berufsbegleitende Weiterbildungen für | |
Beschäftigte ab 25 Jahren, die keinen Berufsabschluss haben. Dabei ist man | |
als Hilfskraft berufstätig und damit verdient Geld – absolviert aber | |
nebenbei Ausbildungsmodule, für die es nach einer Prüfung einen Schein von | |
der Kammer gibt. So werden zum Beispiel BürohelferInnen, Berufskraftfahrer | |
oder KellnerInnen „teilqualifiziert“. Das ist auch für Geflüchtete | |
attraktiv, die möglichst schnell Geld verdienen und sich nebenbei | |
weiterbilden möchten. | |
Im Jahr 2017 seien einige Pilotprojekte für Flüchtlinge geplant, etwa die | |
Teilqualifizierung als Berufskraftfahrer oder Fachkraft für Lagerlogistik, | |
berichtet Schöffmann. Das Handwerk dagegen sieht solche | |
Teilqualifizierungen kritisch und setzt mehr auf die traditionelle | |
Berufsausbildung. Denn das Risiko ist groß, mit einer Teilqualifizierung am | |
Ende doch nur in einer Art besserem Hilfsjob hängen zu bleiben. | |
Der Schritt in eine langjährige traditionelle Ausbildung ist für viele | |
Flüchtlinge allerdings erst mal zu groß. Wer im Heimatland vielleicht nur | |
einige Jahre die Schule besucht hat und aus einem ganz anderen Sprachraum | |
kommt, braucht in der Bundesrepublik oft jahrelange Vorbereitung durch | |
Sprachkurse und Schulunterricht – und kann nicht mal eben das Curriculum | |
einer Berufsausbildung in einer hiesigen Berufsschule absolvieren. | |
## Unternehmen bieten Nachhilfe- und Vorbereitungskurse | |
Deshalb machen derzeit auch nur 2.500 Flüchtlinge bundesweit eine | |
traditionelle Ausbildung in Handwerksbetrieben. Sehr viel mehr der | |
Neuankömmlinge sind mit Sprachkursen, Praktika und | |
Einstiegsqualifizierungen beschäftigt. Flüchtlinge seien eher „die | |
Fachkräfte von übermorgen“, sagt Schöffmann. | |
Schulabgängerinnen und Schulabgänger können sich die Unternehmen aussuchen. | |
Die meisten wollen zu den großen Firmen. In München habe man wegen der | |
Konkurrenz durch die Großunternehmen „Probleme, Auszubildende für den | |
Handel zu finden“, sagt Angela Eder, Geschäftsleiterin des Dienstleisters | |
Eder GmbH. Das Unternehmen bietet den Auszubildenden Nachhilfekurse und | |
Prüfungsvorbereitungen für die Berufsschule, so dass alle Schüler am Ende | |
auch den Abschluss schaffen. Der BewerberInnenmangel habe sich verschärft, | |
weil immer mehr junge Leute studieren wollten statt eine berufliche | |
Ausbildung zu beginnen, sagt Eder. | |
Der Ansturm auf die Universitäten produziert eine hohe Zahl von | |
StudienabbrecherInnen, in den Naturwissenschaften sind es um die 40 | |
Prozent. Nach dem Abbruch des Studiums werden diese Leute dann wieder zu | |
einer interessanten Zielgruppe für die Rekrutierung von | |
Ausbildungskandidaten der Unternehmen. Die Kölner Experten vom | |
Kompetenzzentrum raten den Firmen in ihren „Handlungsempfehlungen“ deutlich | |
zu machen, dass man auch an „Personen mit ‚Umwegen im Lebenslauf‘ | |
interessiert“ sei und „ihnen eine Chance zur Neuorientierung“ biete. | |
Gerade in den Mangelberufen sind die Zugeständnisse der Arbeitgeber groß. | |
Büttner von der Diakonie-Sozialstation in Berlin erzählt von einer | |
Pflegerin, die getrennt ist und sich die Familienarbeit mit dem Expartner | |
wochenweise teilt. Die Frau hat eine halbe Stelle. In der Woche, wenn der | |
Mann die Kinder betreut, arbeitet sie durch. Dann hat sie eine Woche frei. | |
In vielen Unternehmen hätte eine getrennte Mutter mit Kindern und | |
kompliziertem Teilzeitwunsch früher keine Jobchance gehabt. | |
29 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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