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# taz.de -- Kolumne Kulturbeutel: Sex-and-Terror-Romane
> Grauenhafteres als die Realität lässt sich gerade kaum ausdenken. Manche
> Romane würden heute wohl aber nicht mehr so geschrieben.
Bild: Keine Angst vor Terror im Stade de France
Es ist viel gestaunt worden über das trotzstolze „Tja“, mit dem viele in
Berlin auf den Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt in der City West
regiert haben. Beinahe absurd wirkte das [1][fette „Angst!“ auf der ersten
Seite, mit dem die Bild-Zeitung auf den Anschlag, bei dem zwölf Menschen
getötet wurden, reagiert hat]. Terror in westlichen Metropolen scheint fast
schon zu einer gespenstischen Normalität geworden zu sein. Dass die [2][ARD
einen „Tatort“ verschoben hat], in dessen Schlussszene ein
Selbstmordattentäter in der Dortmunder Innenstadt mehrere Menschen mit in
den Tod reißt, kommt da beinahe wie eine Überreaktion daher. Man hat sich
an grausame Bilder und finstere Nachrichten gewöhnt.
Ausgedachte Bilder des Schreckens vermögen bei den Freunden des
bluthungrigen Thrillers kaum noch für wohligen Horrorgrusel zu sorgen, nach
all dem, was seit dem 11. September 2001 geschehen ist. Grauenhafteres als
die Realität lässt sich kaum ausdenken. Bis zum 13. November 2015, jenem
Tag, an dem bei Terroranschlägen in Paris 130 Menschen ums Leben gekommen
sind, ist der Fiktion die vielleicht letzte ganz große Horrorvision von der
Wirklichkeit genommen worden: der Terroranschlag auf ein gefülltes
Fußballstadion.
Einen solchen schildert der englische Schriftsteller Chris Cleave in seinem
2006 auf Deutsch erschienenen Roman [3][„Lieber Osama“ (Rowohlt-Verlag)] in
einer blutrünstigen Art, die man getrost als geschmacklos bezeichnen kann.
Während die Protagonistin gerade mit einem Nachbarn vögelt, läuft im
Fernsehen die Übertragung des Londoner Derbys Chelsea gegen Arsenal. Und
als die Lust der Sexualpartner am größten ist und Robin van Persie auf
Flanke von Robert Pires den Ball Richtung Tor bugsiert, „explodiert die
gesamte Osttribüne in einem Feuerball“.
Beschrieben wird, wie das Blut hektoliterweise die Tribünenränge
hinunterfließt, wie verbrennende Leichen riechen, und dass von so manchem
der gut tausend Opfer nicht mehr übrig geblieben ist als ein paar Zähne.
Und dabei ist der Terroranschlag nicht viel mehr als die Kulisse für eine
nicht gerade originelle Upperclass-Underclass-Satire, in der die Welt der
Jogginghosenträger auf die der Aston-Martin-Fahrer trifft. Ob so ein Roman
nach Paris, nach dem Selbstmordattentat in einem Fußballstadion in Irak,
bei dem im März des vergangenen Jahres 29 Menschen getötet worden sind,
wohl so noch geschrieben werden könnte?
Ohne die Bomben, die am Stade de France von Paris gezündet worden sind,
wäre [4][Richard Flanagans Roman „Die unbekannte Terroristin“
(Piper-Verlag)], vielleicht nicht auf Deutsch erschienen. Das australische
Original erschien bereits 2006, die Übersetzung dann zehn Jahre später.
Flanagan kommt ohne den ganz großen Blutrausch aus. Die Bomben, die an
einem Stadion in Sydney von islamistischen Terroristen platziert wurden,
gehen nicht in die Luft. Flanagans Thema ist die hysterische Reaktion von
Medien und Polizei auf den vereitelten Anschlag. Eine Stripperin, die
einmal – und dies auch nur für eine Nacht – mit dem mutmaßlichen
Bombenleger voll gekokst bis oben hin im Bett landet, wird so zur
vermeintlichen Terrorbraut und meist gesuchten Frau Australiens. Eine arg
verkitschte Katharina-Blum-Story mit viel nacktem Fleisch und tragischem
Ende.
So unterschiedlich die Romane sind, beide – der eine nebenbei, der andere
ganz offensichtlich – zeichnen düstere Bilder von Überwachungsstaaten in
Zeiten der Terrorbedrohung. Was sie noch gemeinsam haben: Beides sind
Sex-and-Terror-Romane. Und ihre Haltung zum Terror? Tja.
6 Jan 2017
## LINKS
[1] http://meedia.de/2016/12/21/angst-mit-ausrufezeichen-wie-die-bild-zeitung-m…
[2] http://www.express.de/news/promi-und-show/wegen-berlin-anschlag-ard-verschi…
[3] https://www.perlentaucher.de/buch/chris-cleave/lieber-osama.html
[4] https://www.piper.de/buecher/die-unbekannte-terroristin-isbn-978-3-492-0571…
## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
## TAGS
Terrorismus
Sex
Stade de France
Fußball
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Fußball
Wintersport
Dokumentarfilm
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