| # taz.de -- Kolumne Kulturbeutel: Helden wie die da | |
| > Es ist nicht leicht. Wer jemanden als Alternative zum modernen Fußball | |
| > verehren möchte, sollte besser nicht so genau hinschauen. | |
| Bild: Der Totti muss ein Guter sein, einer, für den Treue noch zählt. Er lebe… | |
| Darf man noch Spaß am Fußball haben? Und wenn ja, was genau darf man an | |
| diesem Sport eigentlich noch gut finden? Es ist nicht leicht, sich in | |
| diesen Tagen, in denen die Kritik am modernen Fußball selbst von denen | |
| formuliert wird, die Teil des modernen Fußballbusiness sind, solche Fragen | |
| zu beantworten. Gibt es in dieser finsteren Welt des Kommerzes, in der die | |
| Seele des Sports längst zum Verkauf steht, noch Helden, die man verehren | |
| darf, ohne sich dafür schämen zu müssen? | |
| Francesco Totti könnte so einer sein. Unzählige Hymnen sind in den | |
| vergangenen Tagen angestimmt worden auf die Nummer zehn des AS Rom. Er | |
| wurde wahlweise als der letzte Kaiser Roms oder der achte König der Stadt | |
| bezeichnet. Sein größtes Verdienst war, dass er nie den Klub gewechselt | |
| hat. So treu sind sonst nur Philipp Lahm und Fans. Der Totti, der mit 40 | |
| immer noch regelmäßig zum Einsatz in der Serie A gekommen ist und beleidigt | |
| war, wenn er nur als Joker vorgesehen war, muss also ein Guter sein, einer, | |
| für den Treue noch zählt, einer, von denen es früher, als der Fußball noch | |
| nicht modern war, noch mehrere gab. | |
| Vergessen wir also sein übles Nachtreten gegen Mario Balotelli im | |
| italienischen Pokalfinale 2010. Vergessen wir die Anschuldigungen | |
| Balotellis, der nach dem Spiel sagte, dass ihn Totti als „Neger“ beschimpft | |
| hat! Vergessen wir die windelweiche Entschuldigung Tottis, die nicht ohne | |
| das unvermeidliche „Aber er hat mich provoziert“ ausgekommen ist, und | |
| feiern. Lasst uns lachen über seine legendäre Blödheit, die ihren Höhepunkt | |
| hatte, als er auf die Frage, wie er es mit der altrömischen Regel „Carpe | |
| Diem!“ halte, geantwortet haben soll: „Was soll der Unsinn, ich kann kein | |
| Englisch!“ Und freuen wir uns über die herrliche Klatschgeschichte aus Roms | |
| Mittelmeervorstadt Ostia, wo Tottis Hund Ariel mal einem kleinen Mädchen | |
| das Leben gerettet haben soll. Totti hat Fußballkultur. Hoch soll er leben! | |
| Wirklich? | |
| Fußballkultur hat auch Fritz von Thurn und Taxis. Auch er hat seine | |
| Karriere beendet und wird für Sky keine Spiele mehr live kommentieren. Die | |
| Fußballgemeinde liebt diesen Kommentator mittlerweile sogar dafür, dass er | |
| keine Ahnung hat und auch nichts dafür tut, das zu kaschieren. Dass der | |
| gute Mann schon als „Fritz von Tut und Weiß Nichts“ verspottet worden ist, | |
| als er noch beim Bayerischen Rundfunk dilettiert hat, Schwamm drüber! Hoch | |
| soll er leben! Wirklich? | |
| ## Freuen wir uns über dieses Wunder | |
| Und dann ist da noch diese tolle Geschichte von Huddersfield Town. Wahre | |
| Freunde der Fußballkultur sind ja immer irgendwie auch Freunde des | |
| englischen Rasensports und wissen, dass dieser Klub vor fast hundert Jahren | |
| ein paarmal hintereinander die Meisterschaft gewonnen hat. Jetzt hat der | |
| Klub aus Yorkshire das Playoff-Finale um den Aufstieg in die Premier League | |
| gewonnen und auch Fachfremdere wissen nun, dass es im Fußball noch andere | |
| Terrier gibt als Berti Vogts. Freuen wir uns also über dieses Wunder, das | |
| ein deutscher Trainer mithilfe ein paar deutscher Spieler da vollbracht | |
| hat. Dass das Playoff-Finale auch das Millionenspiel genannt wird, weil es | |
| dem Sieger mehr als 200 Millionen Euro an TV-Einnahmen beschert, blenden | |
| wir da erst mal aus. Nicht dass wir uns über etwas freuen, das der moderne | |
| Fußball, den wir ja nicht mögen dürfen, hervorgebracht hat. Die Terrier | |
| sind süß! Hoch sollen sie leben! Wirklich? | |
| Möglicherweise auch gutfindbar: der Vielleichtaufsteiger in die Serie A, | |
| Benevento Calcio, weil der eine Hexe im Vereinswappen hat, Paul Lambert, | |
| der schottische Fußballtrainer, der seinen Job bei den Wolverhampton | |
| Wanderers gerade verloren hat, weil er bei Borussia Dortmund spielte, als | |
| dort die Fußballmoderne noch nicht Einzug gehalten hatte. Und Eric Cantona. | |
| Der sowieso. Oder? | |
| 2 Jun 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Rüttenauer | |
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