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# taz.de -- Nach Anschlag und Übergriffen: Berliner Bilderstreit
> Videoüberwachung im U-Bahn-Netz, aber kein Bild vom Terroranschlag am
> Breitscheidplatz: Ist das logisch? Der Berliner Senat gerät unter Druck.
Bild: So friedlich bei Nacht: Der Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz, aufgenom…
Berlin taz | Für den Berliner Senat könnte die Nachweihnachtszeit ziemlich
ungemütlich werden. Schon nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am
Breitscheidplatz in der Berliner City vor gut einer Woche hatte
Innenminister Thomas de Maizière (CDU) die rot-rot-grüne Koalition in
Berlin aufgefordert, ihre ablehnende Haltung zu einer [1][Ausweitung der
Videoüberwachung] „gründlich zu überdenken“. Nun heizt [2][ein neuer
Vorfall] die Debatte um mehr Kameras an.
Am frühen Sonntagmorgen hatten sieben Jugendliche in einem Berliner
U-Bahnhof versucht, einen Obdachlosen anzuzünden. Aufmerksame Passanten
löschten die Zeitungen, mit denen sich der Mann wärmte, und riefen die
Polizei. Diese veröffentlichte am Montag die Bilder der Videokameras vom
U-Bahnhof. Noch am Montagabend stellten sich sechs der Tatverdächtigen, ein
weiterer ging Zielfahndern ins Netz. Gegen sie wird wegen versuchtem Mord
ermittelt.
Laut Polizeiangaben handelt es sich um Geflüchtete im Alter von 15 bis 21
Jahren, die zum Teil unbegleitet nach Deutschland kamen. Sechs von ihnen
seien Syrer, einer soll gebürtiger Libyer ohne bekannte Staatsbürgerschaft
sein.
Die jüngste Tat war bereits die zweite in Folge, die durch eine Fahndung
[3][mit Videobildern aufgeklärt] werden konnte. In dem anderen Fall konnte
ein 27-Jähriger mit Hilfe von Videobildern überführt werden, der im Oktober
eine Frau ohne jede Warnung eine U-Bahn-Treppe hinunter gestoßen hatte.
## Einführung würde mehrere Jahre dauern
In Berlin werden U-Bahnhöfe und -Züge – anders als öffentliche Plätze –
flächendeckend überwacht. Das wollte der rot-schwarze Vorgängersenat ändern
und die Videoüberwachung ausdehnen. Im Koalitionsvertrag der neuen
rot-rot-grünen Regierung, der Anfang Dezember unterzeichnet wurde, ist
davon aber keine Rede mehr. Statt einer Überwachung auf Plätzen wie dem
Alexanderplatz im Stadtzentrum soll dort nun eine mobile Polizeiwache
installiert werden.
„Die Vorstellung, dass wir mal eben Kameras an öffentlichen Plätzen
installieren, und die Polizei wertet ständig Livebilder aus, ist ein
Hirngespinst“, sagt Benedikt Lux, innenpolitischer Sprecher der Grünen im
Berliner Abgeordnetenhaus. Die Einführung einer Videoüberwachung an
öffentlichen Plätzen würde mehrere Jahre dauern.
Genau solche Argumente verärgern Innenminister de Maizière. Das
Bundeskabinett habe soeben „ein Gesetz beschlossen, das die
Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen erleichtert und damit einen
wichtigen Beitrag zur Kriminalitätsbekämpfung leisten wird“, sagte der
CDU-Mann.
In anderen Bundesländern ist flächendeckende Videoüberwachung alltäglich.
In Bayern sollen schon vor vier Jahren mehr als 17.000 Kameras an
öffentlichen Plätzen installiert gewesen sein. In Leipzig stehen die
Kameras nicht nur am Hauptbahnhof, sondern auch im Szeneviertel Connewitz,
wo es immer mal wieder zu Krawallen kommt. In der Regel speichern die
Kameras die Aufnahmen 48 Stunden lang, dann werden die Speichermedien
überschrieben. In Berlin gibt es nur am Holocaustmahnmal und auf acht
ausgesuchten Bahnhöfen Überwachungskameras.
In der Hauptstadt will man sich von der CDU nicht unter Druck setzen
lassen. Nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt sollten erst
einmal die Ermittlungen zu Ende geführt werden, sagte ein Sprecher von
Innensenator Andreas Geisel (SPD). „Dann können wir in die politische
Diskussion einsteigen. Jetzt halten wir das für verfrüht.“ Zugleich betonte
der Sprecher, das Thema müsse angesichts der veränderten Lage neu bewertet
werden.
Damit steht die Berliner SPD ziemlich alleine da. Denn auch aus der
Bundes-SPD werden die Forderungen nach einer Ausweitung der
Videoüberwachung lauter. „Ich kann dem Berliner Senat nur empfehlen, die
Videoüberwachung auf alle öffentlichen Plätze auszuweiten“, sagte Burkhard
Lischka, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Zwar räumte
Lischka ein, die Videoüberwachung sei in der Regel kein geeignetes
Instrument, um Anschläge zu verhindern. Sie könne aber bei der
Tataufklärung helfen. Tatsächlich fehlten bei der Fahndung nach dem Mörder
vom Breitscheidplatz zunächst jegliche Fahndungsbilder.
Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, nannte die
Haltung des rot-rot-grünen Senats „unverantwortlich“. Der Innensenat bitte
die BürgerInnen um Handyvideos vom Tatabend am Breitscheidplatz, wolle aber
selbst nichts überwachen. Wendt findet das „absurd“.
Kritisch gegenüber einer Ausweitung der Videoüberwachung äußerte sich
Konstantin von Notz, netzpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Er
warnte vor „postfaktischen Debatten“ über angeblich mehr Sicherheit durch
flächendeckende Videoüberwachung. Die raschen Fahndungserfolge in den
beiden Berliner U-Bahn-Fällen zeige, „dass das existierende System gut
funktioniert“. Er lehnte Videoüberwachung zwar nicht grundsätzlich ab,
forderte aber eine „personelle und materielle Verstärkung“ der Polizei vor
Ort. „Im Gegensatz zu einer Kamera, die ein Ereignis nur aufzeichnet, kann
ein Polizeibeamter konkret helfen“, sagt von Notz.
Ähnlich argumentiert Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der
Linksfraktion im Bundestag. Sie sagte: „Das gebetsmühlenartige Wiederholen
des Mantras, wonach mehr Videoüberwachung zu mehr Sicherheit beitrage,
ändert nichts daran, dass sich die Bundesregierung dabei auf keinerlei
seriöse wissenschaftliche Grundlagen stützen kann.“ Auf eine aktuelle
kleine Anfrage der Linksfraktion erklärte die Bundesregierung, dass
zumindest geplante terroristische Anschläge nicht durch Videoüberwachung
vereitelt worden seien.
Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) indes ziehen eine positive Bilanz der
Videoüberwachung in Bahnen und Bahnhöfen. Die Zahl der Gewalttaten in
Bahnen und Bussen sei von 880 im Jahr 2011 auf 484 in 2015 zurück gegangen,
sagte BVG-Sprecherin Petra Reetz. „Es spricht sich herum, dass die Bahnhöfe
videoüberwacht sind.“
27 Dec 2016
## LINKS
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## AUTOREN
Uwe Rada
Simone Schmollack
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