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# taz.de -- Kolumne Kulturbeutel: Schöner Schmarrn
> Wie Jens Jeremies bei der WM 2006 DDR-Geschichte schrieb. Und was das mit
> Thomas Brussigs Buch „Das gibts in keinem Russenfilm“ zu tun hat.
Bild: In anderen Welten unterwegs: Jens Jeremies.
Es war ein gespenstisches Comeback. Am Tag nach der traurigen Niederlage
des FC Bayern München im Champions-League-Endspiel 2012 gegen den FC
Chelsea war ein gewisser Jens Jeremies in aller Munde.
Es war Uli Hoeneß, seinerzeit noch unbescholtener Präsident des
Rekordmeistervereins, der nur eine Erklärung für die Niederlage der Bayern
hatte: „Ich habe keinen Jens Jeremies gesehen, der den Gegner schon beim
Einlaufen in die Waden beißt.“ Und schon waren sie wieder da, die
Erinnerungen an jenen Kicker, der für den vielleicht faszinierendsten
Moment der Fußball-WM 2006 gesorgt hatte.
Hans Meyer, der Trainer der Ballack-Elf, die im Viertelfinale auf das
Gastgeberteam aus der BRD getroffen war, hatte nach dem Spiel beinahe
unmissverständlich erklärt, warum es im Interesse des Fußballs nie zu einem
Zusammenschluss der beiden deutschen Staaten kommen sollte: „Gehen Sie
davon aus, dass ich schon einige Fußballspiele gesehen habe. Aber so was
noch nie. Wenn wir, wie der geschätzte Kollege Klinsmann vorschlägt, so was
wie eine Wiedervereinigung veranstalten, dann werden wir solch ein Spiel
nie mehr erleben. Und da wird mich jeder Fan verstehen. Das ist die
Wiedervereinigung nicht wert.“
Dass es ein so irres Spiel wurde, dafür war in der Tat Jens Jeremies der
Hauptverantwortliche. Er musste ins Tor, als sich Robert Enke verletzte und
das DDR-Team nicht mehr wechseln durfte. Und es war ebenjener gebürtige
Görlitzer Grätscher, der in der Nachspielzeit einen Elfmeter hielt und sein
Team in die Verlängerung rettete. Und hätte nicht Carsten Jancker in der
letzten Sekunde dieser Verlängerung eine Großchance für die DDR vergeben,
die Geschichte des Ostfußballs wäre um mindestens ein Kapitel reicher
geworden.
## Elektromobile aus den Wartburg-Werken
Der Schriftsteller Thomas Brussig blickt in seinen gerade erschienenen
Erinnerungen („Das gibts in keinem Russenfilm“, S. Fischer) auch auf jenen
Tag zurück, an dem alle Bürger der DDR vor irgendeinem Fernsehgerät saßen,
bis auf jene Braut, die sich seit Langem schon den 20.06.2006 als
Hochzeitstermin reserviert hatte. Sie weinte an der Festtafel, während sich
die Gäste um einen Fernseher versammelten.
Am Ende blieb der große fußballerische Aufbruch der DDR doch aus. Er hätte
nur allzu gut in jene Jahre der wirtschaftlichen Neuorientierung des von
Staats- und Parteichef Egon Krenz zu einer Elektrokratie umgebauten Landes
gepasst. Unter seiner Regentschaft begann man, die DDR zu einem Windpark
umzubauen, um die Akkus für die „Gleiter“ genannten Elektromobile aus den
Wartburg-Werken laden zu können.
Am Ende würde die DDR die BRD mit Energie für Elektroautos versorgen. „Was
aber ist Kommunismus anderes, als wenn man Güter miteinander teilt und sich
zugleich so viel nehmen kann, wie man braucht?“, fragte Richard David
Precht, der Leiter des Heidelberger Literaturhauses, auf einer
Diskussionsveranstaltung.
Wer sich an dieser Stelle fragt, was Brussig da bloß erlebt haben mag, und
sich eben schnell vergewissert hat, dass die deutsche
Fußballnationalmannschaft am 20. Juni 2006 ihr finales Gruppenspiel bei der
Heim-WM gegen Ecuador gewann, der wird sich vielleicht dennoch gefreut
haben, mal wieder etwas von Jens Jeremies gelesen zu haben. Er wird sich
vielleicht gewundert haben, was für einen Blödsinn der damals noch so große
Uli seinerzeit ungestraft verzapfen durfte. Welch schöner Schmarrn ist
dagegen Thomas Brussigs neues Buch!
7 Mar 2015
## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
## TAGS
DDR
Türkiyemspor
Borussia Dortmund
Fankultur
Schriftsteller
Finale
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