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# taz.de -- Kolumne Kulturbeutel: Schaurige Geschichtenerzähler
> Sportmärchen gibt es viele – die von Ödön von Horvath zum Beispiel. Die
> deutschen Sportführer fabulieren dagegen wahren Stuss zusammen.
Bild: DFB-Märchenonkel Reinhard inmitten einer Kinderschar
Das hätten wir schon gerne gewusst, wie das Spiel zwischen Haidhausen und
Belutschistan ausgegangen ist. Oder das zwischen Neukölln und Liberia. Aber
in dem [1][Sportmärchen], das Ödön von Horváth in den 20er Jahren des
vergangenen Jahrhunderts verfasst hat, ist das Ergebnis nicht so wichtig.
Es geht um den armen, kleinen Hansl, der nichts so sehr liebte wie Fußball.
Bis in die kalten Novembertage hinein legte er sich bäuchlings hinter eines
der Tore und schaute den Sportsmännern bei ihrem Tun zu. Kalt und nass war
es, und so wurde der Bub krank, so krank, dass das Licht des Lebens
erlosch.
Als es wieder hell wurde um ihn, sah er „eine große Wolke, deren Oberfläche
ein einziger herrlich angelegter Fußballplatz war“, und ein Engel erklärte
ihm, dass dort nun die besten der seligen Fußballer gegeneinander spielen
würden – lauter Engel.
Der eine oder andere flog dem Ball einfach hinterher, wenn es ihm gefiel.
„Doch da pfiff der Schiedsrichter (ein Erzengel) sogleich ab: wegen
unfairer Kampfesweise.“ Eine Lehre aus dieser Geschichte ist also, dass
auch die Engel im Himmel beim Kicken nicht ohne Unparteiischen auskommen.
Was für ein Fußballmärchen.
## Das Märchen vom Sommermärchen
Aber es ist eben nur ein Märchen und jeder weiß, dass es so etwas im wahren
Leben ebenso wenig gibt wie im wahren Tod. Und doch gibt es im Menschen
wohl den innigen Wunsch, dass ein Märchen einmal wahr werden möge. So kam
es, dass das Sommermärchen, das im Jahr 2006 in diesem Lande überliefert
worden ist, bis heute von manchen für bare Münze genommen wird, ganz so,
als habe sich der Fußballhimmel für vier Wochen auf Deutschland
herabgesenkt.
Und obwohl man so manchen Erzengel jenes Märchens als gefallen bezeichnen
muss, den Franz, den Wolfgang und den Sepp sowieso, ist ein Satz immer
wieder zu hören: Wir lassen uns das Sommermärchen nicht nehmen. Der
[2][Reinhard] ist einer, der immer noch an dieses Märchen glaubt. Er ist
seit noch nicht allzu langer Zeit so etwas wie ein irdischer Erzengel des
Fußballs in Deutschland.
Ist er auch ein Märchenonkel? Er selbst würde das wohl vehement bestreiten.
Denn ein Märchenonkel hat ja nicht den besten Ruf. Er ist einer, der etwas
erzählt, was man nicht glauben sollte, im schlimmsten Fall einer, der
Schauermärchen verbreitet. Und weil der Reinhard immer noch erzählt, in
Deutschland sei 2006 ein Märchen wahr geworden, und nicht wahrhaben will,
dass man ganz einfach eine Fußball-WM gekauft hat, kann es gut sein, dass
er als Schauermärchenonkel des deutschen Sports in die Geschichte eingehen
wird.
## Goldmarie Alfons
Derer gibt es mehrere. Eine dieser schauerlichen Figuren heißt Alfons und
trägt einen Nachnamen, der an Garagentore erinnert, obwohl er eigentlich
aus der Dachziegelbranche kommt. Er sieht sich in seinen Träumen als
Goldmarie des deutschen Sports. Dessen Chef ist er schon jetzt und als
solcher möchte er, dass schon bald [3][ganz viele olympische Goldmedaillen]
auf das deutsche Team herabregnen.
Ganz viel möchte er umbauen im deutschen Sport und was ihm nicht goldig
genug erscheint, das will er abbauen. Und alle haben sich die Augen
gerieben, als er erzählt hat, dass fast alle Sportler gut finden, was er da
tut. Heute weiß man, dass es eine Märchenstunde war, die Alfons in einem
Saal in Berlin abgehalten hat, in dem die Herrscher dieses Landes der
Presse verkündeten, was sie entschieden haben.
Da bleiben wir lieber bei den Sportmärchen von Ödön von Horváth, beim
heiligen Franz als Skifahrer, bei Hochsprung und Weitsprung, die sich seit
je spinnefeind sind, beim artigen und unartigen Ringkämpfer. Merkwürdige
Geschichten sind das bisweilen, aber auf jeden Fall besser als alles, was
Reinhard oder Alfons uns je erzählen werden.
1 Dec 2016
## LINKS
[1] http://gutenberg.spiegel.de/buch/sportmarchen-2913/4
[2] /Kolumne-Pressschlag/!5345482
[3] /Reform-der-Spitzensportfoerderung/!5357418
## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
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