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# taz.de -- Öko-Comic „Ein Ozean der Liebe“: Als Sardinenschmuggler verhaf…
> Der Franzose Wilfrid Lupano setzt in der Graphic Novel „Ein Ozean der
> Liebe“ eine wilde Lovestory mit Öko-Touch in Szene – ganz ohne Wörter.
Bild: Dabei mag er gar keine Sardinen. „Etwas anderes gibt es aber nicht!“,…
Es ist noch dunkel, als das Männlein mit dem übergroßen Kopf aufsteht und
sich seine riesige Brille auf die Nase setzt. Madame steht schon am Herd
und bereitet Pfannkuchen. Gegenüber ihrem nur etwa halb so großen Mann
wirkt die Birnenförmige in der schwarzen Tracht (mit gehäkelter weißer
Schürze und passendem Häubchen) wie ein Dragoner. Das Essen schmeckt dem
Mann vorzüglich, nur gegen die Büchse Sardinen, die sie ihm als Verpflegung
mitgibt, hat er Einwände.
„Etwas anderes gibt es nicht!“, gibt sie wortlos zu verstehen. Umso inniger
verabschieden sie sich. Der Mann verlässt das Haus, geht zum Hafen. Er ist
Fischer – doch seine alltägliche Kutterfahrt wird diesmal ganz anders als
gewohnt verlaufen.
Die Tracht, das Häubchen und das geringelte Hemd des Fischers weisen auf
den Schauplatz der Geschichte hin, es sind traditionelle bretonische
Kleidungsstücke, außerdem gibt es die Pfannkuchen Galettes Bretonnes, eine
Spezialität, aus der sich, wie wir erfahren, sogar die Zukunft lesen lässt
… Die provinziellen altbretonischen Sitten werden der Graphic Novel „Ein
Ozean der Liebe“ im Verlauf eine schöne ironische Note verleihen, sie
werden nämlich in alle Welt getragen.
Kaum ist der Fischer auf See, wird er auch schon von einem riesigen
Fischfänger gerammt, sein winziger Kutter landet in dessen Netz. Beginn
einer turbulenten Kettenreaktion, in der der „Held“, sein maroder Kahn und
sein neuer Freund – eine schielende Möwe mit ausgeprägtem Interesse für
Sardinenbüchsen – von einer Katastrophe in die nächste schippert. In der
Folge wird der kleine Bretone einen Öltanker in die Luft jagen, als
Sardinen-Schmuggler verhaftet werden und mit einer Horde brutaler Piraten
konfrontiert werden.
Währenddessen bleibt die um ihren Mann besorgte Madame keineswegs tatenlos.
Sie geht auf Spurensuche, reist dem Vermissten hinterher, mischt die
dekadente Gesellschaft eines Luxusliners auf und landet schließlich auf
Kuba im Kittchen. Selbst dort können ihr bretonische Fertigkeiten aus der
Patsche helfen, und ein erstaunlich fideler Castro bekommt Gelegenheit,
einen bretonischen Reihentanz zu erlernen.
## Dialoge durch Mimik und Gestik ersetzt
Erdacht hat sich diese wilde Lovestory mit Öko-Touch der Franzose Wilfrid
Lupano, Jahrgang 1971, der sich seit einigen Jahren durch originelle
Comic-Szenarios mit hintergründigem Humor einen Namen gemacht hat. „Der
Affe von Hartlepool“ etwa (avant Verlag 2013, Zeichnungen Jérémie Moreau)
fußt auf einer historischen Legende aus England, in der zu Zeiten Napoleons
ein Affe für einen feindlichen Franzosen gehalten und am Ende aufgeknüpft
wird, um den Lynchdurst der Bürger zu befriedigen.
Lupanos größter Erfolg ist die aktuelle Serie „Die alten Knacker“ (Splitt…
Verlag 2015, Zeichnungen Paul Cauuet) um eine rüstige Rentnergang. Im
Gegensatz zu dieser mit spitzen Dialogen gesättigten Gesellschaftssatire
glänzt „Ein Ozean der Liebe“ mit seinem vollkommenen Verzicht auf Text.
Dafür hat Lupano den perfekten Zeichner gefunden: den 1968 geborenen
italienisch-französischen Zeichner Grégory Panaccione. In Frankreich war er
bereits zuvor mit einem „stummen“ Comic aufgefallen, „Match“, der von e…
Tennismatch handelt. Im „Ozean“ gelingt es dem Team, sämtliche Dialoge
durch Mimik und Gestik zu ersetzen, wie etwa die eingespielten Rituale des
Fischer-Ehepaares. Auch die Panelaufteilung bleibt über die gesamte Strecke
von 220 Seiten lang einfallsreich. Höhepunkte sind ein- oder doppelseitige
Bilder, die die unterschiedlichen Gemütsstimmungen des Meeres lebendig
einfangen oder auch dramatische Handlungsmomente auf grafische Weise
zuspitzen.
So ergibt sich eine bezaubernde visuell-pantomimische Erzählung, die von
der Erfahrung Panacciones als Animator profitiert und vielleicht auch etwas
über dessen Vorbilder verrät. Der Fischer könnte ein Verwandter des ewigen
Losers Herr Rossi sein, der berühmtesten Schöpfung des italienischen
Zeichentrickregisseurs Bruno Bozzetto, und auch Madame erinnert an den
flächigen Stil von Cartoons aus den sechziger Jahren.
Ob das bretonische Traumpaar am Ende ein Happy End erwartet? In Panacciones
meisterlicher Aquarellfarbgestaltung wird selbst das von Plastikmüll
verstopfte Meer – einer von mehreren unvermittelten Einbrüchen des „Jetzt�…
in die zeitlose Geschichte – zum faszinierend schönen Bild.
31 Mar 2016
## AUTOREN
Ralph Trommer
## TAGS
Comic
Liebe
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Graphic Novel
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Theater Bremen
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