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# taz.de -- Kolumne Kulturbeutel: Lob der Schiebung
> Beim 11:9-Erfolg von Baikal-Energija gegen Wodnik Archangelsk in der
> Sportart Bandy sind nur Eigentore gefallen sind. 20 Eigentore!
Bild: Eishockey mit Ball: Spieler bei der Bandy-WM
Reden wir über Bandy. Das ist so etwas wie Großfeldeishockey, das in
Skandinavien und den kalten Ländern der ehemaligen Sowjetunion
semiprofessionell betrieben wird. Oft reden wir nicht über Bandy. Vor drei
Jahren hat mal eine somalische Nationalmannschaft an der WM teilgenommen.
Es waren Flüchtlinge aus der schwedischen Stadt Borlänge.
Bis Montag hat man hierzulande dann nichts mehr von Bandy gehört. Da machte
die Meldung die Runde, dass in der russischen Meisterschaft beim
11:9-Erfolg von Baikal-Energija gegen Wodnik Archangelsk nur Eigentore
gefallen sind. 20 Eigentore! Verrückt. Reden wir also über die Kultur des
Sportbetrugs.
Es ging um die Playoffs. Wodnik wollte dieses Spiel auf gar keinen Fall
gewinnen, um in den Playoffs nicht auf den Titelverteidiger zu treffen. So
nahm der Wahnsinn seinen Lauf. Erst passierte lange nichts. Dann nahm sich
Wodniks Stürmer Oleg Piwowarow 22 Minuten vor Schluss ein Herz und schoss
erfolgreich aufs eigene Tor. Und noch mal und noch mal. Die Antwort: Baikal
schoss neun Eigentore hintereinander, bevor Piwowarow in den letzten sieben
Spielminuten noch acht Eigentore fabrizierte.
Der Verband hat die Trainer der Mannschaften gesperrt und die Klubs zu
einer Geldbuße von je 300.000 Rubel (etwa 5.000 Euro) verdonnert. Und auch
wenn man die Trainer beider Mannschaften für je 30 Monate gesperrt hat,
will man das Ganze so richtig schlimm dann auch wieder nicht sehen. Ein
Zirkus sei es gewesen, meint Baikal-Klubchef Wassili Donskich. Verbandschef
Boris Skrynnik sprach von einem Spaß, den sich die Spieler erlaubt hätten.
Und Dmitri Minin, der Chef des Bandy-Klubs aus Archangelsk, meinte,
Piwowarow habe im Affekt gehandelt. Und als der Reporter des russischen
Nachrichtenportals Sport-Express fragte, ob es denn gehe, elf Tore im
Affekt, lautete seine Antwort tatsächlich: „Schon möglich.“ Das Spiel soll
nun wiederholt werden.
Und wenn der russische Präsident die Bitte eines Klubvertreters aus
Krasnojarsk erhört, der Wladimir Putin aufgefordert hat, den Bandy-Sport
doch bitte zu retten, dann ist bestimmt bald alles wieder gut.
## Schiebung ist fester Bestandteil der Sportkultur
Die Bandy-Freunde in Russland werden das Spiel dennoch so schnell nicht
vergessen. Es sind eben auch solche Begegnungen, die sich im
Sportgedächtnis eines Landes eingraben. Schiebung ist nicht erst seit der
Schande von Gijon fester Bestandteil der Sportkultur. Beim abgesprochenen
1:0 der Deutschen über Österreich, das beiden Teams bei der WM 1982 den Weg
in die nächste Runde ermöglichte, fiel wenigstens kein Eigentor.
Das war beim 149:0-Erfolg von AS Adéma gegen Stade Olympique l’Emyrne in
der ersten Fußball-Liga von Madagaskar anders. Ein Eigentor nach dem
anderen schossen die Gäste, um gegen eine zweifelhafte Elfmeterentscheidung
in der Nachspielzeit am Spieltag zuvor zu protestieren. Sie witterten
Schiebung.
Kommt vor. Hertha-Fans sind sich ja auch ganz sicher, dass der
Schiedsrichter neulich so lange nicht abgepfiffen hat, bis der FC Bayern
noch den Ausgleich erzielen konnte. Es ist Fankultur: bei Siegen das eigene
Team zu feiern und bei Niederlagen „Schiebung!“ zu schreien. So etwas kann
lange nachwirken.
Wenn man in München fragt, wann eigentlich der Niedergang des TSV 1860
begonnen habe, dann kommt den Fans ein Spiel aus dem Jahre 1967 in den
Sinn. Das hat der FC Bayern damals mit 2:5 gegen Braunschweig verloren, die
Eintracht damit zum Meister und den TSV zum Vizemeister gemacht. Nicht erst
seit Franz Beckenbauer mal gesagt hat: „Wir wollten nicht, dass unser
Lokalrivale noch mal Meister wird. Unser Widerstand hat sich auf das
Minimalste beschränkt“, spricht man bei den Blauen von Schiebung.
Wie lange man wohl vom Spiel Wodnik Archangelsk gegen Baikal-Energija
sprechen wird?
2 Mar 2017
## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Fußball
Fußball
Eishockey
Eishockey
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