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# taz.de -- Abstimmung über Arbeitsniederlegung: Ein Kreuz für den Streik
> Pflegekräfte der Charité entscheiden seit Dienstag über einen
> Arbeitskampf. Es geht um mehr Personal.
Bild: Nach gescheiterten Tarifverhandlungen legten die MitarbeiterInnen der Cha…
„Wir haben Überlastungsanzeigen geschrieben, Gespräche geführt - jahrelang
ging das so. Es hat nichts gebracht“, sagt die Krankenschwester, die gerade
ihren Zettel in die Wahlurne geworfen hat. „Das hier ist jetzt die letzte
Möglichkeit.“ Seit 36 Jahren arbeitet sie in der
gynäkologisch-onkologischen Ambulanz der Berliner Charité.
Doch so schlimm wie in den letzten fünf Jahren sei die Arbeitsbelastung
noch nie gewesen. „Es ist unmöglich, die Arbeit so zu machen, wie ich es
für richtig halte“, sagt sie. Deshalb hat sie auf dem Zettel, ihr Kreuz bei
„Streik“ gemacht: „Für mich die einzige Chance, dass mehr Personal
eingestellt wird.“
Es ist Dienstagmorgen, noch hält sich der Betrieb am Wahltisch im Eingang
der Glashalle, dem zentralen Zugang zur Mensa des Virchow-Campus Wedding,
in Grenzen. Alle zwei bis drei Minuten kommt jemand vorbei, um seine Stimme
abzugeben.
Den großen Andrang erwarte man um 14 und 22 Uhr, wenn die Früh- und die
Spätschicht enden, sagt einer der Wahlhelfer. Seit Ende April befinden sich
Berlins Uniklinikum und die Gewerkschaft Verdi im Tarifkonflikt. Das
Ungewöhnliche: Es geht dabei nicht um mehr Geld, sondern um mehr Personal
in der Krankenpflege.
## 119 Überstunden bei einer zwei-Drittel-Stelle
Unbesetzte Stellen, unzählige Überstunden, keine Pausen- die Klagen
derjenigen, die ihre Stimme abgegeben haben, ähneln sich: „Ich haben
momentan 119 Überstunden und das bei einer zwei-Drittel-Stelle“, sagt eine
Krankenschwester, die auf einer Kinderstation arbeitet. Ein Pfleger
kritisiert, dass die Charité vermehrt auf Leasingkräfte setzt, anstatt
festes Personal einzustellen. Beide haben für Streik gestimmt.
Bis zum 5. Juni sind alle in der Dienstleistungsgewerkschaft organisierten
Charité-Beschäftigten aufgerufen, sich an der Urabstimmung über einen
unbefristetem Arbeitskampf für mehr Personal zu beteiligen.
Nach Gewerkschaftsangaben müssen sich 75 Prozent der Verdi-Mitglieder für
die Arbeitsniederlegung aussprechen. Niemand hier an der Wahlurne zweifelt
an diesem Morgen, dass das Quorum erreicht wird. „Der Leidensdruck auf
allen Stationen ist enorm“, sagt ein Pfleger. „Die Leute haben es einfach
satt.“
Ende April hatte es an der Charité bereits einen zweitägigen Warnstreik
gegeben. 500 Schwestern und Pfleger beteiligten sich, zur
Abschlusskundgebung kamen 1.500 Leute. Die Klinikleitung musste rund 400
Behandlungen absagen, Verdi schätzt die Kosten auf eine Million Euro pro
Streiktag.
## Nicht mehr als fünf Patienten pro Pflegekraft
Charité-Vorstandschef Karl Max Einhäupl hatte in der vergangenen Woche
gegenüber der Morgenpost eingeräumt, Pflegekräfte würden „oft am Limit
arbeiten“. Die Charité könne jedoch „kein Geld ausgeben, das wir von den
Krankenkassen nicht erhalten“.
Seit 2013 fordert die Gewerkschaft an der Charité einen
„Mindestbesetzungstarifvertrag“: Eine Pflegekraft soll auf einer
Normalstation nicht mehr als fünf Patienten betreuen, auf Intensivstationen
zwei. Nachts soll niemand mehr allein auf einer Station eingesetzt werden.
Erst vor einem Jahr hatten sich beide Seite auf eine Art Pilotversuch
geeinigt: 80 Neueinstellungen in besonders überlasteten Bereichen sollten
kurzfristig zu einer Entspannung der Situation beitragen. Eine paritätisch
besetzte Kommission sollte den Einsatz dieser zusätzlichen Kräfte steuern.
Das Projekt wird von Verdi mittlerweile als gescheitert betrachtet: Die
vermeintlich zusätzlichen Einstellungen seien in der allgemeinen
Personalfluktuation untergegangen und hätten keine Entlastung gebracht.
Die Leitung der Charité hatte zuletzt angeboten, eine Mindestbesetzung
lediglich auf den Intensivstationen zu vereinbaren und die sogenannten
„Nachtdienstverbünde“ personell aufzustocken. Nach Charité-Angaben soll
dadurch nachts ein rechnerischer Personalschlüssel von etwa 1,5
Pflegekräften je Station erreicht werden.
Der Gewerkschaft reicht das nicht aus: „Alle anderen Bereiche sollten leer
ausgehen“, heißt es im Aufruf zur Urabstimmung. Deshalb seien jetzt die
Mitglieder gefragt, ob sie bereit sind, „für unsere gemeinsamen Forderungen
bis auf weiteres die Arbeit niederzulegen“.
27 May 2015
## AUTOREN
Jörn Boewe
Johannes Schulten
## TAGS
Streik
Charité
Pflege
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Öffentlicher Dienst
Warnstreik
Pflege
Pflegekräftemangel
Deutsche Post
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Arbeitsrecht
Gleichberechtigung
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