# taz.de -- Niedergang der Piratenpartei: Abschied in die Bedeutungslosigkeit | |
> Mit Marina Weisband haben die Piraten eines ihrer bekanntesten Mitglieder | |
> verloren. Doch zur Berlin-Wahl bekommen sie unerwartete Hilfe. | |
Bild: „Die Partei hat sich nicht zum Positiven verändert“: Ex-Piratin Weis… | |
BERLIN taz | Die AfD wird ziemlich sicher auch ins Berliner | |
Abgeordnetenhaus einziehen. Wer Protest wählt, wählt die Rechtspopulisten. | |
Muss das sein? Kurz vor der Landtagswahl am 18. September hat der | |
Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) eine Alternative für | |
Protestwähler vorgeschlagen: die Piraten. „Es wäre mir lieber, weiterhin | |
eine Handvoll Piraten im Abgeordnetenhaus zu haben, als eine Fraktion von | |
Rechtspopulisten, deren Programm es ist, Menschen gegeneinander | |
auszuspielen“, sagte Müller der taz. | |
Als die Piratenpartei vor fünf Jahren ins Berliner Landesparlament einzog, | |
war das eine Sensation. Da war plötzlich eine Partei, die anders war als | |
die anderen. Die jung war und frech. Die ein Gefühl dafür hatte, wie das | |
Internet die Gesellschaft ändert und die überzeugt davon war, dass es für | |
diese Ära neue Konzepte braucht. Eine Partei, die den hohen Anspruch hatte, | |
die Demokratie neu zu erfinden. | |
Jetzt ist Ernüchterung eingekehrt. Wie die gesamte Partei, die an diesem | |
Samstag ihr zehnjähriges Bestehen feiert, hat sich auch die Berliner | |
Fraktion komplett zerstritten. Die Hälfte ihrer Mitglieder ist aus der | |
Piratenpartei ausgetreten, manche machen jetzt in anderen Parteien weiter. | |
Auch die Bundespartei hat mit Marina Weisband eines ihrer letzten bekannten | |
Gesichter verloren. Die ehemalige politische Geschäftsführerin der Piraten | |
hat bereits vor einem Jahr heimlich der Partei den Rücken gekehrt. Das | |
sagte sie jetzt der taz. | |
Dem neuen Landesparlament wird die Piratenpartei wahrscheinlich nicht | |
angehören. In den jüngsten Umfragen steht sie so schlecht da, dass sie gar | |
nicht ausgewiesen wird. Es spricht viel dafür, dass in Berlin, wo der | |
Piratenboom begann, auch der Abschied in die politische Bedeutungslosigkeit | |
eingeläutet wird. In Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und dem | |
Saarland, wo auch Piraten in den Landesparlamenten sitzen, wird im | |
kommenden Jahr gewählt. | |
## „Das Label Piraten ist verbrannt“ | |
Politisch mag Müller den Piraten keine großen Erfolge zuschreiben, aber die | |
Piraten hätten der Landespolitik viele kuriose Momente beschert. „Ich | |
glaube, es hat vorher nie einen Redner in kurzen Hosen am Pult des | |
Abgeordnetenhauses gegeben“, sagte Müller. | |
Auch Ramona Pop, Fraktionsvorsitzende und Spitzenkandidatin der Grünen, | |
verweist darauf, dass nun die AfD ins Parlament einzuziehen drohe: „Im | |
Vergleich dazu werden wir alle die Positionen vermissen, die uns Grüne und | |
Piraten verbunden haben.“ Sie denke da an ihren Einsatz für mehr | |
Bürgerbeteiligung, mehr Digitalisierung und weniger Chaos in den | |
Bürgerämtern. | |
Der Vorsitzende der Berliner Linkspartei Klaus Lederer lobt die Piraten für | |
ihren „großen Verdienst, das Bewusstsein für die Anforderungen an eine | |
freie, offene, digitalisierte Gesellschaft geschärft, in manchen Bereichen | |
gar erst geschaffen“ zu haben. „Das wird bleiben“, sagt Lederer. Vermissen | |
werde er die Piraten aber nicht. Denn viele seien ja zur Linken | |
übergelaufen. „Das ist gut, denn ihre Kompetenz ist unverzichtbar“, sagt | |
Lederer. | |
Marina Weisband begründet ihren heimlichen Parteiaustritt damit, sie der | |
Partei nicht habe schaden wollen. Als Begründung für den Schritt führt sie | |
im taz-Gespräch in Münster eine Entfremdung an: „Die Partei hat sich nicht | |
zum Positiven verändert“, sagt die 28-Jährige. Zudem sei ihr politische | |
Neutralität bei ihrem neuen Projekt wichtig. | |
Ein Comeback schließt Weisband nicht aus: „Vielleicht gehe ich eines Tages | |
wieder in die Politik.“ Sie müsste sich dafür aber eine neue Partei suchen. | |
Denn: „Das Label Piraten ist verbrannt“, sagt sie. Nachdem der progressive | |
Flügel aus der Partei vertrieben worden sei, seien dort nur noch viele | |
konservative Menschen, „die das Internet in den Grenzen von 1990 wollen“. | |
## Mitbestimmung für Schüler | |
Weisband will jetzt in dem von der Bundeszentrale für politische Bildung | |
geförderten „Aula“-Projekt Online-Beteiligung in die Schulen bringen. An | |
vier Orten wird derzeit erprobt, wie Schüler sich mit einer eigens | |
entwickelten Software mitbestimmen können. Weisband will so nebenbei den | |
Beweis antreten, dass verbindliche Online-Beteiligung funktioniert. Die | |
Piraten sprachen zwar viel von „Liquid Democracy“, haben diese Mischung aus | |
direkter und repräsentativer Demokratie aber nie richtig eingeführt. | |
Sie bereue ihre Zeit bei den Piraten nicht, sagt Weisband. Dürfte sie in | |
Berlin wählen, würde sie auch noch einmal bei der Piratenpartei ihr Kreuz | |
machen. Denn der Berliner Landesverband sei anders als die Bundespartei. | |
„Ich wünsche den Piraten, dass sie nochmal reinkommen“, sagt Weisband. | |
„Gestaltender Populismus ist wichtig.“ | |
Sie wurden belächelt und als Revoluzzer gefeiert. Fünf Jahre nach dem | |
Einzug ins erste Parlament droht der Piratenpartei nun die | |
Bedeutungslosigkeit. Was bleibt von den Piraten? Die Reportage „Die letzte | |
Utopie“ von Sebastian Erb und Martin Kaul lesen Sie in der [1][taz.am | |
wochenende vom 10./11. September]. | |
9 Sep 2016 | |
## LINKS | |
[1] /Ausgabe-vom-10/11-Sept-2016/!162844/ | |
## AUTOREN | |
Sebastian Erb | |
Martin Kaul | |
Paul Wrusch | |
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