# taz.de -- Kommentar Internationale Justiz: Ein Kontinent vor dem Afrexit | |
> Afrika kehrt dem Internationalen Strafgerichtshof den Rücken zu. Die | |
> Regierenden wollen sich keine Schwäche nachsagen lassen. | |
Bild: Seit seiner Gründung 2002 wurden nur Afrikaner vor dem Internationalen S… | |
Wenn man in Afrika auf Politiker und nicht nur auf Pferde und Fußballspiele | |
Wetten abschließen dürfte, würden Einsätze in Millionenhöhe fließen: | |
Welches afrikanische Land wird als nächstes das Rom-Statut des | |
Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) aufkündigen und sich damit aus | |
der einzigen weltweiten Instanz zur Ahndung von Völkermord, | |
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zurückziehen? | |
Kenia, das den IStGH schon zur Einstellung eines Verfahrens gegen seinen | |
Präsidenten bewogen hat? Uganda, dessen Präsident den Gerichtshof als | |
„unnütz“ bezeichnet? Namibia, dessen Präsident gesagt hat, man habe | |
heutzutage andere Prioritäten? | |
Zwei Drittel aller afrikanischen Staaten – 34 genau genommen – hatten | |
bislang das Rom-Statut ratifiziert und damit nach internationaler Lesart | |
beschlossen, in der Weltpolitik von der Schatten- auf die Sonnenseite zu | |
wechseln: Aus der Gesellschaft der USA, Russlands, Chinas und der meisten | |
arabischen Länder (außer Jordanien und Tunesien) hinaus in die Gesellschaft | |
Europas, Japans, Kanadas und fast ganz Lateinamerikas (außer Kuba und | |
Nicaragua). | |
Die Landkarte der Rom-Vertragsstaaten bietet zumindest außerhalb Afrikas | |
einen ziemlich guten Überblick darüber, welche Länder auf der Welt | |
friedliche Mittel zur Konfliktlösung bevorzugen. Wer Gewalt als legitimes | |
Mittel der Interessenwahrung anwendet, ob nach innen oder nach außen, | |
bleibt dem IStGH meistens fern. | |
## Der Unmut der Eliten | |
Das Überraschende ist also weniger, dass Afrikas Präsidenten ihre | |
Unterschrift unter das Statut jetzt wieder zurückziehen, sondern dass es so | |
lange dauerte. Der Internationale Strafgerichtshof ist die einzige | |
Institution, aus der ein Rückzug einem Autokraten nur Vorteile bietet. | |
Die eigenen Gegner ausschalten kann man selber, und wieso soll man sich der | |
Strafverfolgung aussetzen? Außerdem lässt sich so auch viel effektiver die | |
Arbeit der vorlauten Menschen- und Bürgerrechtler im eigenen Land | |
erschweren. Aus Afrika erschallt der Ruf: Diktatoren der Welt, vereinigt | |
euch gegen die Weltjustiz; ihr habt nichts zu verlieren als eure Ketten. | |
Der „Afrexit“ aus dem Strafgerichtshof ist eine risikofreie Umsetzung des | |
verbreiteten Unmuts afrikanischer Eliten darüber, dass der Rest der Welt | |
immer noch auf sie herabblickt. In Kreisen des neuen afrikanischen | |
Selbstbewusstseins hat der IStGH den Stellenwert der Nato in Moskau, der EU | |
im konservativen England oder auch der ganzen Welt im US-amerikanischen | |
Trumpland: ein Ärgernis, dem man sich viel zu lange angepasst hat. | |
Die Fakten sprechen tatsächlich für sich: seit Entstehen des Gerichtshofs | |
im Jahr 2002 sind ausschließlich Afrikaner dort angeklagt und vor Gericht | |
gestellt worden. Und das, obwohl keiner behaupten kann, dass seit 2002 | |
ausschließlich Afrikaner Verbrechen verübt hätten. | |
## Instrument gegen unbequeme Rivalen | |
Diese Sonderbehandlung hat System. Anderswo auf der Welt werden | |
Menschheitsverbrechen entweder national verhandelt oder gar nicht. Nur | |
schwache Staaten sind Fälle für Den Haag. Das Rom-Statut legt ausdrücklich | |
fest, dass ein Verfahren vor dem Strafgerichtshof nur dann zulässig ist, | |
wenn „der Staat nicht willens oder nicht in der Lage“ ist, „die | |
Ermittlungen oder die Strafverfolgung ernsthaft durchzuführen“. | |
Welcher Staatschef lässt sich schon gerne nachsagen, dass er zu irgendetwas | |
„nicht willens oder nicht in der Lage“ ist? Noch dazu „ernsthaft“? In so | |
manchen afrikanischen Ländern, die bereits Verfahren an Den Haag abgegeben | |
haben, kommen Bürger in Haft, wenn sie so etwas über den eigenen | |
Präsidenten behaupten. Das Rom-Statut ist eine in Vertragsform gegossene | |
permanente Beleidigung. | |
Der Strafgerichtshof ist nur dann nützlich, solange er Präsidenten dazu | |
dient, unbequeme Rivalen aus dem Weg zu räumen. Zum Beispiel Jean-Pierre | |
Bemba, der Kongolese, der im Jahr 2006 den Präsidenten Joseph Kabila bei | |
den von der Bundeswehr abgesicherten Präsidentschaftswahlen herausforderte. | |
Er verlor knapp, wurde ins Exil getrieben und 2008 auf Betreiben Kabilas in | |
einer Nacht-und-Nebel-Aktion in Brüssel verhaftet und nach Den Haag | |
geschafft. | |
Die Verbrechen, für die er dieses Jahr verurteilt wurde – Übergriffe seiner | |
Rebellenkämpfer in der Zentralafrikanischen Republik 2002 bis 2003 – fanden | |
statt, während Bemba gerade bei internationalen Kongo-Friedensgesprächen in | |
Südafrika zum Vizepräsidenten seines Landes erkoren wurde. Sie waren damals | |
schon bekannt, aber die Staatsräson ging vor. | |
Jahre später lautete die Staatsräson anders, und der Strafgerichtshof | |
setzte sie um, indem er Bemba kaltstellte. Aber sollte er jemals ein | |
Verfahren gegen Kabila eröffnen, würde dieser die Zusammenarbeit sofort | |
einstellen – und damit Den Haag sein wichtigstes Aktionsfeld entziehen. | |
## Symbol der Unbeugsamkeit | |
Wenn sogar in einem schwachen Staat wie der Demokratischen Republik Kongo | |
der IStGH vom guten Willen des Präsidenten abhängt, wie sehr dann erst in | |
einem starken Staat wie Sudan? Den Haags Haftbefehl gegen Sudans | |
Präsidenten Umar al-Bashir wegen des Verdachts auf Völkermord in Darfur aus | |
dem Jahr 2009 hat ihn in den Augen seiner afrikanischen Amtskollegen zum | |
Helden gemacht, zum Symbol der Unbeugsamkeit. | |
Wegen al-Bashir ist Südafrika aus dem Rom-Statut ausgetreten, wegen ihm | |
diskutiert Afrika permanent darüber, wie man am besten der Weltjustiz den | |
Rücken kehrt. Afrikas Staaten wollen stark sein, nicht schwach. Deshalb | |
wollen sie nichts mehr mit einer Institution zu tun haben, die ihre | |
Daseinsberechtigung aus der Schwäche von Staaten zieht. | |
Wären sie wirklich stark, würden sie das gar nicht nötig haben. Aber es | |
geht um Ansprüche, nicht um die Wirklichkeit. Es geht um Unantastbarkeit. | |
Wie sagte jetzt Namibias Präsident Hage Geingob, als er seine | |
Zukunftsvision vorstellte? „Im neuen Afrika gibt es keine Putsche mehr. Im | |
neuen Afrika werden unsere Führer demokratisch gewählt, dienen ihre | |
Amtszeit zu Ende und bleiben danach im Land. Im neuen Afrika werden unsere | |
Führer im Ruhestand als Väter ihrer Nationen verehrt.“ Nichts und niemand | |
soll die Führer infrage stellen oder an ihrem Ruf kratzen. | |
1 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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