# taz.de -- Kolumne Kulturbeutel: Was zum Weinen | |
> Das Kulturprogramm der Fußball-WM 2018 nimmt Formen an. Geplant ist ein | |
> Musical über Lew Jaschin – eine Schmerz-Schmerz-Geschichte. | |
Bild: Die schwarze Krake in Aktion – hier bei der WM 1966 gegen Uwe Seeler. | |
Es wird ernst. Die Fußball-WM 2018 rückt näher. An ein paar | |
Stadionbaustellen beginnt der Beton schon zu trocknen. Die Qualifikation | |
für das Turnier läuft. Und während in Deutschland immer noch gerätselt | |
wird, wofür die ominösen, irgendwie kulturprogrammmäßg gelabelten 6,7 | |
Millionen Euro, die das Organisationskomitee der WM 2006 an die Fifa | |
überwiesen hat, nun wirklich gezahlt wurden, wird in Russland tatsächlich | |
an einem Begleitprogramm gebastelt. Reden wir also über Kultur. | |
Der russische Musiker Alexander Pantykin ist beauftragt worden, ein Musical | |
für die Weltmeisterschaft zu schreiben. Das soll in allen elf Spielorten | |
während des Turniers aufgeführt werden. Wenn es so kommen sollte, wie sich | |
Pantykin das vorstellt, wird am Ende der WM alle Welt die Geschichte des | |
legendären russischen Torhüters Lew Jaschin kennen. Um dessen Leben und | |
Sterben wird es in dem Musical gehen. „Es ist eine dramatische Geschichte“, | |
meint Musiker Pantykin. Rechnen wir also nicht mit einem Happy End. Rechnen | |
wir mit einem tränengeschwängerten Schlussakkord. Rechnen wir mit einer | |
typisch russischen Schmerz-Schmerz-Geschichte. | |
Für eine solche gibt das Leben Jaschins in der Tat viel her. Der Auftakt zu | |
seiner Karriere etwa hätte mieser kaum laufen können. Als er das erste Mal | |
im Tor seines Klubs Dynamo Moskau aufgeboten wurde, unterlief ihm | |
ausgerechnet im Spiel gegen den Stadtrivalen Spartak ein folgenschwerer | |
Fehler. Zwei Jahre lang durfte er nicht mehr spielen. Im Winter wandte er | |
sich dem Eishockeysport zu und soll als Goalie durchaus respektiert worden | |
sein. Und wäre er nach drei Jahren Ersatzbank nicht aber doch noch zur | |
Nummer eins bei Dynamo aufgestiegen, Alexander Pantykin müsste sich ein | |
anderes Thema für ein Fußballmusical suchen. | |
23 Jahre war Jaschin, als er im Jahr 1953 endlich zeigen durfte, was ihn | |
ihm steckte. Bis 1970 spielte er 326 Mal für Dynamo Moskau. Er bestritt 78 | |
Länderspiele für die sowjetische Nationalmannschaft. Fünfmal gewann er mit | |
Dynamo die sowjetische Meisterschaft, 1956 wurde er Olympiasieger und 1960 | |
hielt er so gut, dass das Team der UdSSR den Europameisterschaftstitel | |
gewann. | |
Jaschin ist bis heute der einzige Torhüter geblieben, der mit dem Ballon | |
d’Or ausgezeichnet worden ist. 1963 war das. 1966 verlor er mit der | |
sowjetischen Auswahl im Halbfinale der WM in England gegen Deutschland und | |
erntete trotz der 1:2-Niederlage allerhöchstes Lob, unter anderem von Franz | |
Beckenbauer. Auch wenn sich Beckenbauer nicht an alles erinnern kann, was | |
er in seinem Leben unterschrieben hat, Jaschin hat er nie vergessen. Immer | |
wieder hat er gesagt, dass die „schwarze Spinne“, „der schwarze Panter“, | |
„die schwarze Krake“ oder der „Löwe von Moskau“ – wie er auch genann… | |
– für ihn der beste Torhüter aller Zeiten gewesen sei. | |
Gut möglich, dass Beckenbauer auch in dem Musical vorkommen wird. Zusammen | |
mit Englands WM-Helden von 1966 Bobby Charlton besuchte er 1989 Jaschin an | |
dessen 60. Geburtstag und schenkte ihm einen behindertengerechten Pkw. Da | |
war der ehemalige Keeper von einer Krebserkrankung schwer gezeichnet. Nach | |
einem Hirnschlag war dem Kettenraucher 1985 ein Bein amputiert worden. Ein | |
halbes Jahr nach dem Besuch der beiden Fußballherren aus dem Westen starb | |
Jaschin. Es darf geweint werden. | |
3 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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