# taz.de -- Kita-Chaos in Bremen: „Lieber Park als Container“ | |
> Bremen will im kommenden Jahr 1.320 Kinder in Containern betreuen lassen. | |
> Eine gesündere Lösung wären Naturkindergärten | |
Bild: Gesünder für alle: Im Waldkindergarten sind die Kinder jeden Tag drauß… | |
taz: Frau Schulte Ostermann, Bremen will 1.000 Kinder über drei und 320 | |
Kinder unter drei Jahren in Containern unterbringen, weil es zu wenig | |
Kindergartenplätze gibt. | |
Ute Schulte Ostermann: Oh, wie furchtbar. | |
Sonst müssten sie ganz zu Hause bleiben. | |
Als wäre dies das Schlimmste, was einem Kind passieren kann! Verstehen Sie | |
mich nicht falsch, ich finde es richtig, dass der Staat Eltern unterstützt, | |
wenn sie eine Betreuung wünschen oder brauchen. Aber das, was gerade | |
passiert, diese Massenabfertigung, wo es nur noch darum geht, so viele | |
Kinder so lange wie möglich außerhalb ihrer gewohnten Umgebung | |
aufzubewahren – das ist doch kein gesundes Aufwachsen mehr. | |
Mutti sollte zu Hause bleiben? | |
Oder Vati. Ich finde es traurig, dass viele Eltern weniger Zeit mit ihren | |
Kindern verbringen können als sie möchten, weil beide Vollzeit arbeiten | |
müssen, da das Geld sonst nicht ausreicht. Aber darum geht es mir nicht. | |
Ich finde diese Haltung nicht richtig, nach der bildungsferne Eltern | |
möglichst von ihren Kindern fern gehalten werden sollen, damit sie nur | |
nichts Falsches lernen. Viel besser wäre es, mit den Eltern zu arbeiten, | |
sie zu stärken. Zum anderen geht es mir um die Qualität der Betreuung – und | |
die kann in Einrichtungen mit so vielen Kindern einfach nicht gut sein. | |
Warum nicht? | |
Kinder unter drei Jahren brauchen ein direktes Gegenüber, mit dem sie | |
interagieren können. In so einer dialogischen Kultur lernen sie das | |
Miteinander. Wenn Kinder alleine entscheiden können, dann suchen sich die | |
meisten ein oder zwei andere zum Spielen. In großen Gruppen von 20 und mehr | |
Kindern ist das nicht einfach. Sie werden gestört, oft gehen auch die | |
Erwachsenen dazwischen und sagen, spielt mal mit der, die ist ganz allein. | |
Das andere Problem sind gesundheitliche Belastungen. Laut der Techniker | |
Krankenkasse haben Erzieherinnen überdurchschnittlich hohe Fehlzeiten wegen | |
psychischen Krankheiten und Atemwegserkrankungen. Eine Ursache ist der hohe | |
Lärmpegel. Wie sich der auf Kinder auswirkt, hat noch niemand untersucht. | |
Aber was soll Bremen tun? | |
Es gibt doch Alternativen zur Massenunterbringung! Wenn Sie in Bremen genug | |
Parkflächen und Schrebergärten haben, dann können sie in kürzester Zeit | |
Park- und Naturkindergärten einrichten. | |
Was braucht es dafür? | |
Normalerweise gründen Eltern selbst einen Verein für solche Einrichtungen. | |
Aber wenn Sie das in großem Stil machen wollen, brauchen Sie einen Träger, | |
der dies konzipiert. Für jede Gruppe brauchen Sie einen Bauwagen, eine | |
Hütte oder zur Not einen Container, in welchem sich die Kinder bei | |
schlechtem Wetter aufhalten oder sich ausruhen können. Das ist garantiert | |
kindgerechter und kostengünstiger als das, was Bremen jetzt plant. | |
Was ist mit Toiletten? | |
Da gibt es die unterschiedlichsten Lösungen: Von der Schaufel über | |
transportable Sitze bis zu Kompost-Toiletten. Das ist das geringste | |
Problem. Das schwierigste wird sein, Erzieher und Erzieherinnen zu finden, | |
die gerne draußen arbeiten. | |
Meinen Sie nicht, dass es viele gibt, die froh wären, raus zu kommen? | |
Nach meiner Erfahrung gibt es nicht so viele, die so Outdoor-begeistert | |
sind. Aber das trifft ja auch auf die meisten Eltern zu, die können sich | |
auch erst nicht vorstellen, dass ihre Kinder den ganzen Tag draußen sind. | |
Erst wenn sie erlebt haben, wie begeistert die Kinder sind. | |
Viele Kinder bleiben selbst gerne im Warmen. | |
Ich glaube, dass sich fast alle Kinder von Natur aus gerne draußen | |
aufhalten. Es gibt da einfach sehr viel zu entdecken. Aber klar, wir sind | |
eine Drinnen-Kultur, das überträgt sich auf die Kinder. | |
Was ist der Vorteil von Natur- oder Waldkindergärten? | |
Die Kinder können sich kindgerecht entwickeln – in dem Sinne, wie ich es | |
eingangs geschildert habe. Sie haben Platz, sich zurückzuziehen, sie müssen | |
nicht ständig ihre Ellenbogen einsetzen. Dann ist die Puppen- oder Bauecke | |
nicht von anderen Kindern besetzt – sondern wird in einem anderen Teil des | |
Reviers aufgebaut. Das entspannt auch die Erzieherinnen, die nicht | |
permanent Streit schlichten und gestresste Kinder beruhigen müssen. Und die | |
Kinder lernen mit allen Sinnen. Das ist Bildung, die sie mit den tollsten | |
Lernprogrammen, am besten noch Smartphone-gestützt, nicht in die Kinder | |
hinein bekommen werden. Sie verknüpfen Informationen auf eine Weise | |
miteinander, wie es nur gelingt, wenn alle Sinne beteiligt sind, das haben | |
die Neurowissenschaften bestätigt. | |
Dafür verletzen sie sich häufiger. | |
Im Gegenteil. In Waldkindergärten passieren wesentlich weniger Unfälle als | |
in konventionellen Kitas, nach Auskunft unserer Gemeindeunfallversicherung. | |
Das liegt daran, dass die Kinder ihren Körper auf dem unebenen Waldboden | |
viel besser trainieren können und nachgewiesenermaßen geschickter sind. | |
Und das Spielzeug? | |
Kindergärten sind viel zu vollgestopft mit Spielzeug, das stresst Kinder. | |
Beobachten Sie mal, womit Kinder am längsten spielen. Das sind die Sachen, | |
die ihre Fantasie anregen, die offen für Gestaltungsmöglichkeiten sind. Das | |
können Alltagsgegenstände sein, denen sie eine neue Bedeutung geben. Im | |
Wald spielen sie mit dem, was sie finden, sie lernen, mit Werkzeug | |
umzugehen, sie sägen und schnitzen und können schöpferisch wirken – das ist | |
für Kinder das Größte. | |
Und abends müssen sie geduscht werden. | |
Und nach Zecken abgesucht werden, richtig. Dafür, auch das zeigen Studien, | |
sind sie gesünder. | |
Kindergärten sind nicht die hygienisch unbedenklichsten Orte … | |
Nein, aber alle Vorschriften orientieren sich an ihnen. Die Natur- und | |
Waldkindergärten liefen bisher immer irgendwie so mit. | |
Das heißt, die Behörden könnten die größten Bremser für Natur- und | |
Waldkindergärten sein? | |
Nach meiner Erfahrung ist die Zusammenarbeit mit den Behörden meistens gut. | |
Ich wünsche Ihnen in Bremen, dass sich die Kommune auf so etwas einlässt. | |
Mir macht das wirklich Sorge, was wir Kindern zumuten. Alle reden immer | |
darüber, wie Eltern ihren Kindern schaden, weil sie sie angeblich nicht | |
genügend fördern, aber niemand spricht darüber, was in lauten engen | |
Kindergärten passiert, mit überarbeiteten, überforderten, schlecht | |
bezahlten ErzieherInnen, die oft trotz bester beruflicher Qualifikation nur | |
noch Schadensbegrenzung betreiben können. | |
23 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
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