| # taz.de -- Kolumne Kulturbeutel: Problembezirk als Vereinsgeschichte | |
| > Ein Berliner Kiezklub mit Migrationshintergrund wird Literatur. Es geht | |
| > um mehr als Fußball – wie immer, wenn es um Fußball geht. | |
| Bild: EM-Party bei Türkiyemspor Berlin. Fahnen für Deutsch-Deutsche, Deutsch-… | |
| Er ist in Rage. Trainer Cem Efe wird laut auf der Pressekonferenz nach dem | |
| torlosen Spiel seines SV Babelsberg gegen den FSV Zwickau in der | |
| Regionalliga Nordost am vergangenen Wochenende. Er schlägt mit der Faust | |
| auf den Tisch. Immer wenn es gegen die Westsachsen gehe, dann gebe es | |
| Ärger. Er spricht von Diskriminierung, sagt, dass er es nicht verstehe, | |
| dass der Co-Trainer der Erste sei, „der meine Spieler angeht. Und es geht | |
| noch weiter unten in der Kabine.“ Scheiß Türke! Alles Ausländer hier! Die | |
| Zwickauer Bank kannte keine Hemmungen. | |
| Efe kann nur mit dem Kopf schütteln, als der Zwickauer Trainer Torsten | |
| Ziegner einwirft: „Ich kann auch erzählen, was meine Spieler erzählen, was | |
| sie um die Ohren kriegen.“ Efe sagt dann noch: „Wir müssen doch irgendwann | |
| mal sagen: Jetzt ist alles gut. Am Ende ist es nur Fußball.“ | |
| Komünist Yusuf war mal ein begabter Kicker. Er hat mal als Profi in der | |
| Türkei gespielt. Das verschafft ihm Respekt bei seinem Kiezklub, für den er | |
| Spieler, Spielertrainer und Trainer war. Er hat sich damit abgefunden, dass | |
| am Ende eben nicht alles gut ist. Zu viel hat er gehört. Kümmelkicker und | |
| so. Einmal begleitet er eine F-Jugendmannschaft seines Klubs, die Sieben- | |
| und Achtjährigen, in den Osten. | |
| ## Kümmelkicker im Osten | |
| Die Kleinen seines Klubs sind überlegen. Als es 11:0 steht, schreit der | |
| Trainer ins Feld: „Jungs, ist gut. Das reicht jetzt. Nehmt das Tempo aus | |
| dem Spiel. Nur noch quer spielen. Keine Tore mehr.“ Er ruft es auf | |
| Türkisch. Zu viel für den Trainer des Gegners. „Kollege Kebap, hier wird | |
| Deutsch gesprochen“, brüllt er. | |
| Spielabbruch. Schiedsrichter Jonas Licht war eingeteilt für ein Heimspiel | |
| eines Teams, das er „Problembezirkverein“ nennt. Zuschauer hatten den | |
| Hitlergruß gezeigt. Die anwesenden Polizeibeamten interessierten sich dafür | |
| nicht. Die Spieler umso mehr. Der Problemvereinskapitän hatte angedroht, | |
| mit seinen Spielern den Platz zu verlassen, sollten die „C&A-Opfer“ weiter | |
| den Hitlergruß zeigen. | |
| Und dann noch dieses Spiel! Ein Elfmeter gegen, zwei für den | |
| Problembezirkklub. Und nachdem Licht den Torhüter der Gäste vom Platz | |
| gestellt hatte, stürmten die Nazis den Platz und griffen Spieler der | |
| Heimmannschaft an. Es gab keine Alternative mehr zum Abbruch. Lichts | |
| Bilanz: „Sieht man von zwei Spielern des Problembezirkvereins ab, die | |
| verletzt worden waren, kamen wir unversehrt nach Hause.“ | |
| ## Größenwahn und Engagement | |
| Cem Efe und sein Ärger sind real und auf [1][Video] gut dokumentiert. | |
| Komünist Yusuf und Jonas Licht sind Literatur. Sie sind zwei der elf | |
| Protagonisten des Romans [2][“Ruhm und Ruin“] des Berliner Autors Imran | |
| Ayata (Verbrecher Verlag 2015). Da ist der Käfigkicker, der es bis zum | |
| Vertrag bei einem Bundesligisten bringt und der nach schweren Verletzungen | |
| abstürzt. Da ist dessen Vater, der sich zum Manager seines Sohns | |
| aufschwingt, eintaucht in die gerne mal perverse Welt des Profifußballs und | |
| dessen Größenwahn ihn in die Psychiatrie bringt. | |
| Und da sind die Erinnerungen an die große Zeit des Klubs, der als | |
| Türkenverein beinahe mal in die Zweite Liga aufgestiegen wäre. | |
| Erinnerungen, die nicht so recht passen wollen zur traurigen sportlichen | |
| Realität. Es ist die Geschichte eines Klubs, der von der Reibung lebt, von | |
| den Auseinandersetzungen derer, die den leeren Versprechungen eines | |
| geldgierigen Reinigungsunternehmers glauben, mit denen, die die Zukunft des | |
| Klubs eher im Kampf für Geschlechtergerechtigkeit und gegen Homophobie | |
| sehen. | |
| Ayata hat die bemerkenswerte Geschichte des [3][Türkiyemspor Berlin 1978 | |
| e.V.] in Literatur gegossen. Von der lässt sich eines mit ganz großer | |
| Gewissheit sagen lässt. Sie ist mehr als „nur Fußball“. | |
| Und weil Fußball meistens mehr als Fußball ist, wird sich Trainer Cem Efe | |
| vielleicht noch oft aufregen müssen. Über die [4][offizielle Erklärung] des | |
| FSV Zwickau zum Spiel am Wochenende etwa. Die Vorwürfe seien „haltlos“. | |
| Niemand habe „Scheiß Türke!“ gesagt. Und der Spieler, der gesagt habe: �… | |
| Ausländer hier“, sei durch Becherwürfe aus dem Publikum provoziert worden. | |
| Alles gut also. | |
| 6 Nov 2015 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.youtube.com/watch?v=QwDJwpj0R7g | |
| [2] http://www.verbrecherverlag.de/book/detail/784 | |
| [3] http://www.tuerkiyemspor.info/ | |
| [4] http://www.mdr.de/sport/fussball_rl/presseerklaerung-zwickau100.html | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Rüttenauer | |
| ## TAGS | |
| Türkiyemspor | |
| Zwickau | |
| Berlin-Kreuzberg | |
| Migration | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Homophobie | |
| Niederlande | |
| Handball | |
| Fußball | |
| Borussia Dortmund | |
| Fankultur | |
| DDR | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Migrantische Sportvereine: Kick it like Donkor | |
| 2008 gründete Yaw Donkor, gebürtiger Ghanaer, den 1. FC Afrisko, heute gibt | |
| es rund 40 Migrantenvereine in Berlin. Und noch immer gibt es Vorbehalte. | |
| Rassismus beim FSV Zwickau: Diese „Dinge“, die sie meinen | |
| Beim FSV Zwickau sollen Zuschauer den dunkelhäutigen Gästespieler Shawn | |
| Barry beleidigt haben. Der Verein geht das Problem kaum an. | |
| Football Pride Week in Berlin: Es ist 2016, liebe Fußballfreunde | |
| Fangruppen, Vereins- und Verbandsvertreter aus aller Welt sprachen in | |
| Berlin vier Tage lang über Homophobie und Sexismus im Sport. | |
| Romanepos von J. J. Voskuil: Sieben Ziegelsteine Büroalltag | |
| „Seifenoper für Intellektuelle“ oder Weltliteratur? In „Das Büro“ sch… | |
| der Niederländer J. J. Voskuil minutiös ein jahrzehntelanges Berufsleben. | |
| Kolumne Kulturbeutel: Mord im Rückraum | |
| Doping, Asse und Millionengagen: Handball- und Tenniskrimis sind ein | |
| todsicherer Tipp, wenn Sie genau jetzt einen Roman schreiben wollen. | |
| Kolumne Kulturbeutel: Was zum Weinen | |
| Das Kulturprogramm der Fußball-WM 2018 nimmt Formen an. Geplant ist ein | |
| Musical über Lew Jaschin – eine Schmerz-Schmerz-Geschichte. | |
| 12. Spieltag Fußball-Bundesliga: Köln triumphiert gegen Bayer | |
| Der FC Bayern ist unschlagbar. Das Team siegte 4:0 gegen VfB Stuttgart. Bei | |
| Bayer Leverkrusen sieht das anders aus. Der 1. FC Köln gewann gegen den | |
| Verein mit 2:1. | |
| Kolumne Kulturbeutel: Auf der Schleimspur | |
| Die Autoren der Autorennationalmannschaft sind zu Fans von Borussia | |
| Dortmund geworden und schreiben darüber. Sponsor Evonik sei Dank! | |
| Kolumne Kulturbeutel: Die Unkultur der Anderen | |
| Die Fans von Basketballmeister Alba Berlin erleben wiederholt Anfeindungen. | |
| Es bedeutet den Einbruch von Fußballfankultur in ihrer Halle. | |
| Kolumne Kulturbeutel: Schöner Schmarrn | |
| Wie Jens Jeremies bei der WM 2006 DDR-Geschichte schrieb. Und was das mit | |
| Thomas Brussigs Buch „Das gibts in keinem Russenfilm“ zu tun hat. |