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# taz.de -- Anschlag auf Asylunterkunft in Nauen: „Krass, wie das brennt“
> Sie sollen in Nauen rechte Straftaten verübt haben. Am Ende brannte die
> lokale Sporthalle. Vor Gericht gestehen einige Angeklagte.
Bild: Er soll einer der Brandstifter sein: Dennis W., einer der Angeklagten, hi…
Potsdam taz | Breitbeinig steht Maik Schneider dem Staatsanwalt gegenüber.
Die Arme hinter dem Rücken verschränkt, Brust raus, Kinn nach oben.
Schneider kaut Kaugummi. Und grinst.
Neben dem 29-Jährigen stehen am Donnerstag im Saal 8 des Potsdamer
Landgerichts fünf weitere Männer. Eine kriminelle Vereinigung hätten sie
gebildet, verliest Staatsanwalt Nils Delius. Ihr Ziel: „Straftaten mit
ausländer- und asylfeindlicher Ausrichtung zu begehen“.
In der Nacht zum 25. August 2015 wurde Nauen zur [1][Chiffre des bundesweit
grassierenden Fremdenhasses]. Schlagzeilen machte die Stadt, die 40
Kilometer vor Berlin liegt, bis dahin nicht. 17.000 Einwohner, eine
Altstadt mit Backsteinbauten und ein SPD-Bürgermeister, der seit 15 Jahren
im Amt ist.
In dieser Nacht aber wird Nauen bundesweit bekannt. Die zentrale Turnhalle
geht in Flammen auf. 100 Flüchtlinge sollten hier eine Woche später
einziehen. In mehreren Treffen und einer WhatsApp-Gruppe namens „Heimat im
Herzen“ hatten sich die Täter vorher koordiniert. Paletten, Autoreifen,
Benzin, eine Mülltonne und eine Propangasflasche schafften sie vor die
Halle. Dann wurde alles entzündet. Innerhalb von Minuten brannte es
lichterloh. Am Ende blieb eine Ruine und ein Schaden von 3,5 Millionen
Euro.
## Rechte Spirale der Gewalt
Der Anschlag reihte sich ein in eine bis heute anhaltende Serie. [2][Mehr
als 1.030 Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte] zählte das
Bundeskriminalamt vergangenes Jahr – ein Rekord. Nauen gehörte dabei wie
das sächsischen Freital zu den Orten, wo sich eine regelrechte Spirale der
Gewalt in Gang setzte. Im Saal 8 zeichnet Staatsanwalt Delius die
Eskalation nach.
12. Februar 2015. Das Nauener Stadtparlament trifft sich im evangelischen
Gemeindesaal, es geht um eine neue Asylunterkunft in der Stadt. Nicht alle
Zuhörer finden Platz, draußen vor der Fensterfront steht Maik Schneider mit
Gefolgsleuten. „Nein zum Heim“, schreit die Gruppe, sie trommelt gegen die
Scheiben. Die Sitzung muss abgebrochen werden. Eine Frau ruft: „Das Ding
wird brennen.“
17. Mai. Ein Fiat mit polnischem Kennzeichen brennt aus.
1. Juni. Vor einer Lidl-Filiale soll wieder ein Auto mit polnischem
Kennzeichen angezündet werden. Als sich Passanten nähern, zünden die Täter
ihre Zylinderbombe unter einem Vordach. Dieses stürzt ein, 9.000 Euro
Schaden entsteht.
7. Juni. Das Linkspartei-Büro wird mit Farbbeuteln beworfen. Schaden: 6.000
Euro. Zuvor schon waren die Scheiben mit Hämmern attackiert worden, 29
Einschläge zählte die Polizei. Später fliegen Eier mit halb ausgebrüteten
Küken, wird das Türschloss mit Kleber zerstört.
30. Juli. Auf der Baustelle für ein zweites Asylheim geht eine
Dixi-Toilette in Flammen auf.
25. August: Die Turnhalle von Nauen brennt nieder.
Für die Staatsanwaltschaft ist klar: Alle Taten gehen auf das Konto der
Angeklagten. Maik Schneider versucht immer wieder, sich über Blicke mit
seinen Komplizen zu verständigen. Die liefern nacheinander Geständnisse ab.
Einer erklärt, er habe Fässer mit Öl und Benzin und die Propangasflasche
vor die Halle geschafft. Sie hätten an der Turnhalle Schmiere gestanden,
räumen zwei andere Angeklagte ein. Einer hielt mit einem Mitangeklagten im
Auto Ausschau nach der Polizei. Aus der Ferne hätten sie die Flammen aus
der Halle gesehen. „Krass, wie das brennt“, habe sein Mitfahrer gesagt.
## Bekannte Rechtsextreme
Was genau passiert ist, will keiner so recht wissen. Schneider habe sie
unter Druck gesetzt, sagen zwei Angeklagte. Belasten tun ihn alle. Er
schüttelt den Kopf. Erst im März dieses Jahres wurden er mit zwei Komplizen
festgenommen – überführt aufgrund ihrer WhatsApp-Kommunikation. So wurde
wohl ein weiterer Anschlag verhindert: Die Gruppe hatte eine zweite
Unterkunft im Visier.
Für die Ermittler waren die Festgenommenen keine Unbekannten. Alle waren
bekannte Rechtsradikale, einer war als Kleinkrimineller auffällig. Auch
Maik Schneider, gelernter Erzieher, ist dem Verfassungsschutz seit zehn
Jahren als rechtsextremer Kameradschaftler bekannt. Seit 2008 saß er für
die NPD im Nauener Stadtparlament, später auch im Kreistag. Schneider
organisierte Kundgebungen am Hitler-Geburtstag, immer wieder auch
Anti-Asyl-Aufzüge.
Im Prozesssaal ergreift der NPD-Mann am Nachmittag das Wort. „Ich möchte
Schluss machen mit dem ganzen Mist“, sagt Schneider. Er allein sei schuld
an dem Brand. Es war eine „Dämlichkeit“. Nur einer der Angeklagten habe bei
der Tat geholfen, der Rest habe damit nichts zu tun. Er habe Reifen vor der
Halle anzünden wollen, ganz spontan, „als Signal“. Dann aber habe alles
gebrannt.
Die Richter bleiben skeptisch. Zu den Aussagen der anderen Angeklagten
passt das nicht. Unter den Zuschauern sitzt auch Andrea Johlige,
Landtagsabgeordnete der Linken aus Nauen. In dem Parteibüro, das die
Neonazis attackierten, hat auch sie ein Büro. Dass sich die Lage gerade in
Nauen so zuspitzte, überrascht Johlige nur wenig. „Nauen war immer
Nazi-Hochburg. Nur wurde das früher nicht thematisiert.“ Dazu kam, dass
fast alle Parteien vor Ort in der Frage der Flüchtlingsunterkunft gespalten
gewesen seien. „Das haben die Rechten bemerkt und ausgenutzt“, sagt
Johlige.
## Bundesanwaltschaft sieht keinen Terrorverdacht
Es ist auch SPD-Bürgermeister Detlef Fleischmann, der einräumt, dass seine
Stadt gegen Neonazis früher zu wenig tat. „Der Anschlag hat die Bürger aus
ihrer Lethargie geweckt.“ Dabei überzog schon einmal, 2003, eine Nauener
Neonazi-Gruppe die Region mit Anschlägen. „Freikorps“ nannten sich die
zwölf Jugendlichen. Innerhalb von zehn Monaten brannten sie zehn Imbisse
und Restaurants nieder, die von Migranten betrieben wurden. Die Richter
verurteilten die Gruppe als terroristische Vereinigung.
Auch bei der Truppe um Schneider wurde ein Terrorverdacht geprüft. Die
Bundesanwaltschaft hatte den Fall auf dem Tisch – und wies ihn ab. Weil
keine Menschen zu Schaden kamen. Und weil die Taten den Staat „nicht
erheblich schädigen“ würden, so ein Sprecher.
Thomas Lück, Nauener Linkspartei-Chef, sieht das anders: „Das war mehr als
nur kriminell, das war terroristisch.“ Auch Lück traf die Gewalt. Im
Februar 2016, zwei Wochen vor der Verhaftung Schneiders, lag ein
erloschener Brandsatz auf dem Hinterreifen seines Autos, der Tank war
zerstört. Nur zufällig hatte ihn Lück entdeckt. „Da ging’s mir erst mal
richtig schlecht.“
Der Anschlag auf Lücks Auto steht nicht in der Anklage gegen Schneiders
Gruppe. „Ein „hinreichender Tatverdacht war nicht zu erbringen“, heißt es
von der Staatsanwaltschaft. Das gilt auch für andere Taten. Auch die Reifen
eines Autos des Nauener Mikado-Vereins, der sich für Flüchtlinge engagiert,
wurden zerstochen. Zurück blieb ein Brief: „Liebe Asylantenfreunde,
Tröglitz ist auch hier.“
## „Angst und Schrecken“
Nach einem von Schneider angemeldeten Aufmarsch in Jüterbog detonierte ein
Sprengsatz in einer kirchlichen Begegnungsstätte für Geflüchtete. In diesem
Februar schließlich tauchten in Nauener Briefkästen Bombenbauanleitungen
auf. Daneben stand ein Aufruf zum „absoluten Widerstand“ gegen die
„Invasion der Ausländer“.
Kein Terror? Auch Nauens Bürgermeister ist anderer Meinung. „Für mich ist
das Terrorismus“, sagt Detlef Fleischmann. „Die Täter haben versucht, eine
Stadt in Angst und Schrecken zu versetzen.“ Klar ist: Nach der Festnahme
von Maik Schneider hörte die Gewaltserie auf.
Für dessen NPD kommt der Prozess zur Unzeit. Im Januar wird das
Bundesverfassungsgericht [3][über ein Verbot der Partei entscheiden]. Einer
der Vorwürfe: Die NPD schaffe ein „Klima der Angst“. Bei den bundesweiten
Anti-Asyl-Protesten sah der Verfassungsschutz die Partei als „maßgebliche
Triebkraft“. In Nauen blieb es nicht dabei: Hier schritt ein
Parteifunktionär offenbar selbst zur Tat.
## „Bis hierhin und nicht weiter“
Die Nauener NPD ist seit Schneiders Verhaftung abgetaucht, sein Sitz im
Stadtparlament bis heute vakant. Ruft man an, legt eine Frau den Hörer auf.
NPD-Bundessprecher Klaus Beier beteuert, seine Partei lehne Gewalt ab. „Mit
solchen Geschichten wollen wir nichts zu tun haben.“.
Das Urteil wird frühstens im Januar erwartet. In Nauen ist derweil wieder
Ruhe eingekehrt. „Der Kopf der Hydra ist abgeschlagen“, sagt Bürgermeister
Fleischmann. Für die Stadt sei der Turnhallenbrand ein Weckruf gewesen.
„Die Bürger haben gesagt: Bis hierin und nicht weiter.“
Inzwischen wird die Halle wieder aufgebaut, für vier Millionen Euro – als
bewusstes Zeichen. Die Flüchtlinge, knapp 200, sind inzwischen in eine
andere Unterkunft eingezogen. Probleme, sagt Fleischmann, gebe es keine.
„Aber ich bin nicht so blauäugig zu denken, dass die rechte Gesinnung aus
den Köpfen raus ist.“
24 Nov 2016
## LINKS
[1] /Rechtsextremismus-in-Brandenburg/!5356341
[2] /Straftaten-gegen-Fluechtlingsheime/!5354707
[3] /Verfassungsgericht-kuendigt-Urteil-an/!5354512
## AUTOREN
Elisabeth Kimmerle
Konrad Litschko
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