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# taz.de -- Kolumne Kulturbeutel: Der Lebenslauf der Lokomotive
> Sportlerdasein zu Zeiten der sozialistischen Tschechoslowakei: Eine
> Graphic Novel schaut auf das Leben des legendären Läufers Emil Zátopek.
Bild: Zátopek (Ausschnitt des Buchcovers)
Jetzt mal ehrlich: Wer kennt den Namen des Marathon-Olympiasiegers von
London 2012? Kleiner Tipp: Der Mann hat 2013 auch bei den
Weltmeisterschaften in Moskau gewonnen. Na, klingelts’s?Noch ein Tipp: Er
kommt aus Uganda. Na gut, hier ist die Lösung: Stephen Kiprotich heißt der
Mann. Kiprotich? Nie gehört?
Probieren wir es mit einer anderen Frage: Schon mal was von Emil Zátopek
gehört? Klar, Zátopek, das war doch dieser Wunderläufer aus der ČSSR,
werden ältere Sportfreunde sofort einwerfen, auch solche, die noch gar
nicht geboren waren, als die tschechische Lokomotive 1952 in Helsinki
Olympiasieger über 5.000 Meter, 10.000 Meter und im Marathonlauf wurde.
Freunde des Eisenbahnwesens werden bestimmt wissen, dass in Deutschland
etliche Regionalzüge von Lokomotiven aus dem Hause Škoda angetrieben
werden, die den Produktnamen „Emil Zátopek“ tragen. Und so mancher
beschreibt den doch arg nach Schwerstarbeit aussehenden Laufstil dieses
Wunderathleten bis ins Detail, ohne ihn je gesehen zu haben.
Es wird sich schwer jemand finden, der widerspricht, wenn es heißt, dass
Zátopek einer der größten Sporthelden Europas war. So steht es auf dem
Einband der Graphic Novel von Jan Novák und Jaromir Švejdik, der in
Tschechien unter seinem Künstlernamen Jaromir 99 bekannt ist. Sie ist
gerade bei Voland & Quist auf Deutsch erschienen und ist weit mehr als eine
typische Sportlerbiografie, die den Aufstieg eines jungen Mannes aus den
Niederungen der Schuhproduktion zu internationalen Ehren beschreibt. Da
wird ein Läufer beschrieben, der mehr getan hat, als sich im Training so zu
schinden, dass es schon beinahe normal war, sich dabei zu übergeben. In den
schwarz-grün-roten Zeichnungen geht es um ein Sportlerleben in den
finstersten Zeiten der sozialistischen Tschechoslowakei.
## Uranbergbau für Abweichler
Zátopek ist in Helsinki bei seinem Olympiasieg zum ersten Mal überhaupt
Marathon gelaufen. Und auch wenn es ihm nicht so recht bewusst gewesen sein
mag, es war ein Lauf um sein Leben. Das ist die Geschichte, die Novák und
Jaromir 99 erzählen. Zátopek hatte sich mit den Funktionären und den hohen
Offizieren angelegt, denen er als Militärsportler eigentlich zu gehorchen
hatte. Ein Sportler, mit dem er trainiert hat, war aus dem Olympiakader
gestrichen worden, weil seine Familie als politisch unzuverlässig galt.
Zátopek, der seinerzeit weltbeste 10.000-Meter-Läufer, wollte das nicht
akzeptieren und wollte die Reise nach Helsinki ohne seinen Sportkameraden
nicht antreten. Der wurde dann doch mitgenommen. Zátopek stand seither
unter Beobachtung und musste damit rechnen, als Zwangsarbeiter im
Uranbergbau von Jáchymov zu enden. Dort war schon sein ehemaliger Trainer.
Dass sportlicher Erfolg allein nicht vor dieser wegen der Strahlung so
unmenschlichen Strafe schützte, das musste in der ČSSR jedem bekannt sein.
13 Spieler jener Eishockeynationalmannschaft, die Ende der vierziger Jahre
zweimal Weltmeister und einmal Silbermedaillengewinner bei Olympia geworden
waren, wurden nach irren Schauprozessen abgeurteilt und zum Teil in den
Uranbergbau geschickt. Josef Haslinger hat die Geschichte für seinen Roman
„Jáchymov“ aufgearbeitet.
In der Geschichte von Novák und Jaromir 99 ist es am Ende die gefürchtete
Präsidentengattin Marta Gottwaldová, die nach dem Marathon von Helsinki
dafür sorgt, dass Zátopek sogar befördert wird. Es war ein Gnadenakt. Und
so liegt am Ende wirklich die Frage über der Geschichte, ob die Lokomotive
es überlebt hätte, wenn im Marathon ein anderer gewonnen hätte.
11 Apr 2016
## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
## TAGS
Tschechien
Graphic Novel
Fußball
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Comic
Schwerpunkt Syrien
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