# taz.de -- Gastkommentar Islamfeindlichkeit: Fünf Gründe für einen Beauftra… | |
> Antimuslimischer Rassismus nimmt zu, Muslime sind in der Politik | |
> unterrepräsentiert. Die Bundesregierung muss dagegen vorgehen, findet | |
> unser Gastautor. | |
Bild: Gläubige in der Berliner Mevlana-Moschee, die 2014 nach einem Brandansch… | |
„Beeilt euch, zu handeln, ehe es zu spät ist, zu bereuen.“ Dies sind die | |
Worte des norwegischen Friedensnobelpreisträgers Fridtjof Nansen – eine | |
zeitlose Mahnung. Nach einer gefühlten Ewigkeit des politischen | |
Stillstandes hat die Bundesregierung gehandelt und seit diesem Jahr endlich | |
einen Antisemitismusbeauftragten eingesetzt. | |
Angesichts der antimuslimischen Entwicklungen der letzten Jahre fordern | |
auch immer mehr Muslime einen Beauftragten gegen Islam- und | |
Muslimfeindlichkeit. Ob es ihn wirklich geben wird – und wann? Ungewiss. | |
Mit Horst Seehofer als Innenminister stehen die Chancen jedenfalls | |
schlecht. | |
Nichtsdestotrotz sind hier fünf Gründe, die dafür sprechen: | |
Antimuslimischer Rassismus nimmt zu. 2015 stellte die Bertelsmann-Stiftung | |
[1][alarmierende Daten] vor: Mehr als die Hälfte der Nichtmuslime in | |
Deutschland findet, dass der Islam nicht in die westliche Welt passe und | |
eine Bedrohung sei. Eine derartige Stimmung bereitet den Nährboden für | |
Übergriffe und Gewalt: Das Bundesinnenministerium zählte 2017 mehr als | |
1.000 Straftaten mit islamfeindlichem Hintergrund. Hass auf Muslime dient | |
offenbar vielen als Ventil ihrer Ängste und Probleme. | |
Deutschlands Muslime sind politisch unterrepräsentiert. Die knapp 5 | |
Millionen Muslime bilden die größte religiöse Minderheit in Deutschland. | |
Trotzdem sind sie in der Politik kaum vertreten. Ein Beauftragter gegen | |
Islam- und Muslimfeindlichkeit könnte das ändern: [2][Zunehmende | |
Hasskriminalität], Diskriminierung in Schulen sowie auf dem Arbeitsplatz, | |
Forschungs-, Aufklärungs- und Präventionsarbeit gegen antimuslimischen | |
Rassismus wären Teil seines Tätigkeitsfeldes. | |
Er könnte als [3][Vermittler] zwischen den verschiedenen muslimischen | |
Gemeinden, nicht organisierten Muslimen und der Regierung dienen. Belange, | |
Sorgen und Wünsche aller Muslime könnten so in die Politik getragen werden. | |
Soziale Ausgrenzung verhindert Teilhabe. Wenn wir es nicht schaffen, | |
Muslime und ihre Religion als vollwertige Mitglieder dieser Gesellschaft zu | |
akzeptieren, werden wir ein wesentliches Hindernis niemals beseitigen: das | |
Gefühl der Nichtzugehörigkeit, das zu vielerlei Problemen führen kann: von | |
Minderwertigkeitsgefühlen über verminderte Teilhabe oder gar völlige | |
Abwendung von der Gemeinschaft bis zu Radikalisierung. | |
Wo man Menschen nicht mitnimmt, entstehen auch Nischen, die geistige | |
Brandstifter zu füllen versuchen. Es wäre ein wichtiges Signal an die | |
Muslime, dass Islamfeindlichkeit ernst genommen und angegangen wird – ein | |
Zeichen der Solidarität. | |
Antimuslimischer Rassismus schadet dem friedlichen Miteinander. Die | |
Feindseligkeit gegenüber Muslimen vergiftet das Klima im Land und spaltet | |
die Gesellschaft. Dies ist eine Gefahr für sie, ihren Zusammenhalt und die | |
Demokratie. Gewaltsame Übergriffe, Drohungen und [4][Brandanschläge gegen | |
Muslime und ihre Gotteshäuser] nehmen zu. Die Hemmschwelle sinkt immer | |
weiter. | |
Aber Gewalt beginnt nicht mit körperlichen Übergriffen, sondern zunächst | |
mit Worten – Hass bricht nicht einfach aus, er wächst langsam heran. Ein | |
Beauftragter könnte diesem Phänomen auf bundesweiter Ebene nachgehen und | |
bestmögliche Konzepte dagegen erarbeiten. | |
Islam- und Muslimfeindlichkeit gehen uns alle an. Einmal in der | |
gesellschaftlichen Mitte angelangt, ebnen sie den Weg für Hass und Gewalt | |
gegen weitere Minderheiten und politisch Andersdenkende. Es ist daher nur | |
eine Frage der Zeit, dass die Stimmung, die als antimuslimische Agitationen | |
begann, in eine gängige Praxis gegen politische Gegner umschlägt. | |
„Islamkritik“ dient oft als Feigenblatt für Rassismus. Soll das alles nun | |
heißen, dass man Muslime nicht kritisieren darf? Nein. Alles soll gesagt | |
werden dürfen. Doch die sogenannte Islamkritik dient oft als Feigenblatt | |
für Rassismus. | |
Wer Muslime und ihre Religion zu einer einheitlichen Gruppe ethnisiert und | |
zur potenziellen Gefahr erklärt, lässt nicht nur 1,5 Milliarden Menschen | |
für die Taten einiger weniger büßen, sondern spielt auch zweifellos mit | |
antimuslimischem Rassismus. | |
Zudem erliegen viele der Versuchung, Probleme ständig zu „islamisieren“, | |
anstatt auch soziologische, ökonomische und politische Faktoren zu | |
berücksichtigen. Natürlich müssen Missstände offen und klar benannt werden, | |
aber auf einer sachlichen und differenzierten Ebene. Eine Minderheit zum | |
Sündenbock zu erklären, um eine politische Agenda zu verfolgen, ist | |
primitive Demagogie. | |
Von Sarrazin über Pegida bis hin zur AfD: Die jahrelange antimuslimische | |
Stimmungsmache trägt bereits Früchte, die in allen Schichten unserer | |
Gesellschaft sichtbar sind: durch schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt | |
trotz identischer Qualifikationen, durch Benachteiligungen bei der | |
Wohnungssuche. Stereotype und starre Narrative prägen das Bild von „den“ | |
Muslimen. | |
Die wehrhafte Demokratie muss ein Zeichen setzen. Wie sieht unser Land in | |
zehn Jahren aus, wenn auf diese Entwicklungen nicht reagiert wird? Das kann | |
niemand sagen. Und weil es niemand sagen kann, müssen wir uns alle darum | |
bemühen, dass aus dem Land der Dichter und Denker nicht weiter das der | |
Hetzer und Schwätzer wird. | |
Ja, wir leben in Zeiten des Aufbruchs. Die Welt wird schneller und rückt | |
immer weiter zusammen. Doch wir dürfen nicht dem verführerischen Glauben | |
anheimfallen, dass es auf komplexe Fragen einfache Antworten gäbe. Erst | |
recht nicht, wenn sie uns populistisch auf Kosten von Minderheiten eine | |
bessere Welt versprechen wollen. | |
Wir müssen daher Vorsicht walten lassen, nicht an den Grundfesten unserer | |
Verfassung zu rütteln. Das Recht braucht dem Unrecht niemals zu weichen. | |
Vielmehr muss die wehrhafte Demokratie endlich ein Zeichen setzen: Ihre | |
Standhaftigkeit beweist sich nicht in ihren guten, sondern in ihren | |
schweren Tagen. | |
Es ist Zeit, zu handeln. Es ist Zeit für einen Beauftragten gegen Islam- | |
und Muslimfeindlichkeit. | |
11 Jan 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/Projekte/51_Religionsmo… | |
[2] /Islamfeindliche-Uebergriffe/!5486271 | |
[3] /Flyer-gegen-Muslim-Hass/!5482449 | |
[4] /Anschlag-auf-Moschee/!5490816 | |
## AUTOREN | |
Mulla Çetin | |
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