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# taz.de -- Brigitte Kronauers neuer Roman: Über das Leben reden
> Altertümlich und schön ist die Sprache in Brigitte Kronauers Roman „Der
> Scheik von Aachen“. Jedoch fragt sich der Leser: Warum das alles?
Bild: So könnte sie aussehen: Brigitte Kronauers Hauptfigur Anita in „Der Sc…
Das Kind Anita Jannemann liest gebannt die Legende vom „Scheik von
Ägypten“. Diesem war sein einziger Sohn, Kairam, von den Franken
verschleppt worden. Aus Trauer schließlich erkennt er den Sohn nach langer
Zeit nicht wieder, als er vor ihm steht. Diese kurze Rückschau auf die
junge Anita und ihre Lesefreuden ist der Auftakt des aktuellen Romans von
Brigitte Kronauer, „Der Scheik von Aachen“, dieses Jahr auf der Shortlist
für den Preis der Leipziger Buchmesse.
In Kronauers Geschichte gibt die mittlerweile erwachsene, 42-jährige Anita
ihren Job in Zürich auf und zieht zurück in ihre Heimatstadt Aachen – für
die diffuse Liebe zum Amateurbergsteiger Mario, der partout nicht
auftauchen will. Seine Kontaktdaten hatte er ihr auf einer
Restaurantserviette hinterlassen, nur leider zu kritzelig. Das war’s. Der
Leser wird Zeuge dieses Unglücks und anderer Ausführungen der sinnsuchenden
Anita, während sie ihrer Tante Emmi davon erzählt.
Die Hauptfigur, eine schlanke, zarte Frau mit angenehm verrauchter Stimme,
teils entrückt – beim Zubereiten eines Steaks schneidet sie sich blutig,
weil sie eine Sonnenbrille trägt –, ist so ganz anders als Emmi, mit der
sie im Verlauf des Romans noch viele Stunden verbringen wird. Die Tante ist
damenhaft, derb und kratzbürstig zugleich. „Was ist an ihm dran, außer dem
Geruch und der Physik?“, fragt sie abschätzig auf den unbekannten Mario
zielend.
Scharf zurückschießen darf Anita allerdings nicht. Emmi nämlich kämpft mit
dem Tod ihres vor mehr als 30 Jahren verstorbenen Sohnes Wolfgang. Ihr
Umfeld hat sie damit derart in Mitleidenschaft gezogen, dass sich niemand
traut, in ihrer Gegenwart auch nur Wörter auszusprechen, die so ähnlich
klingen wie „Wolfgang“.
Die Einzige, die Emmi hin und wieder die Stirn bietet, ob nun gewollt oder
nicht, ist die polnische Haushälterin Frau Bartosz. Urpolnisch, betend,
Volkslieder singend, herrisch, weibisch: So wird sie beschrieben und ist
mit den genannten Attributen das Gegenteil von Anita und Emmi, nämlich eine
Frau, die lebt und nicht nur über das Leben redet.
## Warten, alle warten
An dem Tag, als der Vetter nicht auftauchte, weil die Straßen in der Eifel
kurvenreich sein können, las Anita in ihrem „Scheik von Ägypten“. Sie
wartete auf den lieben „Wolf“ und hoffte, er würde sie bald „Mimi“ nen…
Das war’s. Alle haben auf Wolfgang gewartet, Anita wartet auf Mario, Emmi
wartet auf ihre heimliche Liebe Brammertz, und Marzahn, der später
auftaucht und ein Geschäft in Aachen führt, ist Witwer. Alle warten sie
oder haben jemanden verloren.
Diese Schar Leidender birgt ein enormes tragikomisches Potenzial, das von
der Autorin aber nicht ausgeschöpft wird. Kronauer lässt stattdessen vor
allem Anita und Emmi unentwegt Anekdoten austauschen, was bisweilen heiter
daherkommt, wie etwa Emmis Jugenderinnerung von den Arabern und Persern,
„orientalische Prinzen und Scheiks“, die deutsche, blonde Mädchen geraubt
hätten. Trotzdem: Was soll das alles? Und wie hängen diese Gedankenreisen
miteinander zusammen?
Anitas Genöle nervt den Leser nach spätestens 50 Seiten hart (350 liegen
noch vor ihm) und er wünscht ihr die Pest an den Arsch. Es nützt alles
nichts. Die Vermutung, dass jemand gut küsse, bleibt vorerst die Spitze
erotischer Ausschweifung. Eine vielleicht prüde, aber mit
Internetpornografie sozialisierte Generation („oversexed, but underfucked“)
holt man so nicht hinter dem Smartphone-Screen hervor.
Aber die Zielleserschaft ist wohl auch eine andere. Immerhin sind Kronauers
Sätze zumeist länger als die twitterüblichen 140 Zeichen und erfordern die
kognitive Leistungsfähigkeit der vor der Jahrtausendwende Geborenen. Und
ihre Sprache stammt aus der Zeit vor der politischen Wende – der von 1871.
Sie ist stellenweise altertümlich – und wunderschön. Wortneuschöpfungen wie
„Liebesleichtfertigkeit“ sind ein Geschenk an die deutsche Sprache, das
kaum jemand zu machen versteht. Ästhetisch ist „Der Scheik von Aachen“ ein
großartiges Buch. Über seine inhaltliche Leere kann das aber nicht
hinwegtäuschen.
Brigitte Kronauer ist eine typische deutsche Erzählerin dergestalt, dass
sie nichts erzählt. Sie versucht nicht mal, eine Handlung zu bauen.
Stattdessen lässt sie ihre Figuren einfach empfinden. Jedoch was
eigentlich? In so aufregenden Zeiten, politisch wie gesellschaftlich, kann
es einen doch zum Erstaunen bringen, dass es jemand schafft, ein so
langweiliges Buch zu schreiben.
23 Mar 2017
## AUTOREN
Philipp Fritz
## TAGS
Aachen
Fußball
Swetlana Alexijewitsch
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