# taz.de -- Platznot im Kindergarten: „Das System ist nicht starr“ | |
> Grünen Politiker Matthias Güldner fordert die Einführung eines | |
> Kita-Gutschein-Systems binnen drei Jahren für einen besseren Ausbau. | |
Bild: Hauptsache jedes Kind hat seinen Kita-Platz | |
taz: Herr Güldner, Sie haben Kinder mit Rechtsanspruch auf einen | |
Kita-Platz. Haben die einen gekriegt? | |
Matthias Güldner: Ich habe Zwillinge im Kleinkindalter. Einen | |
Abgeordnetenbonus gibt es in Bremen Gott sei Dank nicht: Einen Krippenplatz | |
haben wir für die beiden trotz Geschwisterkind in der Kita nicht bekommen. | |
Derzeit betreut eine Tagesmutter unsere Zwillinge. Das ist völlig okay. | |
Über 700 Kinder haben derzeit keinen Platz. Woran liegt das? | |
Wir haben das Kita-System für die Ein- bis Dreijährigen geöffnet, inklusive | |
Rechtsanspruch. Es gibt nach der Geburt tatsächlich sehr wenig Vorlaufzeit | |
zur Schaffung eines benötigten Platzes. Starke Schwankungen wie bei der | |
Geburtenrate in den letzten Jahren kann unser starres System nicht | |
ausgleichen. Dafür ist die staatliche Planung zu kleinteilig und | |
langwierig. | |
Warum ist das System so starr? | |
Jeder Träger muss immer erst den Staat fragen, bevor er einen Platz | |
einrichten darf. Die Bildungsbehörde muss jeden einzelnen Kita-Platz | |
zentral planen, genehmigen und finanzieren. Auch bei großer Nachfrage | |
dürfen gemeinnützige Träger ohne Genehmigung nichts tun. | |
Investoren, Träger und Betroffene beklagen, dass die Behörde auf Anträge | |
nicht angemessen reagiere … | |
Absurdes Beispiel: Ein bremischer Träger hatte kürzlich neue Räume zur | |
Kinderbetreuung geplant, aber noch keine abschließende Genehmigung für den | |
Ausbau. Weil es dem Träger irgendwann zu lange dauerte, hat er einen Raum | |
schon mal mit weißer Farbe gestrichen. Danach kam es zum Streit. Die | |
Behörde nannte es „Fehlverhalten eines Trägers“. So bringt man den breiten | |
und schnellen Ausbau von Kitas nicht voran. | |
Hamburg hat in den letzten zwölf Jahren seine Plätze verdreifacht, von rund | |
7.300 auf 23.100. Wie? | |
Mit Hilfe des Kita-Gutscheinsystems. Das vereinfacht die Planung ungemein. | |
Der Staat trägt zwar noch die Verantwortung für die Kita-Betreuung, hält | |
sich aber aus der konkreten Ausgestaltung zurück. Die wird den Trägern | |
unter politisch bestimmbaren Maßgaben überlassen. | |
Sie haben kürzlich eine Anhörung zum Thema organisiert. Dort sprachen Sören | |
Arlt und Torsten Wischnewski-Ruschin. Arlt hat das Hamburger | |
Gutscheinsystem aufgebaut, Wischnewski-Ruschin die Einführung aus Sicht des | |
paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Berlin mitgemacht. Beide rieten zur | |
Einführung eines Gutscheinsystems. Was schließen Sie aus den Vorträgen? | |
Erstens: Es kann funktionieren. Zweitens: Es gibt viele Varianten. Das | |
System ist nicht starr, wir können uns die zu Bremen passenden und | |
funktionierenden Elemente aus dem Hamburger und Berliner Vorbild | |
zusammensuchen. Beispiel: Hamburg hat einen kleinen Anteil gewerblicher | |
Träger von Kitas. Berlin hat so etwas qua Gesetz ausgeschlossen. Es gibt | |
viel politischen Spielraum. | |
In Hamburg lief die Einführung des Systems nicht komplett reibungslos. | |
Unser Vorteil ist, dass die Hamburger 15 Jahre gebraucht haben, bis ihr | |
System so stand wie jetzt. In Berlin lief die Einführung schon wesentlich | |
geräuschloser. Aber es ist natürlich unmöglich, das System aus dem Stand | |
umzustellen und damit binnen kurzer Zeit 55 neue Kitas hervorzubringen. Wir | |
müssen den Kita-Ausbau mit den bestehenden Mitteln auf den Weg bringen – | |
gleichzeitig müssen wir jetzt eine Taskforce für die Systemumstellung | |
einrichten. Die Umstellung muss dann erfolgen, wenn Teile des Ausbaus schon | |
erledigt sind. Einen schnellen Systemwechsel gleichzeitig mit dem riesigen | |
Kita-Ausbau wird es so nicht geben. | |
Da wären Sie also bei Staatsrat Frank Pietrzok (SPD). Der sagt: „Alles, was | |
uns aufhält, ist schwierig. Ein Gutscheinsystem steht im Konflikt mit dem | |
Ausbau.“ | |
Da würde ich klar widersprechen. Wir müssen nur aufpassen, dass nicht | |
dieselben Leute für den Ausbau und für die Implementierung eines | |
Gutscheinsystems verantwortlich sind. Dafür brauchen wir zusätzliche | |
Kräfte. Außerdem müssen wir die gemeinnützigen und freien Träger | |
einbeziehen. Damit der Platzausbau gut wird, müssen wir zwei parallele | |
Prozesse bewältigen. | |
Derzeit müssen Eltern einen Antrag in ihrer Wahlkita stellen. Was würde | |
sich mit dem Gutscheinsystem ändern? | |
Die Behörde ist bei der Kita-Suche nicht mehr zwischengeschaltet. Man sucht | |
sich eine Kita und gibt dort seinen Gutschein ab. Es verschlankt den | |
bürokratischen Aufwand und Eltern können sich eine Einrichtung suchen, die | |
ihren Bedürfnissen entspricht. | |
Wolfgang Bahlmann, Geschäftsführer von Kita Bremen, bemängelt dass durchs | |
Gutscheinsystem Dienstleistungen externalisiert werden müssten, um | |
konkurrenzfähig zu bleiben. Die Betriebsräte fürchten, dass Lohnkosten | |
sinken. Zurecht? | |
Das muss man nicht in Kauf nehmen. Das neue System muss so angelegt sein, | |
dass es nicht auf Kosten der Beschäftigten geht. Ich bin bei Kita Bremen im | |
Betriebsausschuss und weiß, der Träger ist gut geführt. Der kann sich dem | |
neuen System stellen, ohne wichtige Prinzipien aufzugeben. | |
Ein weiteres Kritiker-Argument: Wenn Träger die Wahl haben, gehen sie nur | |
in wohlhabende Stadtteile. | |
Die Zahlen aus Hamburg und Berlin widerlegen das. Dort sind im | |
Gutscheinsystem viele Einrichtungen in ärmeren Stadtteilen entstanden. | |
Sozial motivierte Träger wie Wohlfahrtsverbände und Kirchen suchen gezielt | |
diese Standorte. Für den städtischen Träger in Hamburg wie in Bremen gehört | |
es zu den normalen Aufgaben. Wir überlassen die Kinderbetreuung nicht den | |
Kräften des Marktes. | |
Sören Arlt aus Hamburg sprach davon, dass gerade die gegenwärtige Lage eine | |
Chance sei: „Die Risiken sind gering, solange der Markt expandiert.“ | |
Welchen Zeitrahmen halten Sie für realistisch? | |
Wir sollten das Gutscheinsystem noch in der gegenwärtigen Ausbauphase | |
einführen. Mit einer zusätzlichen Taskforce kann man die Gutscheinlösung | |
bis in spätestens drei Jahren umsetzen. | |
23 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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