# taz.de -- Muslime in Dresden: Vom Leben in der Defensive | |
> Nach dem Mord an Marwa El-Sherbini mühten sich die Muslime Dresdens um | |
> ein besseres Verhältnis zu ihrer Umgebung. Doch dann kam Pegida. | |
Bild: Nein, das ist nicht die Haupt-Moschee von Dresden, sondern die ehemalige … | |
DRESDEN taz | An jenem Morgen vor bald zwei Jahren sollte Khaldun Al Saadi | |
die Moschee seiner eigenen Gemeinde herzeigen. Doch da wurde gebaut. Also | |
ging der Sprecher des Islamischen Zentrums in Dresden zur Fatih-Moschee in | |
Dresden-Cotta. Die Gemeinde ist mit seiner befreundet, sie ließ Al Saadi | |
seine Führung dort machen. Er schloss auf, führte eine Schulklasse herum | |
und erzählte ihr vom Islam. Über die Reste eines verkohlten Korans vor der | |
Eingangstür sah er hinweg. Er habe, sagt er, damals nicht glauben können, | |
was er gesehen hatte. | |
Was heute geschieht, ist nicht zu übersehen. Auch nicht wenn, wie an diesem | |
Abend zwei Tage vor Weihnachten, die weltberühmte Semperoper ihre | |
Außenbeleuchtung abgeschaltet hat. Normalerweise erhellen Strahler die | |
Fassade. Jetzt will die Oper durch ihre Kulisse nicht noch adeln, was sich | |
vor ihr auf dem Theaterplatz abspielt. Al Saadi steht am Rand, das Hemd | |
blütenweiß, die Haare gegelt, das Jackett gedeckt. „Sachsen“, sagt Khaldun | |
Al Saadi, „ist meine Heimat“. 1989 ist er in Karl-Marx-Stadt geboren, der | |
Vater kam aus dem Jemen in die DDR. 2008 Abitur, heute studiert er | |
Kommunikationswissenschaft in Leipzig. Wenn es nach ihm geht, soll sich | |
sein Leben auch künftig hier abspielen. „Aber nicht, wenn mir jede Woche | |
zehntausend Menschen auf der Straße grölend erklären, dass ich nicht | |
hierher gehöre.“ | |
Als er ihnen das erste Mal zugesehen hat, Anfang November, waren es wenige, | |
1000 vielleicht. Er wusste, dass es dabei nicht bleiben würde. „Ich bin die | |
Generation 9/11“, sagt Al Saadi. Am Tag des Anschlags auf das World Trade | |
Center war er in der fünften Klasse, „aber mit dem Verdacht lebe ich | |
seitdem“. Der Verdacht lautet, dass der Grat zwischen seiner Religion, dem | |
Islam, und dem Fundamentalismus schmal ist. Zu schmal. Und dass Muslime | |
deshalb irgendwie gefährlich sind. Dafür steht Pegida. Menschen vom | |
Gegenteil zu überzeugen, ist Al Saadis Aufgabe. | |
17.500 Menschen sind heute zur zehnten Pegida-Demo gekommen, schätzt die | |
Polizei, so viele wie noch nie. Sie stimmen sich mit „Wir sind das | |
Volk“-Rufen ein, die Wände des Residenzschlosses werfen den Schall zurück, | |
der aufziehende Sturm dünnt ihn aus. Der Organisator Lutz Bachmann hat sich | |
auf der Mitte des Platzes neben der König-Johann-Statue postiert, einen | |
Baustellenscheinwerfer an sein Rednerpult geklemmt und einen kleinen | |
Plastikweihnachtsbaum mit Neonlicht daraufgestellt. Zum Aufwärmen verteilt | |
er die Negativpreise der Woche an die „Lügenpresse“. Platz drei: Sächsisc… | |
Zeitung. Platz zwei: Spiegel TV. Platz eins: RTL. Jedes mal, wenn der Name | |
eines Mediums fällt, buht die Menge, als zähle Bachmann islamistische | |
Milizen auf. | |
Und dann: „Auch heute sind wieder Parteivorsitzende hierhergekommen, um | |
unsere Bewegung zu vereinnahmen.“ Die patriotischen Europäer heulen, dass | |
der Sturm für einen Moment zu schweigen scheint. Die „Systemparteien“ mög… | |
sie nicht, mit der „Lügenpresse“ reden sie nicht. Miteinander schon. „Ich | |
versteh‘ gar nicht, was wir hier machen, wir sollten bei den Kanaken vor | |
der Tür demonstrieren, dann kapieren die das auch“, sagt ein Jungpatriot. | |
„Habt ihr den Özdemir“ – sie meinen den Grünen-Vorsitzenden – „geh�… | |
der für eine Scheiße gelabert hat? Dem müsste man die Fresse polieren“, | |
sagt ein anderer. Eine Gruppe hat ein Plakat mit der Aufschrift „Deutsch | |
und frei, das wollen wir sein. Sachsenjugend“, mitgebracht. Als der als | |
Neonazi verschriene Leipziger Ex-Bundespolizist Stephane Simone bei seiner | |
Rede die Linken-Abgeordnete Juliane Nagel eine „blöde stalinistische Fotze“ | |
nennt, klatschen die Leute. | |
## Sie singen "Stille Nacht" | |
Dann singen sie „Stille Nacht“. Der Wind weht die leeren Glühweinbecher | |
durch die Luft und drückt die leuchtenden Neon-Kreuze, die einige der | |
Pegidisten in den Händen halten, nach hinten. „Das tut einem ja in der | |
Seele weh“, sagt Al Saadi. „Das sind schöne, spirituelle Lieder. Aber die | |
feiern hier nur Weihnachten, um dem Islam etwas entgegenzustellen.“ | |
Die sächsische Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) hat nach Beginn | |
der Pegida-Demonstrationen das Islamische Zentrum besucht. „Das war für uns | |
ein wichtiges Signal des Vertrauens“, sagt Al Saadi. Und am 9. Dezember, da | |
waren 9000 Menschen auf der Gegendemo des Bündnisses „Dresden für alle“, … | |
dem auch das Islamische Zentrum beteiligt ist. Al Saadi twitterte: „Ich bin | |
so stolz auf Dresden.“ Vielleicht so wie jetzt. An der Wand der Semperoper | |
erscheint eine Projektion: „Menschenrechte sind nicht teilbar – Dresden für | |
alle.“ Al Saadi war eingeweiht, aufgeregt tritt er von einem Bein auf das | |
andere. Aber: Stolz auf Dresden? „Pegida ist nicht Dregida“, sagt er. Viele | |
Demonstranten kämen von außerhalb. „Aber Dresden ist der optimale Standort, | |
wenn man so was machen will.“ Es gebe hier nur wenige Muslime, 4000 schätzt | |
er. „Muslimische Infrastruktur ist hier schwach ausgeprägt. Weil man sich | |
im Alltag nicht begegnet, kann man nicht übereinander reflektieren.“ | |
Stattdessen gebe es im Netz salafistische und muslimfeindliche Seiten. „Das | |
vergiftet das Zusammenleben.“ | |
Ist Pegida nicht eher ein sächsisches Phänomen, weil die Gegend so | |
konservativ ist? Al Saadi schaut durch seine Brillengläser, als habe er | |
diese Erklärung gerade zum ersten Mal gehört. Er sucht nach einer | |
diplomatischen Erwiderung. „Interessante Hypothese“, sagt er dann. Aber | |
nein, es sei „in meinen Augen primär ein mangelnder Kontakt im Alltag“. | |
## Aufeinander zugehen | |
Seit Jahren bemühen sich die Muslime in Dresden darum, diesen Kontakt zu | |
intensivieren. Am 1. Juli 2009 wurde die ägyptische Muslima Marwa | |
El-Sherbini während einer Verhandlung im Landgericht Dresden erstochen. Ihr | |
Mörder stand an jenem Tag vor Gericht, weil er die kopftuchtragende | |
El-Sherbini zuvor als „Islamistin“ und „Terroristin“ beschimpft hatte. … | |
Mord war eine Zäsur für die Zivilgesellschaft in der Stadt. „Man hat sich | |
danach bemüht, stärker aufeinander zuzugehen“, sagt Al Saadi. | |
Eine halbe Million Einwohner hat Dresden, drei Moscheegemeinden. „Moscheen | |
der Mitte“, sagt Al Saadi. Der Stipendiat der Böll-Stiftung isst kein | |
Schwein, trinkt keinen Alkohol, betet fünf Mal am Tag. Doch als vor zwei | |
Jahren Salafisten in der Innenstadt Koranexemplare verteilen wollten, | |
wandten er und seine Gemeinde sich öffentlich gegen die Aktion. Die | |
Verteiler seien junge Muslime, die glaubten „nach einer Überdosis | |
Online-Fatwa-Videos über Nacht zu ,Gelehrten‘ zu werden“, schrieb er | |
damals. Sie wollten „keinen konstruktiven Dialog mit der | |
Mehrheitsgesellschaft“, sagt er heute. | |
Genau damit versucht er, Pegida entgegenzutreten. „Es bringt nichts, als | |
’die Anderen‘ im Diskurs zu stehen“, sagt er. Er erzählt von den Plänen | |
seiner Gemeinde für Deutschkursen für Asylbewerber, der offenen Bibliothek, | |
den Tagen der offenen Moschee, den Lehrerworkshops, den interkulturellen | |
Trainings, der Ausstellung zu Integration, der Arbeit mit dem Ausländerrat. | |
„Wir müssen zivilgesellschaftlich an Lösungen arbeiten. Aber man müsste | |
hier schon zur Berufsminderheit werden, um den Bedarf zu decken.“ | |
## Ständige Rechtfertigung | |
Es ist der ehrenwerte, vielleicht verzweifelte Versuch, dem Irrsinn der | |
Pegidisten mit ihren Deutschlandfahnen, ihren Weihnachtsliedern, ihrem Hass | |
und ihrer Angst vor der Islamisierung ein rationales gesellschaftliches | |
Angebot, eine soziale Verhandlungslösung entgegenzusetzen. Zugleich ist es | |
Ausdruck eines Lebens in der ständigen Defensive, unter | |
Rechtfertigungsvorbehalt: Wir gehören doch hierher. Wir sind doch | |
konstruktiv. Wir passen uns doch ein. Wieso wollt ihr uns nicht? | |
Der Super-Gau für die Integrationsbemühungen kam am 30. September. Das | |
ZDF-Magazin Frontal 21 berichtete, dass zwei junge deutsche Konvertiten aus | |
dem Erzgebirge während des Ramadan im Islamischen Zentrum gebetet hatten, | |
bevor sie nach Syrien aufgebrochen waren. In jenen Tagen war die Moschee | |
für alle offen, sie prüfe „nicht die Religiosität des Einzelnen“, schrieb | |
die Gemeinde später. Der Verfassungsschutz gehe davon aus, dass „Kontakte | |
zur Muslimbrüderschaft bestehen können“, berichtete das ZDF. Die Gemeinde | |
wies das zurück, der Verfassungsschutz bestätigte es auf Anfrage später | |
nicht. | |
## Feindliche Stimmung | |
Al Saadi ist jetzt etwas zurückgetreten, die Umstehenden sollen nicht alles | |
mithören. Er steht zwischen zwei Polizeiwagen, das Licht vom Turm der | |
Hofkirche fällt auf sein Gesicht, Bachmanns Reden sind hier kaum zu | |
verstehen. Drei Jungs kommen dazu. Sie sollen in der Schule ein Referat | |
über Pegida halten. „Wisst ihr, was die wollen?“ fragen sie. „Fragt sie | |
doch selbst“, sagt Al Saadi. „Haben wir. Aber sie haben gesagt: ’Verpisst | |
Euch‘“, sagt einer. Also gut. Al Saadi drückt seine Finger gegeneinander | |
bis die Gelenke knacken, als müsse er sich kurz aufwärmen. „Die seit langem | |
bestehende muslimfeindliche Stimmung hat sich in eine Marke verwandelt. | |
Diese Marke ist Pegida“, sagt er. Und das Gefährliche daran sei: „Um der | |
Allianz mit den Bürgern willen integrieren sich die Nazis hier“, sagt er | |
und deutet auf die Menge. „So kriegt die Menschenfeindlichkeit ein | |
bürgerliches Gewand.“ | |
Die Folgen seien spürbar. Kopftuchtragende Frauen seien angespuckt und | |
beschimpft worden. Manche Leute in Al Saadis Gemeinde „setzen ihre Hoffnung | |
in das deutsche Recht und die Politik und denken, dass das nicht | |
eskaliert“, sagt er. „Andere sagen: Gut, sie sind gegen mich, aber | |
wenigstens nicht gegen meine Kinder, die sind ja deutsch.“ Aber das sei ein | |
Fehler. Pegida stelle die Zugehörigkeit aller Muslime zur Gesellschaft in | |
Frage. Das sei, er überlegt, „anmaßend“. Ein schwaches Wort. Er sagt: „… | |
will nicht wahrhaben, was sich da aufbaut. Und deswegen weiß man auch | |
nicht, was man dazu sagen soll.“ | |
29 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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