| # taz.de -- Kolumne Knapp überm Boulevard: Österreichische Avantgarde | |
| > Die Alpenrepublik ist der rechtspopulistische Vorreiter in Sachen | |
| > Wahlanfechtungen. Die Wähler sehen Demokratie nur noch als Elitenprojekt. | |
| Bild: Die Eliten schnapsen es im Hinterzimmer aus: hier beim Wiener Opernball | |
| Donald Trump hat ja schon vor der Wahl eine mögliche spätere Anfechtung in | |
| Aussicht gestellt (ohne zu präzisieren, ob dies für den Fall seines Sieges | |
| auch gelten würde). Es ist so, dass wir da in Österreich schon einige | |
| Erfahrung damit haben – sowohl mit Rechtspopulisten als auch mit | |
| Wahlanfechtungen. Die kleine Alpenrepublik ist nicht immer nur das | |
| Schlusslicht der Entwicklungen – nein, sie ist diesmal eine Art Avantgarde: | |
| Sie prescht voran auf den Pfaden der extremen Rechten (und ich verkneife | |
| mir jetzt hier ein „wieder einmal“). Es sind merkwürdige politische Zeiten, | |
| wo die politische Lage im kleinen Österreich und jene in den großen USA | |
| nicht nur vergleichbar sind, sondern die Alpenrepublik dem Welthegemon in | |
| der Entwicklung vorangeht. | |
| Was zeitigt diese Erfahrung einer infrage gestellten Wahl? Zur Erinnerung: | |
| Bei der Wahl des österreichischen Präsidenten, einer Direktwahl, kam es zu | |
| einer Stichwahl zwischen dem grünen und dem rechten Kandidat. Nachdem der | |
| grüne Van der Bellen gewonnen hatte, haben die Rechten die Wahl | |
| angefochten. Auch hier ist das Geraune dem juristischen Schritt | |
| vorangegangen. Es wurde schon am Wahlabend erhoben. Der | |
| Verfassungsgerichtshof hat dann der Wahlanfechtung stattgegeben. Nicht | |
| aufgrund einer tatsächlichen, sondern nur aufgrund einer möglichen | |
| Manipulation der Wahl. Seitdem herrscht wieder Wahlkampf. Bis zur Wahl | |
| werden es dann insgesamt mehr als 10 Monate gewesen sein. In China, so | |
| Stermann und Grissemann, laute der neue Männergruß bereits: Möge dein | |
| Orgasmus so lange dauern wie ein österreichischer Wahlkampf. | |
| Ich erzähle das so ausführlich, um klarzumachen, was solche Äußerungen, was | |
| bereits solch ein Verdacht mit einer Gesellschaft macht (unabhängig davon, | |
| ob er sich danach erhärtet oder nicht – ja mehr noch, wenn er sich nicht | |
| erhärtet, denn dann bleibt er im ebenso unbestimmten wie effektiven Bereich | |
| des Geraunes). Oder anders gesagt: Was in solch einem Verdacht gleichzeitig | |
| zum Ausdruck kommt und befördert wird. | |
| Das Gift des Misstrauens, das da geträufelt wird, höhlt nicht nur den Bezug | |
| zu den Institutionen der Demokratie aus, namentlich zu ihrer zentralen | |
| Institution – der Wahl. In diesem Verdacht und durch diesen Verdacht wird | |
| etwas befördert, was uns wohl noch eine lange Zeit begleiten wird. Auf | |
| einen Satz gebracht: Die Leute empfinden die Demokratie zunehmend als | |
| Eliteprojekt. Die Leute, immer mehr Leute, die breiteren Massen der | |
| Populistenwähler, der Populismusaffinen – sie empfinden diese politische | |
| Ordnung nicht mehr als die ihre. Eine politische Entfremdung. So einfach, | |
| so klar ist diese Entwicklung zu benennen. Und so gravierend ist sie. | |
| ## Die Eliten schnapsen es aus | |
| Und genau dieses Gefühl artikulieren und befördern Populisten aller Länder. | |
| Sie drücken es aus und erzeugen es gleichzeitig: Die Eliten schnapsen das | |
| aus. Von den Technokraten der Macht bis hin zu den Experten – sie alle | |
| werden in dieser Logik, in dieser Wahrnehmungsweise zu Usurpatoren jener | |
| Demokratie, die nicht mehr die ihre ist. Ein eigenes Verständnis von | |
| Postdemokratie. Dieser Eindruck entsteht dann, wenn diese Leute sich nicht | |
| mehr wiedererkennen – nicht in den Prozeduren, nicht in den Entscheidungen, | |
| nicht in den handelnden Personen. | |
| In den Rechtspopulisten aber, in denen erkennen sie sich wieder. Man kann | |
| sich auf mehrere Arten in einer öffentlichen Person wiedererkennen: durch | |
| Ähnlichkeit oder durch Nicht-Ähnlichkeit. Ähnlichkeit meint die Illusion, | |
| der handelnde Politiker sei – im Gegensatz zu den anderen Elitevertretern – | |
| „einer von uns“. Nicht-Ähnlichkeit aber bedeutet, seine Erfolge, sein Leben | |
| als jenes zu akzeptieren, dass dieser „an unserer Stelle“ lebt und genießt. | |
| Auf diese Art kann sich der Arbeitslose aus Orlando im Millionär Trump | |
| wiedererkennen. | |
| In jedem Fall bestätigt diese Figur ihren Wählern, dass Demokratie ein | |
| Etikettenschwindel sei. Die vermeintliche Volksherrschaft als Arrangement | |
| von Eliten. Die sich die Herrschaft unter den Nagel reißen. Mittels Wahlen | |
| – so sie „erfolgreich“ sind. Und gegen Wahlen – wenn diese nicht das | |
| gewünschte Ergebnis bringen. | |
| 28 Oct 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Isolde Charim | |
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