| # taz.de -- Debatte Pegida: Der zentrale Zündstoff | |
| > Aufklärung? Es ist angesichts von Pegida an der Zeit, über politische | |
| > Emotionen zu sprechen. | |
| Bild: Wem will dieser Gekränkte heimleuchten? | |
| Wenn Tausende unter dem Label Pegida durch Dresden oder andere deutsche | |
| Städte ziehen – was passiert da eigentlich? Was schreckt uns, wenn diese | |
| selbst ernannten „patriotischen Europäer gegen die Islamisierung“ als | |
| Retter des Abendlands ins Feld ziehen? Wir stehen etwas blank vor diesen | |
| geballten Gefühlsladungen, vor diesen Emotionen auf zwei Beinen, die „Wir | |
| sind das Volk“ schreien. Es ist an der Zeit, über politische Emotionen zu | |
| sprechen. | |
| Was den Blick des überzeugten Demokraten trübt, ist die eigene Vorstellung: | |
| dass nämlich Demokratie eine rationale Gesellschaftsordnung, eine | |
| Vernunftsordnung sei. Man tauscht vernünftige Argumente aus, wägt ab und | |
| findet schließlich kluge Kompromisse. Das ist keine Karikatur, sondern der | |
| übliche aufgeklärte Gemeinplatz. | |
| Es ist das Ideal von Politik, das in unseren Köpfen herumspukt – vielleicht | |
| ohne uns wirklich bewusst zu sein. Deutlich wird dieses Ideal immer dann, | |
| wenn Emotionen im Politischen auftauchen und diese als Pathologien | |
| behandelt werden. Zu Abweichungen werden diese ja erst, wenn man sie vom | |
| Rationalitätsideal her betrachtet. Erst dann erscheinen Gefühle als | |
| pathologische Störungen, als das Irrationale, das den politischen Prozess | |
| stört. Dann sind sie Hindernisse, Bedrohungen der gesellschaftlichen und | |
| politischen Ordnung. Und dann wird sofort nach Aufklärung gerufen, dem | |
| Allheilmittel gegen irrationale Störungen. | |
| Das Problem ist, dass das zugleich theoretisch falsch und strategisch dumm | |
| ist (man weiß nicht, was schlimmer ist). Wenn wir politische Emotionen im | |
| Allgemeinen falsch verstehen, dann reagieren wir auch im konkreten Fall, | |
| wie etwa bei Pegida, verkehrt. Es macht uns blind für das, was die | |
| „populistische Lektion“ (unter Anführungszeichen!) ist. | |
| Zunächst: Natürlich haben politische Subjekte eine Emotionalität – und | |
| nicht nur als Verirrung. Natürlich haben Emotionen politische Relevanz. Sie | |
| sind sogar zentraler Rohstoff des Politischen. | |
| Zum Rohstoff gehört aber das volle Emotionspaket dazu. Im Politischen gibt | |
| es, anders als im Privaten, keine Gefühle, die per se gut oder per se | |
| schlecht wären. Es ist nicht so, dass etwa Liebe und Mitgefühl | |
| demokratischere Gefühle wären als Wut und Zorn. Weder ist ausgemacht, dass | |
| manche Gefühle nur positiv sind, also aktivierend, einbindend, engagierend | |
| wirken, noch sind manche eindeutig negativ, aufhetzend oder das Gegenteil, | |
| nämlich passivierend. Emotionalität im Politischen ist nicht von vornherein | |
| konnotiert. Sie ist Ressource oder Gefahr – in jedem Fall aber eine | |
| Grundtatsache des politischen Lebens. | |
| ## Zornbanken | |
| Demokratie hat also massiv mit Gefühlen zu tun – nicht nur dort, wo sie | |
| nicht, sondern auch dort, wo sie sehr wohl funktioniert. Deshalb hat sie ja | |
| auch von Anfang an politische Großprojekte zu deren Kanalisierung | |
| entwickelt. Das war Aufgabe der Volks- und Massenparteien. Peter Sloterdijk | |
| hat dafür einen wunderbaren Begriff geprägt: die „Zornbank“. Damit hat er | |
| nicht nur eine politische Emotion, den Zorn, als zentrale Ressource, als | |
| Kraft zur Gesellschaftsveränderung erkannt. Er hat zugleich den Versuch, | |
| diese Ressource produktiv zu machen, beschrieben. Zornbanken: eine | |
| sprechende Bezeichnung für linke Massenparteien. Diese sind Zornbanken, | |
| weil die Menschen ihre Emotionen, ihren Zorn dort deponieren können, weil | |
| diese „Banken“ versprochen haben, ihre Einlagen nicht nur zu verwalten, | |
| sondern damit auch zu handeln und sie zu vermehren. Diese Zornbanken hätten | |
| aber, so Sloterdijk, die anvertrauten Depots verraten und verspielt. | |
| Tatsächlich sind aber nicht nur linke Parteien Emotionsdeponien. Jede | |
| Partei ist eine Gefühlsbank. Genauso wenig sind es nur Wut und Zorn, die | |
| dort deponiert werden, sondern auch Angst, Hoffnung und vieles mehr. | |
| Zugleich sind diese Emotionen aber nicht einfach da, vorhanden wie | |
| Bodenschätze, die man nur zutage fördern muss – sie werden auch produziert, | |
| reproduziert, erneuert oder gedämpft. Es gibt also nicht nur eine Deponie | |
| und Zirkulation der Gefühle, es gibt auch eine Emotionsproduktion. Eine | |
| ganze Gefühlsökonomie. Und diese ist in die Krise geraten. Es scheint, dass | |
| alle diese Banken ihre Depots verspielt haben. Vor allem aber die | |
| ehemaligen Volksparteien. Volksparteien sind zu Bad Banks der Emotionen | |
| geworden. | |
| Was in solchen Situationen droht, hat Lawrence Goodwyn einen | |
| „populistischen Moment“ genannt. Ein solcher entsteht, wenn ganze Teile der | |
| Bevölkerung gesellschaftlich und emotional „obdachlos“ werden, wie der | |
| wunderbare Helmut Dubiel geschrieben hat. Der entscheidende Punkt ist, dass | |
| die gesellschaftliche Obdachlosigkeit auch eine emotionale Obdachlosigkeit | |
| zur Folge hat. Wenn die symbolische, die identitäre Einbindung brüchig | |
| wird, werden die eingebundenen Emotionen freigesetzt. Sie werden zu frei | |
| flottierenden Emotionen ohne Bindungen, ohne fixe Zugehörigkeit. Ohne | |
| Kanalisierung werden politische Leidenschaften aber zu einem | |
| „vagabundierenden Potenzial“, wie Dubiel das genannt hat. | |
| Ein freigesetztes, ein vagabundierendes Emotionspotenzial – das ist das, | |
| was durch die Straßen von Dresden zieht. Und das ist es, was uns schreckt. | |
| Berechtigterweise. Denn wir alle wissen, wie gefährlich solche | |
| Freisetzungen sein können. Und genau deshalb dürfen wir uns jetzt keinen | |
| Erkenntnisirrtum leisten. Denn dieser führt zu dem strategischen Irrtum, | |
| man könne einem populistischen Moment mit rationaler Aufklärung kommen. | |
| Statt nach Aufklärung und Information zu rufen, sollten wir die eigene | |
| emotionale Barriere überwinden und den Blick für die erwähnte | |
| „populistische Lektion“ öffnen. | |
| ## Eine Bühne für Kränkungen | |
| In emotionaler Hinsicht bezieht sich der populistische Moment auf die | |
| negativen Gefühle, die beim Brüchigwerden der Einbindungen freigesetzt | |
| werden; er bezieht sich auf Kränkungserfahrungen. Die Einbindung in | |
| Großgruppen bot einen Enttäuschungsschutz, ein Enttäuschungsnetz, das | |
| unerfüllte Erwartungen auffangen und Kränkungen entlasten konnte. Die | |
| emotionale Freisetzung im populistischen Moment bedeutet deshalb auch eine | |
| Freisetzung von Kränkungserfahrungen. Gerade Linke müssen lernen, diese | |
| Tiefenschichten zu erreichen. Der rechte Populismus hakt genau da ein, er | |
| nimmt dieses Moment der Kränkung auf. Er nimmt es dort auf, wo es wehtut – | |
| nämlich da, wo die eigene Identität infrage gestellt wird. Und genau da | |
| entsteht das, was Ernesto Laclau einen „Überschuss an Antagonismus“ genannt | |
| hat. Ein Überschuss, der über den „institutionell-demokratischen Rahmen | |
| regulierter agonistischer Kämpfe“ hinausgeht und von diesem nicht mehr | |
| absorbiert werden kann. | |
| Was macht nun der rechte Populismus? Er bietet genau diesem Überschuss eine | |
| Bühne, eine Arena, in der diese Kränkungen auftreten können. Diese Arena | |
| könnte man als Emotionsraum bezeichnen. Genau das passiert in Dresden. Die | |
| Straße wird zu einem Emotionsraum, wo das vagabundierende Emotionspotenzial | |
| (das keinen Ort hat) auftreten kann. | |
| Deshalb funktionieren populistische Kopien nicht. Wenn etwa konservative | |
| Parteien Rechtspopulismus nachahmen wollen (zum Beispiel mit der Forderung, | |
| Migranten sollen zu Hause deutsch sprechen), übernehmen sie zwar die | |
| Inhalte, bieten aber keine Arena, keine Emotionsräume an. Deshalb scheitern | |
| sie. | |
| Genau darin liegt die „populistische Lektion“ und gleichzeitig auch deren | |
| Ende. Sie zeigt, dass es einer symbolischen Integration der Emotionen | |
| bedarf. Der Populismus bietet dafür aber nur eine reaktionäre Reintegration | |
| der freigesetzten Gefühle an: Nur Ängste, Ressentiments und | |
| Regressionsneigungen werden aufgegriffen und verstärkt. | |
| Was kann man dagegenhalten? Wenn in populistischen Momenten „die Aufladung | |
| der Politik mit Identitätsanliegen“ zentral ist, wie Claudia Ritter | |
| anmerkt, muss der Umgang damit dem Rechnung tragen. Er muss etwas anderes | |
| bieten als einen Vernunftaufruf. Populismus kann man nicht mit Aufklärung | |
| begegnen, weil diese anderswo andockt, weil sie die Gefühle nicht erreicht. | |
| Populismus kann man aber auch nicht mit anderen Populismen begegnen, weil | |
| die Kopie nicht überzeugt. Populismus kann man nur mit symbolischer Politik | |
| begegnen. Mit einem anderen politischen Identitätsangebot. Einer Politik | |
| also, die die Emotionen berührt. | |
| 26 Dec 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Isolde Charim | |
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