# taz.de -- Vor der Wahl in Berlin: Michael Müller auf Tauchstation | |
> Berlins Regierender Bürgermeister und Kultursenator setzt auf die | |
> Globalisierung der Theater. Darüber will er im Wahlkampf aber nicht | |
> reden. | |
Bild: Michael Müller (SPD) und Chris Dercon wollen Berlin endlich internationa… | |
BERLIN taz | Michael Müller (SPD), Berlins Regierender Bürgermeister, zieht | |
auf seiner Wahlkampftour die drei immer gleichen Themen aus dem Köcher: | |
Wohnungsbau, Berlin als wachsender Arbeits- und Wirtschaftsstandort und die | |
Chancen der Integration. Es sind Müllers Lieblingsthemen. Müllers SPD kommt | |
in Umfragen gerade auf Werte zwischen 21 und 24 Prozent, deutlich weniger, | |
als sein Vorgänger Klaus Wowereit 2011 gewinnen konnte. | |
Wenig ist im Wahlkampf dagegen in Sachen Kultur zu vernehmen, obwohl der | |
Regierende Bürgermeister auch als Kultursenator amtiert und sich das Thema | |
eigentlich aufdrängen müsste. Berlin ist der Hotspot der großen kulturellen | |
Institutionen in der Republik. Die Bühnen, Museen und Gedenkstätten | |
verzeichnen jährlich Besucherzahlen in zweistelliger Millionenhöhe. In der | |
Stadt leben über 10.000 Künstlerinnen und Künstler. 200.000 Menschen | |
arbeiten in der Kulturwirtschaft; sowohl in aufstrebenden Branchen als auch | |
in prekären Dimensionen. Gerade für diese wären kulturpolitische | |
Perspektiven oder mehr Fördermittel besonders wichtig. Doch Müller ist auf | |
Tauchgang. | |
Dass der Regierende dazu im Wahlkampf schweigt, verorten | |
Oppositionspolitiker wie Wolfgang Brauer (Linke) oder die Grüne Sabine | |
Bangert, beide kulturpolitische Sprecher ihrer Fraktionen, in Müllers | |
Paradigmenwechsel hin zum globalen Kulturmarketing. | |
Während Müllers Vorgänger Wowereit mit offenem Visier für seine kulturellen | |
Interessen stritt, engagiert sich Müller wenig öffentlichkeitswirksam und | |
kommunikativ. Schlimmer noch: Müller und sein Kulturstaatssekretär Tim | |
Renner verhandeln die Dinge lieber in „intransparenten Verfahren“, wie die | |
Grünen am Beispiel der heimlichen Neubesetzung der Volksbühnen-Intendanz | |
und der Umstrukturierung des Theaters ab 2017 monierten. | |
Bis heute gilt die Einwechselung von Chris Dercon als Ersatz für den | |
Noch-Intendanten Frank Castorf als Skandal in der Berliner | |
Theaterlandschaft, die sich deswegen nicht beruhigen will. Claus Peymann, | |
Direktor des Berliner Ensembles (BE), und die Mitarbeiter der Volksbühne | |
verlangen eine Revision der Intendantenberufung. | |
Für Müller und den hippen Exmusikmanager Renner bedeutet die Kritik aber, | |
dass die alten Theatermänner und Strukturen sich überlebt haben. Am | |
Beispiel Volksbühne lässt sich nachzeichnen, was beide eigentlich mit der | |
Berliner Kultur im Sinn haben. | |
Dercon, Chef der Londoner Tate Modern, soll aus dem Noch-Castorf-Haus ein | |
mehrspartiges, internationales Bühnen-Kunst-Event-Produkt mit Theater, | |
Tanz, Musik, Performances machen – einen „Eventschuppen“, wie Peymann | |
polterte. Ähnliches hat Paul Spies, neuer Intendant für den Berlin-Teil im | |
Humboldt-Forum, für den Ausstellungssektor dort vor. Und das BE führt ab | |
2017 Oliver Reese, bekannt für publikumswirksame Produktionen. | |
Das alles muss nicht nur schlecht sein, demonstriert aber den | |
Bedeutungswandel spezifischer Berliner Kulturpolitik hin zu einem | |
Stadtmarketing-trächtigen, repräsentativen Akzent, hin zu „Weltoffenheit | |
und Internationalität“, wie Müller selbst sagt. Ähnlich agiert die | |
Kulturpolitik des Bundes in Berlin. | |
## „Nichts ist erledigt!“ – 18,1 Millionen Euro sind nötig | |
Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) spendierte 2015 Berlin unter | |
anderem 200 Millionen Euro für den geplanten Neubau des Museums der Moderne | |
und weitere 28,1 Millionen für den Erweiterungsbau für das Bauhaus Archiv. | |
Zudem berief Grütters den Ausstellungsstar Neil MacGregor als | |
Gründungsintendant für das Humboldt-Forum am Schlossplatz. Müller betont | |
stets, dass er diesen Einfluss nicht als Konkurrenz empfindet – sondern als | |
Unterstützung seiner Haltung. | |
Dass dies aus Sicht des regierenden Kultursenators keine Themen für den | |
Wahlkampf sind, scheint evident. Es gibt in Berlin zudem | |
Kulturinstitutionen genug, die mit Wohlwollen sehen, was Müllers | |
SPD-CDU-Koalition an kulturellem Mehrwert so geschafft hat. Müller und | |
Renner haben den Kulturhaushalt seit 2014 um 80 Millionen auf 485 Millionen | |
Euro bis 2017 erhöht. Der Senat jedoch gibt den Löwenanteil des Geldes für | |
seine repräsentativen Häuser aus. Nur Brosamen gibt es für die freie Szene. | |
Daran erinnerte jetzt das Bündnis „Koalition der freien Szene“ den | |
Regierenden noch einmal lautstark. Unter dem Motto „Nichts ist erledigt!“ | |
mahnt Christophe Knoch, Sprecher des Künstlerverbands, eine bessere | |
finanzielle Unterstützung der Szene an, die unter „schlechten | |
Arbeitsbedingungen“, „Selbstausbeutung“ und „Verdrängung“ aus ihren | |
sozialen Milieus leide. Insgesamt seien zusätzliche Gelder in Höhe von 18,1 | |
Millionen Euro nötig – mehr als doppelt so viel wie die von Müller | |
versprochenen jährlichen 7,5 Millionen. | |
Knoch fordert auch das Ende der Personalunion von Regierungschef und | |
Kultursenator. Diese hatte Wowereit im Jahr 2006 begonnen. Weil Müller und | |
Renner die Berliner Kulturtraditionen weiter dekonstruiert haben, plädiert | |
die Szene für ein starkes eigenständiges Kulturressort. | |
Müller geht auch diesem Thema aus dem Weg. Ob er als Kultursenator | |
weitermachen will oder nicht, weiß man nicht. Auf einem Kulturempfang der | |
Sozialdemokraten Ende August bekräftigte er, er könne sich in der nächsten | |
Legislaturperiode vorstellen, das „Kulturressort beim Regierenden | |
Bürgermeister zu belassen“. „Denkbar“ sei aber auch ein „eigenes Resso… | |
Klare Ansagen sehen anders aus. | |
11 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Rolf Lautenschläger | |
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