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# taz.de -- Krankenhäuser in Berlin: Löcher im Dach
> Nicht nur der Fachkräftemangel wird Berlins Krankenhäusern zum
> Verhängnis, sondern auch die jahrelange Unterfinanzierung. Wie soll es
> weitergehen?
Bild: Vielerorts sind die Krankenhäuser selbst zu Notfällen geworden
„Berlin braucht eine Trendwende in der Krankenhausfinanzierung.“ Was
jahrelang als Forderung an die Politik gestellt wurde, hat nun Eingang in
die rot-rot-grüne Koalitionsvereinbarung gefunden. In dem vergangene Woche
beschlossenen Vertrag steht auch, was unter dieser Trendwende zu verstehen
ist: „Die Investitionsquote des Landes Berlin in der Krankenhausversorgung
wird auf den Bundesdurchschnitt angehoben“, heißt es zwei Sätze weiter.
Momentan liegt sie laut Berliner Krankenhausgesellschaft bei 2,9 Prozent
und damit 0,6 Prozentpunkte unter dem Bundesdurchschnitt.
Dass Berlin seinen Investitionsverpflichtungen nicht nachkommt, wird seit
Jahren kritisiert. Laut Krankenhausfinanzierungsgesetz müssen die Länder
für die Investitionskosten der Krankenhäuser aufkommen, also bauliche
Maßnahmen oder die Anschaffung neuer Geräte bezahlen. Doch Berlin hat seine
Finanzierung immer weiter zurückgefahren, jahrelang war das Land
Schlusslicht im bundesweiten Vergleich.
Das hat doppelte Folgen: Zum einen werden die Krankenhäuser immer maroder –
Meldungen wie die vom Vivantes Klinikum Neukölln, 1in dessen Notaufnahme es
immer wieder durchs Dach regnet, sind dafür anschauliche Beispiele.
Zum anderen versuchen die Kliniken, die Finanzierungslücke durch
Eigenmittel, also Gelder aus den Zahlungen der Krankenkassen, zu schließen.
Die sind aber eigentlich für die laufenden Kosten vorgesehen, von denen die
Personalkosten den größten Teil ausmachen – was hier abgezweigt wird, muss
also durch Einsparungen beim Personal ausgeglichen werden. „Aus
Personalstellen werden Baustellen“, kritisiert der Deutsche Verband für
Pflegeberufe diese Entwicklung.
## Aufstockung reicht nicht aus
Bei den letzten Haushaltsverhandlungen wurde die Krankenhausfinanzierung
zwar von rund 94 Millionen jährlich auf 107 Millionen in 2016 und 109
Millionen in 2017 aufgestockt, außerdem erhielten die Häuser rund 55
Millionen aus dem Sondervermögen Infrastruktur wachsende Stadt (SIWA), das
aus Haushaltsüberschüssen finanziert wird.
Doch auch hier wird von den Krankenhäusern ein umfangreicher Eigenanteil
erwartet. Für die rund 90 Millionen teure Sanierung von vier
Vivantes-Standorten etwa gibt es 53 Millionen aus SIWA-Mitteln, den Rest
muss der Konzern selbst aufbringen – gesetzliche Finanzierungsverpflichtung
hin oder her.
Das Vorhaben der Koalition, die Krankenhausfinanzierung auf den
Bundesdurchschnitt von rund 140 Millionen Euro pro Jahr anzuheben, ist laut
Berliner Krankenhausgesellschaft deswegen ein wichtiger Schritt. Allerdings
kein ausreichender: Der über die Jahre entstandene Investitionsstau könne
so nicht abgebaut werden, kritisiert die Vorsitzende Brit Ismer. Aktuelle
Berechnungen würden einen Investitionsbedarf von rund 240 Millionen Euro im
Jahr zeigen.
## Gesundheit zur Ware
Neben dem Personalabbau infolge unzureichender Finanzierung gibt es aber
noch einen zweiten Grund für die massiv gestiegene Arbeitsbelastung im
Krankenhaus: Das System der Fallpauschalen, über das seit 2004 sämtliche
laufenden Kosten eines Krankenhauses finanziert werden.
Für jede Diagnose gibt es eine pauschale Festlegung, wie viel Geld das
Krankenhaus für die Behandlung bekommt. Patientenorganisationen
kritisieren, dass Gesundheit so zur Ware wird: Während sich einige
Behandlungen gut rechnen und deshalb gerne vorgenommen werden – etwa Knie-
Hüft- und Wirbelsäulenoperationen – werden andere auf ein Minimum
reduziert.
Denn mit vielen Behandlungen machen die Krankenhäuser Verluste, weil die
Pauschalen zu niedrig angesetzt sind. Es sei denn, sie sparen an den
Behandlungskosten – und weil Personalkosten hier meist der größte Posten
sind, wird insbesondere dort der Rotstift angesetzt.
Dazu gehört nicht nur der Stellenabbau, sondern auch die Auslagerung
bestimmter Aufgaben an Tochterunternehmen, um so die Bezahlung nach dem
Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TvöD) zu umgehen. Eine
Problematik, die in Berlin aktuell durch den Streik bei der Charité-Tochter
CFM in die Öffentlichkeit drängt.
Mehr Personal und eine Bezahlung nach TvöD gefährde die Wirtschaftlichkeit
ihrer Häuser, argumentieren die Geschäftsführungen von Vivantes und Charité
immer wieder. Ganz darum herum kommen werden sie jetzt aber nicht mehr:
„Die Koalition erwartet, dass die Krankenhäuser die frei werdenden Mittel
insbesondere zur Verbesserung der Personalsituation verwenden“, heißt es im
Koalitionsvertrag gleich nach der Finanzierungszusage. Arbeitskämpfe an
Berliner Krankenhäusern werden sich künftig auch auf diesen Satz berufen.
Mehr zur Situation an Berlins Krankenhäusern im Berliner
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25 Nov 2016
## AUTOREN
Malene Gürgen
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