# taz.de -- Kolumne Kulturbeutel: Gehobene Trinkerliteratur | |
> Jens Kirschnecks Roman „Schweine befreien“ riecht nach Dosenbier und | |
> atmet Nostalgie. Ein Buch für Fußballfreunde im Bierhimmel. | |
Bild: Konterbiere noch und nöcher gibt es in Jens Kirschnecks Dosenbierparadies | |
Am Morgen nach dem Vollrausch hilft nur ein Konterbier. Was waren das noch | |
für Zeiten, als wir morgens zum Kühlschrank gegangen sind und uns eine Dose | |
Bier aus dem Kühlschrank genommen, uns damit zurück ins Bett gelegt und | |
erst einmal in Ruhe darüber nachgedacht haben, was am Vorabend so alles | |
passiert ist! | |
Jung waren wir und haben noch was wegstecken können, sonst hätten wir nicht | |
jede Dose sofort aufgerissen, die wir in die Hand bekommen haben. Wer noch | |
einmal versinken will im Bierhimmel seiner Jugend, für den hat Jens | |
Kirschneck, Redakteur beim Fußballmagazin 11Freunde, einen Roman | |
geschrieben, aus dem schon beim Lesen der schönste Bierdunst in die Nase | |
steigt. | |
„Schweine befreien“ (Verbrecher Verlag 2016) ist ein Vordosenpfandkrimi, | |
der im Fußballmilieu spielt. Das war natürlich anders als heute, ein echtes | |
Milieu eben. Da hatten Exspieler und Manager noch veritable Spielschulden, | |
und sinistre Berater aus dem ehemaligen Jugoslawien holten schon einmal zur | |
handfesten Ohrfeige aus, wenn ihnen irgendetwas nicht gepasst hat. | |
Statt eines Sponsorenpools gab es noch jene Unternehmertypen von echtem | |
Schrot und Doppelkorn, die einen für die Bundesliga eigentlich zu kleinen | |
Klub nach ganz oben führen und auch in sportlichen Fragen immer das letzte | |
Wort haben wollten, auch wenn sie eigentlich keine Ahnung von Fußball | |
hatten. | |
## Medizinbälle und der Büchsebierkönig | |
Und so ist Kirschnecks gehobene Trinkerliteratur auch so etwas wie eine | |
Enzyklopädie für Fußballnostalgiker. Da wird noch mit Medizinbällen | |
trainiert, und auch der Berichterstatter eines kleinen Anzeigenblatts wird | |
von Trainer und Spieler auf irgendeine Art ernst genommen, auch wenn diese | |
wahrscheinlich wissen, dass es sich bei ihm um den ungekrönten | |
Büchsenbierkönig der Stadt handelt. | |
Die Geschichte spielt in der Zeit, in der in Pausen von Fußballspielen die | |
Motorradakrobatikstaffel der örtlichen Bereitschaftspolizei ihre | |
Kunststücke vorgeführt hat. Es war die gute alte Zeit des Profifußballs. | |
Die Stadien waren noch nicht zur Gänze überdacht und bei den Spielen, an | |
die man sich erinnert, hat es eigentlich immer geregnet. | |
Ist wirklich ausgedacht, was dem Sportreporter eines lokalen Anzeigenblatts | |
am Abend des vielleicht größten Vollrauschs seines Lebens passiert ist? Um | |
nach einem miesen Abend, an dem seine alkoholträge Zunge in vielen falschen | |
Münder herumgefuhrwerkt hat, noch irgendetwas Gutes zu tun, beschließt er, | |
einen Tiertransport anzuhalten und die für den Schlachthof reifen Tiere zu | |
befreien. | |
Dabei entdeckt er den Manager des örtlichen Profiklubs, wie dieser mit | |
geschlossenen Augen auf dem Boden des Schweinelasters liegt. Und auch wenn | |
irgendwie klar ist, dass es sich dabei um Fiktion handeln muss, kann man | |
sich doch durchaus vorstellen, dass dies eine Geschichte ist, wie sie der | |
gute alte Fußball von früher wirklich hätte schreiben können. | |
## Die großen Trinker des Fußballs | |
Der in Fußballnostalgie geübte Leser denkt bei der Lektüre vielleicht an | |
den schönen Meisterstürmer von 1860 München, jenen unvergessenen Rudi | |
Brunnenmeier, der irgendwann angefangen hat, sich durch das Münchner | |
Kneipenleben regelrecht zu prügeln. Er denkt an die Zockerrunden der | |
Nationalmannschaft bei der WM 1982, an renitente Profis, natürlich an Paul | |
Gascoigne, über dessen Eskapaden man viel zu lange gelacht hat, bevor sie | |
dann als tragisch galten, und ein bisschen vielleicht an Stefan Effenberg. | |
Jens Kirschnecks Romanreise in die Niederungen des Spielerberaterwesens, | |
die die Leser auf einen Schlachthof ins Frankfurter Bahnhofsviertel und | |
ganz nah an einen kroatischen Kriegsverbrecher führt, ist trotz aller | |
Fußballnostalgie mehr als ein literarisches Paninialbum. Es ist ein Buch | |
über die Sehnsucht dazuzugehören oder zumindest reinzuschmecken in eine | |
Szene, die man verehrt. Das war auch zu Dosenbierzeiten im Fußball nicht | |
unbedingt einfach. Bei Kirschneck ist es fast ein bisschen tragisch. Darauf | |
ein Konterbier! | |
6 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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