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# taz.de -- Kolumne Kulturbeutel: Geschminkte Langeweile
> Die Serie „All or nothing“ über die Arizona Cardinals zeigt Sport so, wie
> er nicht ist. Kein Wunder, wenn die Football-Liga mitproduziert.
Bild: Die Arizona Cardinals, wie die NFL sie gerne sieht: Ausschnitt aus „All…
Es ist ein Versprechen, das da abgegeben wird. Ein ungeschminkter Einblick
in die Welt des Profisports soll den Zuschauern geboten werden; ein Klub,
der alle Türen öffnet, der zulässt, dass man allen im Team bei der Arbeit
zusieht, beim Training, im Entmüdungsbecken, beim Spaziergang am freien Tag
mit Frau und Hund; Bilder aus Umkleidekabinen, aus den Villen der Spieler;
Einblicke in die Gedankenwelt von Trainern, Mäzenen und Teamärzten; und
natürlich ganz heiße Spielszenen. Abgegeben hat dieses Versprechen Amazon.
Seit Mitte August können sich Prime-Kunden eine achtteilige Doku-Serie
namens „All or nothing“ über die vergangene Saison der Arizona Cardinals in
der National Football League auf Deutsch ansehen. Es ist ein Desaster.
Denn die sogenannte Reality-Serie ist ein Produkt der NFL. Sie ist nichts
anderes als eine große Werbeshow. Die Liga präsentiert sich so, wie sie
gesehen werden will: Harte Männer, die einen harten Job machen, die nur ein
Ziel kennen, ja was wohl, den Titel. Ein grobschlächtiger Trainer, der auch
mal nicht ganz so korrekte Wörter sagt, ein Team-Eigner, der streng ist,
aber sportverrückt genug, um nie ungerecht zu werden, und Spieler, die dem
Sport alles unterordnen und sich eben wirklich nur dann mit Frau und Hund
abgeben, wenn der Trainingsplan dies ermöglicht. Ist die NFL wirklich so
langweilig?
Eigentlich nicht. Immer wieder lesen wir in den Nachrichten spannende Dinge
über Spieler, die in finsteren Klubs gesehen wurden, die niedergeschossen
oder -gestochen worden sind, die ihre Freundinnen geschlagen haben, die
ihre Kinder mit der Gerte gezüchtigt haben, die mit Drogen erwischt wurden,
die selbst zur Waffe gegriffen haben oder die ihre Körper mit verbotenen
Substanzen pimpen. In einer offiziellen NFL-Doku hat all das natürlich
nichts verloren.
## Die NFL zur Weißglut getrieben
Dabei gab es schon einmal einen spektakulären Versuch, die Welt des
Super-Macho-Sports American Football in eine Serie zu packen. „Playmakers“
hieß der fiktionale Mehrteiler, mit dem der Sender ESPN 2003 die NFL schier
zur Weißglut getrieben hat. Die Serie steigt ein ins Innenleben eines
fiktionalen Klubs, der Cougars hieß und in einer Stadt irgendwo in den USA
beheimatet war, die nicht genannt wird.
Schon in der ersten Folge geht es zur Sache. Ein Video taucht auf, das den
frauenverbrauchenden Quarterback des Teams zeigt, wie er Kokain von der
Schulter einer weiblichen Schönheit schnupft. Später wird bei ihm ein
Nierenversagen diagnostiziert, Folge des schier ungehemmten
Schmerzmittelkonsums im Team, und bei Dopingtests hilft der Teamarzt gerne
beim Abfüllen sauberen Urins in die Ampulle.
Die Serie kam relativ gut an und hatte fast so viele Zuschauer bei ESPN wie
die Übertragungen der Sonntagabendspiele der NFL. Eine zweite Staffel war
schon in Planung, als sich die entsetzte NFL an Disney, den Mutterkonzern
von ESPN, wandte. Aus der zweiten Staffel wurde dann nichts.
## Scheininformationsunterhaltungsdings
Jetzt gibt es also dieses unsägliche Scheininformationsunterhaltungsdings
namens „All or nothing“ auf Amazon Prime. Das ist ungefähr so interessant
und ehrlich wie das wöchentliche dreistündige (!) Klubmagazin des FC
Liverpool, das Sky in Deutschland ausstrahlen muss, damit der Fußballlehrer
Jürgen Klopp dem Sender „Einblicke in seine tägliche Arbeit sowie
Werbeauftritte im Sky Umfeld“ spendiert. Das ist journalistisch so
interessant wie der neueste Werbespot von „Bitburger alkoholfrei“ (auch mit
Jürgen Klopp) und ebenso kritisch wie etwa die Videoschnipsel auf
fcbayern.tv. Wer wissen will, was Arjen Robben anhatte, als er den
Teilnehmern des Allianz Junior Football Camps Medaillen umgehängt hat, ist
hier genau richtig. Aber wer ist das schon?
Man sollte eben immer ganz genau hinsehen, wer eine Produktion finanziert.
Wer würde sich schon besonders viel von einem von der Fifa finanzierten
Film über die Fifa versprechen? „United Passions“, die filmische
Sepp-Blatter-Hagiografie mit Tim Roth in der Rolle des Superschweizers,
wollte zu Recht niemand sehen.
Bei „Deutschland. Ein Sommermärchen“, dem unerträglichen filmischen
Lobgesang auf die Fußball-WM 2006 von Sönke Wortmann, war das anders. An
den Logos von DFB und Fifa im Abspann haben sich viel zu wenig Menschen
gestört.
3 Sep 2016
## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
## TAGS
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