# taz.de -- Muslimin über Ausgrenzung: „Wie eine Reise ins Mittelalter“ | |
> Sie kämpft gegen antimuslimischen Rassismus. Hatice Durmaz über | |
> salonfähigen Hass, Rechtspopulisten und Anfeindungen in Universitäten. | |
Bild: Nicht Islamikritik, sondern antimuslimischer Rassismus: Pegida-Demonstrant | |
taz: Frau Durmaz, was hat Sie vor zwei Jahren dazu bewegt, den „Tag gegen | |
antimuslimischen Rassismus“ ins Leben zu rufen? | |
Hatice Durmaz: Wir wollen damit an die Ermordung der Pharmazeutin Marwa | |
El-Sherbini erinnern, die am 1. Juli 2009 mit ihrem ungeborenen Kind im | |
Dresdener Landgericht von dem Rechtsextremisten Alexander Wiens mit 18 | |
Messerstichen ermordet wurde. Es war zu einer Gerichtsverhandlung gekommen, | |
weil der Täter Marwa El-Sherbini zuvor aufgrund ihres Kopftuchs als | |
„Islamistin“ und „Terroristin“ beschimpft hatte. Leute wie sie hätten … | |
Deutschlands nichts zu suchen, sagte er. Das Verbrechen besitzt für uns | |
Symbolcharakter, weil es den bisherigen Höhepunkt in der Entwicklung einer | |
neuen Facette der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit darstellt, eines | |
spezifisch gegen Muslime gerichteten Rassismus. | |
Der Mord hat zu großer Verunsicherung und Angst unter den Muslimen geführt, | |
vor allem aufgrund der fehlenden Anteilnahme der Öffentlichkeit.Mit dem Tag | |
möchten wir auf das Phänomen aufmerksam machen und den Kampf gegen | |
antimuslimischen Rassismus und andere menschenfeindliche Einstellungen und | |
Ideologien unterstützen. | |
In welcher Form tun Sie das? | |
Wir organisieren an verschiedenen Hochschulen Informationsveranstaltungen | |
und Ausstellungen zu diesem Thema. Daran beteiligen sich verschiedene | |
Initiativen. | |
Hat antimuslimischer Rassismus zugenommen? | |
Der antimuslimische Rassismus ist heute salonfähig und wird aus der Mitte | |
der Gesellschaft getragen. Unter dem Deckmantel der „Islamkritik“ wird er | |
weiter geschürt, was den Boden auch für physische Übergriffe auf Muslime | |
oder muslimische Einrichtungen bereitet. 24 Angriffe auf Moscheen allein in | |
diesem Jahr sprechen eine deutliche Sprache, und auch Übergriffe gegen | |
Muslime oder Menschen, die dafür gehalten werden. Die Debatte über den | |
Islam und die Muslime in Deutschland wird schonungs- und verantwortungslos | |
geführt. Etwas weniger „Islamdebatte“ und weniger „Islamkritiker“ tät… | |
als Gesamtgesellschaft gut. | |
Was hat sich mit Gründung von Pegida und der AfD geändert? | |
Jetzt wird wieder über die Frage diskutiert, ob der Islam zu Deutschland | |
gehört. Das fühlt sich, ehrlich gesagt, wie eine Reise zurück ins | |
Mittelalter an. Von solchen radikalen Strömungen werden | |
Selbstverständlichkeiten in Frage gestellt, und wir drehen uns in der | |
Debatte immer wieder im Kreis. Aber das Gute ist: Pegida und die AfD haben | |
die andere Seite der Gesellschaft sichtbar gemacht. Es gibt jetzt | |
Widerstand gegen solche radikalen Strömungen. Jener Teil der Gesellschaft, | |
der sich für ein Miteinander ohne Hass und Rassismus einsetzt, der ist | |
heute sichtbarer als früher. | |
Begegnet Ihnen antimuslimischer Rassismus auch an Universitäten? | |
Mehrmals schon wurden Gebetsteppiche in Brand gesetzt, und Schmierereien | |
wie „Muslime gehören vergast“ sind keine Seltenheit. Auch abwertende | |
Äußerungen seitens des Lehrpersonals kommen uns zu Gehör. Dazu gibt es auch | |
eine Studie der Universität Osnabrück, die das untersucht hat. Anfeindungen | |
erleben wir aber nicht nur durch rechte Gruppen, sondern auch von linker | |
Seite, durch die sogenannten „Antideutschen“. | |
Einige deutsche Universitäten haben in diesem Jahr ihre Gebetsräume für | |
Muslime schließen lassen, weil es wie in Dortmund zu Konflikten kam, oder | |
sie begründen das, wie in Berlin, mit ihrer religiösen „Neutralität“. Wie | |
sehen Sie das? | |
Wir brauchen Universitäten, an denen sich Menschen in all ihrer | |
Unterschiedlichkeit wohl fühlen, wo sie sich begegnen und etwas lernen | |
können. Das einzelne Studenten sich erlauben, anderen vorzuschreiben, wie | |
sie sich zu verhalten haben, oder die Nutzungsordnung von Gebetsräumen | |
nicht einhalten, ist nicht akzeptabel. Aber so manche Schlagzeile über die | |
Vorfälle in Dortmund war falsch, und hat einmal mehr alles „Muslimische“ | |
zum Generalproblem gemacht. Ich denke, dass die Debatte um die Schließung | |
des Raumes in Dortmund deswegen auf fruchtbaren Boden fiel, weil es die | |
Debatte um die Vorfälle in der Silvesternacht zu Köln gab. | |
Was wir auch sehen ist, dass die Berufung auf eine angebliche Neutralität | |
letztlich zu einer Ausgrenzung von Religion aus dem öffentlichen Raum | |
führt. Das widerspricht dem Grundgesetz, das Neutralität eigentlich nicht | |
als Ausschluss von Religion versteht. Dabei hat das | |
Bundesverfassungsgericht mehrfach deutlich gemacht, dass Neutralität als | |
„eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse | |
gleichermaßen fördernde Haltung“ zu verstehen ist. Deswegen lehnen wir die | |
Schließung von Gebetsräumen an deutschen Universitäten ab. Damit macht man | |
sich ein laizistischen Verständnis der Trennung von Religion und Staat zu | |
eigen, das in Frankreich gerade Schiffbruch erleidet. | |
Sie sind Präsidentin des Rats muslimischer Studierender und Akademiker. Was | |
macht der Rat? | |
Ähnlich wie evangelische und katholische Hochschulgruppen, vertritt er die | |
Belange muslimischer Studierender und bietet eine Plattform für Themen, die | |
uns bewegen. Wir organisieren Bildungsreisen, Seminare, Vorträge und | |
Diskussionen zu gesellschaftspolitischen Themen. Wir wirken gegen | |
extremistische Ideologien und die Herabsetzung von Menschen jeder Art, | |
gegen Rassismus und Antisemitismus und andere Formen der Ausgrenzung und | |
engagieren uns nicht nur im muslimisch-christlichen, sondern gerade auch im | |
muslimisch-jüdischen Dialog. Wir verstehen uns aber nicht als spezifisch | |
religiöser Verband im Sinne einer Religionsgemeinschaft, uns geht es als | |
muslimische NGO um das Empowerment von jungen Muslimen, die Bündelung der | |
Kompetenzen und dadurch den positiven Beitrag für unsere Gesellschaft. | |
1 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
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