# taz.de -- Kommentar Ceta-Verhandlungen: Demokratie gefährdet den Freihandel | |
> Der Ceta-Streit zeigt: Die EU muss endlich politisch denken und | |
> demokratisch handeln. Sonst fährt sie endgültig gegen die Wand. | |
Bild: Die Demonstrant*innen haben Grund zur Trauer. Bei den Freihandelsabkommen… | |
Die europäische Handelspolitik ist auch nicht mehr das, was sie einmal war. | |
In der guten alten Zeit wurden Freihandelsabkommen noch von der | |
EU-Kommission still und leise in Hinterzimmern ausgehandelt. Heute gehen | |
sie im lauten Gebrüll von Populisten, Aktivisten und Wutbürgern unter. Und | |
die EU droht, unter einer falsch verstandenen Demokratie zusammenzubrechen. | |
So oder so ähnlich argumentieren die Anhänger des umstrittenen | |
Ceta-Abkommens mit Kanada, nachdem die für Donnerstag geplante feierliche | |
Unterzeichnung in Brüssel krachend geplatzt ist. Es könne doch nicht sein, | |
dass ein paar hinterwäldlerische Wallonen die wirtschaftliche Zukunft von | |
500 Millionen EU-Bürgern blockieren! Doch wer so argumentiert, hat nichts | |
verstanden. | |
Denn Ceta ist eben kein „normales“ Freihandelsabkommen. Es geht nicht mehr | |
nur um den Abbau von Zöllen und Tarifen, sondern um tiefe Eingriffe in | |
nationale Gesetze und Normen, die als „nichttarifäre Handelshemmnisse“ | |
bezeichnet werden. Die Handelspolitik hat einen Quantensprung vollzogen; | |
bei Ceta (und TTIP) geht es darum, tendenziell jeden Lebensbereich zu | |
kommerzialisieren. | |
Deshalb ist es völlig richtig, dass darüber nicht nur Handelsexperten, | |
sondern auch „einfache“ Abgeordnete und Bürger diskutieren. Die belgischen | |
Vorbehalte, die nun festgeschrieben werden sollen, unterscheiden sich kaum | |
von jenen, die auf dem SPD-Parteikonvent oder in deutschen | |
Bürgerversammlungen geäußert wurden. | |
## Demokratische Prozesse brauchen Zeit | |
Der Freihandel greift in die Demokratie ein – und zwar in Belgien genauso | |
wie in Deutschland. Die demokratischen Prozesse brauchen mal mehr, mal | |
weniger Zeit. Daraus den Vorwurf zu machen, die Demokratie gefährde den | |
Freihandel, stellt die Tatsachen auf den Kopf. | |
Und was ist mit der Handlungsfähigkeit? Das ist auch so eine vergiftete | |
Frage. Natürlich ist es peinlich für die EU, wenn sie Gipfeltreffen platzen | |
lassen muss und befreundete Länder wie Kanada verprellt. Die Schuld daran | |
tragen aber nicht Bürger oder lokale und nationale Abgeordnete, sondern die | |
EU-Kommission. | |
Die Brüsseler Behörde war ja nicht einmal in der Lage, die Region Brüssel | |
von den Vorteilen von Ceta zu überzeugen. Sie vertraute auf den alten | |
Top-down-Ansatz: Wir verkünden etwas, ihr stimmt dann brav zu. Doch schon | |
in Belgien funktioniert das nicht mehr. Bei der noch ausstehenden | |
Ratifizierung von Ceta könnten sich auch andere Staaten oder Regionen quer | |
stellen. | |
Das Abkommen ist noch längst nicht in trockenen Tüchern; es liegt noch | |
immer auf der Intensivstation. Und bis es da wieder herauskommt, könnte es | |
noch Wochen, ja Monate dauern. | |
## Eine Politisierung des Handels | |
Vorschläge, wie man es besser machen könnte, gibt es viele. Eine Lösung | |
wäre, das Europaparlament von Anfang an zu beteiligen und nicht erst ganz | |
am Ende. Es könnte sich mit nationalen und regionalen Parlamenten abstimmen | |
und die Verhandlungen begleiten. Denkbar wäre auch, die Abkommen | |
aufzusplitten, in internationale und nationale Teile. | |
So oder so läuft es auf eine Verknüpfung von nationaler und europäischer | |
Demokratie hinaus. Und auf eine Politisierung des Handels. Handelsabkommen | |
dürfen nicht mehr in Brüsseler Hinterzimmern konzipiert und als | |
alternativlos präsentiert werden. Wir brauchen eine öffentliche Debatte, | |
wir brauchen die Wahl zwischen verschiedenen Optionen. | |
Das ist übrigens auch die Antwort auf die EU-Krise, die ja nicht erst mit | |
dem Streit über Ceta begonnen hat. Die EU muss endlich politisch denken und | |
demokratisch handeln. | |
Die Ceta-Krise sei der zweite Weckruf nach dem Brexit-Referendum in | |
Großbritannien, hat der Chef des Handelsausschusses im Europaparlament, | |
Bernd Lange, gesagt. Recht hat er. Den ersten Weckruf hat Brüssel schon | |
überhört. Der zweite könnte der letzte sein. | |
28 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
## TAGS | |
Lesestück Meinung und Analyse | |
Wallonien | |
Kanada | |
Freihandel | |
CETA | |
Freihandel | |
Europäische Union | |
Schwerpunkt TTIP | |
Kanada | |
Europa | |
EU | |
Kanada | |
Lesestück Meinung und Analyse | |
Kanada | |
CETA | |
Kanada | |
CETA | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
EU-Parlament zu Handelsabkommen: Keine Zeit für Ceta-Prüfung | |
Der Europäische Gerichtshof prüft das EU-Kanada-Abkommen erstmal nicht. | |
Aber für die Debatte im Parlament könnte es mehr Zeit geben. | |
EU-Außenminister zu Trump und Erdogan: Gewisse logische Sprünge | |
Die EU-Außenminister können sich weder im Verhältnis zu Donald Trump noch | |
zu Recep Tayyib Erdogan auf eine gemeinsame Linie verständigen. | |
TTIP liegt nach Trumps Wahlsieg auf Eis: Vielleicht Jahre, vielleicht auch nie | |
Die zuständige EU-Kommissarin Cecilia Malmström spricht von einer „Pause“ | |
in den Verhandlungen. Frankreich hingegen erklärt TTIP für „tot“. | |
Ceta-Vertrag zwischen EU und Kanada: Kanadas Parlament soll ratifizieren | |
Das umstrittene Ceta-Freihandelsabkommen ist unterzeichnet. Nun hat die | |
kanadische Regierung es dem Parlament vorgelegt, damit dieses den Deal | |
durchwinkt. | |
Kommentar Zukunft der EU: Wir brauchen eine Revolution | |
Die herrschenden Eliten fahren das europäische Projekt vor die Wand. Das | |
hilft der extremen Rechten. Es ist Zeit für eine Radikalreform. | |
Freihandelsabkommen unterschrieben: Der Kampf um Ceta geht weiter | |
Nach tagelangem Hin und Her unterzeichnen EU und Kanada das Abkommen. Der | |
Streit um Ceta ist damit noch lange nicht vorbei. | |
Verhandlungen um Ceta: Sonntag soll unterzeichnet werden | |
Ceta soll mit dreitägiger Verspätung am Sonntag unterzeichnet werden. | |
Belgiens Außenminister hat das Abkommen unterschrieben. | |
Chronik der EU-Ceta-Verhandlungen: Niemand hört den Wallonen zu | |
Nach langen Gespächen stimmt die Wallonie einem Ceta-Kompromiss zu. Die | |
Geschichte, wie die Wallonen unter Druck gesetzt wurden. | |
Kanadas Handelsministerin Freeland: Die linksliberale Ceta-Freundin | |
Kanadas Handelsministerin Chrystia Freeland kämpft mit Biss und Herz für | |
Ceta. In Kanada gilt Freeland als kommender Star im Kabinett. | |
Deutsche Reaktionen auf Ceta-Einigung: Nächster Stolperstein Bundesrat | |
Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel freut sich über das Ja der Wallonen. | |
Sahra Wagenknecht spricht von einer „erpressten Einigung“. | |
Kommentar Ceta-Verhandlungen: Europa steht hinter der Wallonie | |
Die belgischen Regionen haben sich geeinigt. Doch ist es der EU-Kommission | |
nicht gelungen, die Wallonen vom Nutzen von Ceta zu überzeugen. | |
Handelsabkommen mit Kanada: Belgien kassiert Ceta-Veto | |
Die belgische Zentralregierung konnte sich mit den Regionen einigen. Die | |
Verhandlungen können jetzt fortgesetzt werden. |