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# taz.de -- Debatte Rentenreform: Gärtnern statt Wellnesshotel
> Gegen die Altersarmut hilft nur eine Solidarrente. Dafür ist eine
> Umverteilung von reichen zu armen Senioren nötig, nicht von Jung zu Alt.
Bild: Gärtnern ist ja schön und gut, aber dann im eigenen Garten und nicht f�…
Die Petition Nummer 67784 auf der Website des Bundestages warf eine
wichtige Frage auf: Wäre es nicht gerecht, das Rentenalter nach Beruf zu
staffeln? „Man muss per Gesetz eine Liste führen mit Berufsbereichen, wie
zum Beispiel öffentlicher Dienst, Dachdecker, Bauarbeiter und so weiter,
die ab 60 Jahren in Rente gehen dürfen“, schlug die Petentin vor und löste
eine Diskussion im Online-Forum aus. „Cyberjogi“ fand, eine
Berufseinstufung nach körperlicher Belastung sei im Einzelfall schwierig.
„Wenn zum Beispiel ein ‚Bürojob‘ im Altbau eines Kleinbetriebes beinhalt…
dass man ständig Akten oder Büromaschinen über steile Treppen aus Keller
oder Dachboden holt und zurückschleppt, kann das sehr wohl dem Verschleiß
‚harter Körperarbeit‘ entsprechen.“
Wer soll wann und mit wie viel Geld in Rente gehen dürfen, sodass es
gerecht zugeht? Die Frage beschäftigt nicht nur Petenten in
Diskussionsforen. Die Debatte nimmt Fahrt auf, seitdem Demografen
errechneten, dass das Rentenniveau in einigen Jahrzehnten so weit absacken
könnte, dass ErzieherInnen trotz lebenslanger Schufterei nur noch eine
Rente in Höhe von Hartz IV bekommen.
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) versucht gegenzusteuern. Sie
legte jetzt ein Konzept zur Alterssicherung vor, mit dem das Rentenniveau
nur noch wenig sinken soll und Niedrigverdiener unter bestimmten
Bedingungen später einen Zuschuss zur Rente erhalten. Nahles will zudem
einen „Demografiezuschuss“ schaffen, eine Art „Soli“ für die Rente aus
Steuermitteln. Das Konzept hat Nachteile – es zeigt aber, wohin sich die
Alterssicherung entwickeln könnte.
Die bisherigen Reparaturvorschläge jedenfalls hatten ihre Tücken: Würde man
zum Beispiel tatsächlich die Beamten in das reguläre Rentensystem
einbeziehen, wäre kurzfristig wenig gewonnen. Denn erst einmal würden
Verwaltungen enorm belastet, weil sie hohe Beiträge in die
Rentenversicherung nachzahlen müssten. Darüber hinaus haben Beamte im
Durchschnitt eine höhere Lebenserwartung als die Bevölkerung insgesamt und
müssten entsprechend lange aus der Rentenkasse finanziert werden.
## Mindestrente für alle
Zwingt man Selbstständige unterschiedslos in die Rentenkasse, so wäre auch
das problematisch. Denn Kleinselbstständige warnen, dass sie nicht mal eben
so einige hundert Euro monatlich abzweigen können. Das Problem der
gesetzlichen Rente bleibt das demografische Ungleichgewicht. Wenn es
künftig weniger Jüngere und mehr Ältere gibt, dann kann die Alterssicherung
nicht mehr so stark wie bisher auf einem Umlageverfahren zwischen den
Generationen beruhen. Deswegen ist das Konzept von Nahles auch
differenziert zu beurteilen. Das Rentenniveau soll nach ihrem Vorschlag in
30 Jahren nur um vier Prozent sinken, der Rentenbeitrag aber um ein Drittel
steigen. Das kann man den Jüngeren nicht zumuten. Der Generationenvertrag
muss ergänzt werden.
Interessant ist daher der zweite Vorschlag von Nahles zur „Solidarrente“.
Sie richtet sich an NiedrigverdienerInnen, die nur eine geringe gesetzliche
Rente bekommen, aber 35 Jahre, ab dem Jahre 2023 sogar 40 Jahre lang in die
Rentenkasse eingezahlt haben müssen. „Kinderpausen“ sind dabei erlaubt. Die
EinzahlerInnen sollen mit dem Zuschuss der „Solidarrente“ ein
Mindesteinkommen haben, das um zehn Prozent höher liegt als die
Grundsicherung, also Hartz IV. Das ist etwa eine Kaufkraft in Höhe von
heute rund 850 Euro netto. Damit schafft Nahles eine Art Mindestrente für
langjährig Versicherte und einen Einkommensabstand zu Leuten, die nie oder
nur sehr wenig eingezahlt haben.
Die Idee der steuerlich finanzierten „Solidarrente“ wirft aber neue
Gerechtigkeitsfragen auf: Wie hoch muss die Wochenarbeitszeit all die Jahre
gewesen sein, um in den Genuss dieser Mindestrente zu kommen? Und warum
bekommen Menschen mit kürzerer Versicherungsdauer, aber vielleicht langer
Ausbildungszeit, später keinen Zuschlag? Am Beispiel der „Solidarrente“
lässt sich erahnen, dass sich die Rentendebatte künftig um Fragen der
Alterseinkommen drehen könnte, die etwas, aber nicht viel, höher ausfallen
als Hartz IV.
Niemand kann jedoch heute schon sagen, wie sich die Lebensverhältnisse in
30 Jahren wirklich entwickelt haben. Vielleicht sind die Haushaltseinkommen
der Älteren in einigen Jahrzehnten doch nicht so niedrig, weil heute meist
beide Partner arbeiten, das schafft auskömmliche Doppelrenten.
Möglicherweise ist die Erwerbstätigkeit für Ältere später auch ganz normal
und in Deutschland sitzen wie in Japan 70-Jährige an Tankstellen, um sich
etwas dazuzuverdienen. Vielleicht ist ein bescheidener Lebensstandard
später auch verbreitet unter den Älteren. Die zu Unrecht verachtete
Rentnerkultur früherer Jahrzehnte mit Gärtnern, Stricken, Singen, Wandern
und dem bezahlbaren Vereinsleben bedeutete wenig Konsum, aber keine soziale
Ausgrenzung.
## Erben versus Minirentner
Möglicherweise aber sind diese Fantasien naiv und bei den Älteren werden
sich die Abgründe zwischen Arm und Reich vertiefen. Jeder um die 60 Jahre
kann das heute schon im Bekanntenkreis erleben – die Kluft zwischen den
künftigen EmpfängerInnen von Minirenten oder Grundsicherung und den
Vermögenden, den Erben, die im eigenen Häuschen wohnen.
Wenn sich das Alterselend ausbreitet, dann werden Steuermittel nötig sein,
um Solidarrenten zu zahlen. Insofern hat Nahles recht, für die künftige
Alterssicherung einen steuerfinanzierten „Demografiezuschuss“ zu erfinden.
Doch die Jüngeren dürfen mit diesem „Soli“ für die Alten nicht auch noch
über Gebühr belastet werden. Daher verbietet sich eine Finanzierung über
Einkommensteuern, die ja vor allem die Jüngeren zahlen. Es muss zu einer
Verteilung auch innerhalb der Generation der Älteren kommen. Die Alten
verdienen weniger, besitzen aber mehr als die Jüngeren. Die Rentendebatte
ist ein Ansatz, wieder über Besitzsteuern nachzudenken. Ein „Soli“ für die
Rente muss aus einer Steuer auf Vermögen und Erbschaften herrühren. Das
wäre das Fairste. Die Rentenfrage stößt vielleicht in mittlerer Zukunft
eine neue Verteilungsdebatte an. Dann, wenn die Altersarmut wirklich
sichtbar wird.
6 Dec 2016
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
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Rente
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